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Im Reigen der fürstlichen Residenzen des Römisch-Deutschen Reiches gehört das Kurfürstliche Schloss in Mainz zu den wenig bekannten und selten beachteten Bauten. Zum einen mag dies zusammenhängen mit seinem im Vergleich zu den ausgedehnten, im 17. und 18. Jahrhundert neukonzipierten Anlagen – wie etwa in Gotha, Berlin, Mannheim, Ludwigsburg oder Würzburg – irregulären und weniger monumentalen Erscheinungsbild. Bereits Georg Dehio charakterisierte das Schloss 1911 in seinem Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler in nach den Maßstäben der Zeit kritischer Würdigung seiner unbestrittenen Qualität als „kein Bau von großem Wurf, aber von einer feinen und vornehmen Kultur, wie sie in der deutschen Renaissance nicht wieder zu finden ist.“ Zum anderen tragen dazu die vielen Verletzungen und Verluste bei, die dem einst aus mehreren Bauten bestehenden Ensemble – wie so vielen Residenzen links des Rheines – durch Kriege und Revolutionen zugefügt wurden. Zu dessen prägenden, seit Anfang des 19. Jahrhunderts verschwundenen Bestandteilen zählten vor allem die mittelalterliche Martinsburg als Keimzelle und Eckpfeiler der Gesamtanlage sowie die Hofkanzlei und nicht zuletzt die Stifts- und Schlosskirche St. Gangolph aus dem 16. Jahrhundert, die sich mit der spätbarocken Deutschordenskommende und dem Neuen Zeughaus zu einer reich gegliederten Rheinfront zusammenschlossen. Nicht vergessen werden darf auch der im Bereich des heutigen Ernst-Ludwig-Platzes gelegene, bereits im späteren 18. Jahrhundert aufgegebene Schlossgarten. Schließlich lässt das Innere des Schlosses heute kaum mehr den repräsentativen Charakter erahnen, der sich in aufwendig ausgestatteten Raumfolgen manifestierte und im Sinne der zeremoniellen Abläufe für das Verständnis eines Fürstensitzes unabdingbar war. Anders als bei den Residenzen, deren Fortbestand auch unter den veränderten Vorzeichen der politischen Neuordnung infolge des Wiener Kongresses im 19. Jahrhundert gesichert war, brach in Mainz mit der Französischen Revolution und dem Untergang des Kurstaates auch die Nutzungskontinuität ab. Setzten der Verlust und die Verlagerung der mobilen Einrichtung bereits mit der Flucht des letzten Kurfürsten nach Aschaffenburg ein, so litten die Innenräume mit ihrer wandfesten Ausstattung in der französischen Zeit unter der Zweckentfremdung zum Lagerhaus, der auch das barocke Haupttreppenhaus zum Opfer fiel. Die beiden bedeutenden Hauptsäle und die verbliebenen Stuckdecken des 18. Jahrhunderts, die bei der großen Instandsetzung des Schlosses ab 1903 restauriert worden waren, wurden im Zweiten Weltkrieg bereits während des ersten Bombenangriffs auf Mainz 1942 zerstört. Der bald darauf einsetzende Wiederaufbau durch die Stadt Mainz – seit 1827 Eigentümerin des Schlosses – erfolgte zweckgerichtet und in gewissermaßen bürgerlicher Bescheidenheit.

