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SternMenschen
ОглавлениеJacqueline Sonego Mettner
Ich gehöre offenbar zu den Menschen, die Gott brauchen und die annehmen, dass Gott sie braucht. Es ist meine Kraft.
Ich brauche Gott vor allem, um Mut und Grossmut zu lernen und um meinen Glauben an die Sternengrösse der Menschen nicht zu verlieren. Rose Ausländer schreibt davon:
Die Menschen
Immer sind es / die Menschen
Du weisst es
Ihr Herz / ist ein kleiner Stern
der die Erde / beleuchtet27
Rose Ausländer
Ich weiss und erfahre – Gott sei Dank – dass es immer Menschen sind, durch die ich den Grossmut, die Weite, den Zorn und die Liebe Gottes lerne und erfahre. Gott hat keine andern Hände, Augen, Lippen, Herzen, Füsse als die unsern. Das ist oft wunderbar: Die kleinen Füsse meiner Tochter in meiner Hand, das Aufblitzen von Schalk und Leben in den Augen einer alten Frau, das Berührtwerden von Jugendlichen durch Ungerechtigkeit und der beginnende Eifer, etwas dagegen zu tun. Es sind immer Menschen und trotzdem brauche ich Gott, dem ich die Güte zutrauen kann, wenn ich sonst nur noch Verrat sehe.
Ich brauche Gott über meine Erfahrung hinaus als einen ohnmächtig-mächtigen Grund, der trägt, wo Menschen versagen, sich versagen, wo Bosheit, Neid, Missgunst, |58| ungelebtes Leben alles versanden lässt, alles zudeckt, alles nichtig und lächerlich macht, alles zersetzt in eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Ich brauche Gott, um die Schönheit, das Bleibende, das, was gemeint war, die Würde menschlicher Bedürftigkeit vollmundig und vollmächtig behaupten zu können und ich brauche Gott, damit ich dafür nicht blind werde, sondern die Kostbarkeit, das Heitere und das Rührende des Lebens immer neu und anders sehen kann.
Ich brauche das Aufgestörtwerden aus meiner Bequemlichkeit, meiner Einrichtung in tausend scheinbaren und wirklichen Verpflichtungen, in Ablenkungen von meinem eigenen Leben. Ich brauche Gottes Empörung und Untröstlichkeit über das Unrecht, die Lüge, die Gewalt und die Zerstörungen dieser Welt. Ich brauche seinen Schmerz über den Missbrauch ihres Namens, damit ich mich weder einlullen lasse durch ein harmloses Geschwätz von einem niedlichen, kleingehackten Gott noch mich einschüchtern lasse durch das imperiale Gerede von der «richtigen» Christlichkeit im Fürwahrhalten von dogmatischen Leerformeln wie Jesus-Christus-Gottes-Sohn-Herrscher-der-Welt-Erlöser-von-der-Sünde.