In den letzten Jahren ist das Kurfürstliche Schloss in unterschiedlicher Hinsicht wieder zunehmend in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Eine Dissertation, 1988 durch Ursula Zahler an der Universität Saarbrücken vorgelegt, fasste auf dem damaligen Stand der Forschung die Baugeschichte zusammen und trug somit zu einer ersten kunsthistorischen Einordnung der Architektur bei. Mit einer Reihe von historischen und kunsthistorischen Einzelthemen zum Schloss sowie den hier tätigen Künstlern hat sich der Mainzer Altertumsverein in Veranstaltungen und Aufsätzen in der Mainzer Zeitschrift auseinandergesetzt, u. a. mit der Martinsburg; hier sind v. a. die Beiträge von Ralph Melville, Franz Stephan Pelgen und Ulrich Hellmann zu nennen. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Luzie Bratner, Georg Peter Karn und Ralph Melville, beschäftigt sich seit längerem intensiv mit dem Schloss und erarbeitete eine vom Verein 2016 im Vorfeld der anstehenden Sanierung vorgelegte, 2017 in der Mainzer Zeitschrift veröffentlichte Denkschrift; diese sieht sich in der Nachfolge der 1897 von Prälat Friedrich Schneider verfassten Denkschrift, die den Ausgangspunkt der damaligen großen Wiederherstellung bildete. In verschiedenen Arbeiten, die aus dem Forschungsprojekt „Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800)“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen an seiner von Prof. Dr. Matthias Müller geleiteten Dienststelle am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Universität Mainz hervorgegangen sind, wird auch die Residenz der Mainzer Kurfürsten in die Betrachtung einbezogen. In diesem Zusammenhang entstand die grundlegende Dissertation von Christian Katschmanowski zur barocken Stadtplanung von Mainz, in deren Analyse auch dem Kurfürstenschloss und seiner Umgebung eine zentrale Bedeutung zukommt. Schließlich hat sich die Landesdenkmalpflege in ihren Jahrbüchern immer wieder mit einzelnen Aspekten zum Schloss und seiner Restaurierung beschäftigt, abgesehen von der fachlichen Begleitung aller laufenden Maßnahmen. Zahlreiche Beobachtungen zur Baugeschichte sind dabei dem Bauforscher Lorenz Frank zu verdanken, der im Auftrag der Stadt Mainz kontinuierlich anlassbezogene Untersuchungen der historischen Bausubstanz durchführt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang aber auch das praktische Engagement des Mainzer Denkmal-Netzwerks, mit dessen Hilfe die dringend notwendige Instandsetzung der Fassaden mit ihren aufwendigen Steinmetzarbeiten entscheidend vorangebracht werden konnte.

Mit dem geplanten Auszug des Römisch-Germanischen Zentralmuseums endet 2021 eine mehr als 150 Jahre währende Phase des Schlosses als Sammlungs- und Ausstellungsort für das Mainzer Bürgertum, aus dem viele der Kultureinrichtungen und Museen der Stadt hervorgingen. Die daraus resultierende Neuausrichtung der Nutzung ebenso wie die erforderliche bauliche Instandsetzung und Anpassung fordern zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Kurfürstlichen Schloss und zu einer Neubewertung seiner Stellung innerhalb der deutschen Residenzenlandschaft heraus. Denn diese stellen eine wesentliche Voraussetzung für die angemessene Berücksichtigung der historischen Substanz des Schlosses, aber auch seiner von der historischen Bedeutung ausgehenden auratischen Wirkung bei der bevorstehenden Ausbauplanung dar. Hier geht es vor allem darum, die Residenz des ranghöchsten Fürsten im Reich einerseits in ihrer weit über Mainz hinausreichenden politischen, symbolischen und zeremoniellen Funktion und andererseits als profanes Gegenstück bzw. Ergänzung zum Dom als Machtzentrum des Erzbistums wieder verstärkt ins allgemeine Bewusstsein zu rücken und in geeigneter Form erlebbar zu machen.

Zu diesem Zweck fand am 14. April 2016 ein wissenschaftliches Kolloquium im Landesmuseum Mainz statt, das von der Direktion Landesdenkmalpflege der GDKE, dem Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie dem Mainzer Altertumsverein, dem Regionalverband Rhein-Main-Nahe (vormals Mainz) des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz sowie dem Werkbund Rheinland-Pfalz veranstaltet wurde. In drei Sektionen beschäftigte sich die Tagung mit dem Baudenkmal und seiner Genese seit dem Mittelalter, dem Residenzviertel mit seinen funktionalen Interdependenzen und stadträumlichen Bezügen sowie mit der städtebaulichen Entwicklung des Standorts in der bürgerlichen Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts, der bis heute durch die Nachbarschaft des rheinland-pfälzischen Parlaments und der Landesregierung herausragende Bedeutung als Regierungsviertel beansprucht. Die von Fachleuten aus verschiedenen Institutionen und Disziplinen vorgetragenen Referate fassten nicht nur die bisherigen Kenntnisse zusammen, sondern trugen zugleich viele neue Aspekte zur historischen und kunsthistorischen Einordnung des Schlosses bei. In erweiterter und überarbeiteter Fassung sowie um einen zusätzlichen Beitrag ergänzt, werden sie im vorliegenden Band nun der Öffentlichkeit präsentiert. Dank der vielfältigen Aspekte und wissenschaftlichen Expertise der Beiträge darf dieser Band als das derzeitige, aktuelle Standardwerk zum Mainzer Kurfürstenschloss gelten.

Im ersten, dem Schloss als Baudenkmal gewidmeten Abschnitt stellt der Bauforscher Lorenz Frank die Ergebnisse der bereits vor Jahren von ihm begonnenen und aktuell weitergeführten bauhistorischen Untersuchungen vor, die neben der Abwicklung der verschiedenen, ineinander verwobenen Bauphasen insbesondere die Ursprünge in der Martinsburg und den ersten, selbständig konzipierten Bauabschnitt des Neubaus unter Georg Friedrich von Greiffenclau aufschlüsseln. Matthias Müller stellt das Schloss in den überregionalen Kontext des Residenzenbaus im Alten Reich und beleuchtet die Bedeutung des Residenzschlosses als Symbol fürstlicher Autorität, die vor allem in der Bindung der Neubauteile des 17. und 18. Jahrhunderts an die mittelalterliche Martinsburg als Verkörperung des institutionelldynastischen Gedächtnisses und als architektonisches Sinnbild der altbegründeten Landesherrschaft ihren Ausdruck findet. Georg Peter Karn verfolgt anhand von schriftlichen und bildlichen Quellen systematisch die Entwicklung der Raumfolgen mit der wechselnden Lage der kurfürstlichen Repräsentations- und Wohnräume während der einzelnen Ausbaustufen und geht dabei Neuerungen und traditionellen Bindungen nach; erstmals lassen sich umfänglich die in Fotografien überlieferten Stuckdecken verorten. Mit den Porträtbüsten, die im Rahmen der Restaurierung des Schlosses zwischen 1903 und 1922 über den Fenstern angebracht wurden und in der Tradition der laureati einen bürgerlichen Wertekanon widerspiegeln, behandelt der Beitrag von Luzie Bratner ein bemerkenswertes Beispiel kommunaler Selbstdarstellung nach der Inbesitznahme der Residenz durch die Stadt.

Im zweiten Abschnitt, der sich mit dem Umfeld des Schlosses und dessen Verhältnis zur Stadt beschäftigt, beschreibt Georg Peter Karn den heute fast vergessenen Schlossgarten in seinen verschiedenen Zuständen vom 16. Jahrhundert bis zur letzten Neugestaltung vermutlich unter Kurfürst Lothar Franz von Schönborn, die auf die enge Begrenztheit der Fläche mit originellen Lösungsansätzen reagierte. Stefan Schweizer verfolgt in seiner über Mainz hinausweisenden allgemein gehaltenen Überschau unter dem Schlagwort einer „urbanistischen Gartenkunst“ die mit dem Wandel fürstlicher Repräsentationsformen einhergehende Ausstrahlung gärtnerischer Konzepte auf die Stadtplanung des 18. Jahrhunderts und untersucht Motive sowie Formen der Einbeziehung einer ständeübergreifenden Öffentlichkeit in die herrschaftlichen Gärten. Der städtebauliche Transformationsprozess des Mainzer Schlossumfeldes, der von der ursprünglich gegenüber der Stadt isolierten Martinsburg zur zunehmenden funktionalen Differenzierung und zur Integration der Residenz in den urbanistischen Kontext übergeht, sowie deren Aufwertung durch den repräsentativen Ausbau der Rheinfront stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Christian Katschmanowski. Seine Überlegungen werden ergänzt durch Sascha Winters Untersuchung der komplexen baulich-visuellen Wechselwirkungen zwischen Architektur, Garten, Stadt und Landschaft, die sich in komponierten Sicht- und Wegeachsen manifestieren und von der anfangs ausschließlichen Orientierung der Martinsburg auf den Rhein zur Formung eines zusammenhängenden Stadtraums mit dem Schloss als Referenzpunkt führen.

Thema der dritten Sektion ist die Entwicklung des Schlosses und seines Umfeldes nach dem Untergang des Kurstaates und dem Verlust der Residenzfunktion. Die wechselvollen Schicksale des Schlossgartenareals, das nach seiner Planierung im späten 18. Jahrhundert als öffentlicher Platz sowie für militärische Zwecke genutzt wurde, schildert Hartmut Fischer in seinem Beitrag. Infolge der gründerzeitlichen Stadterweiterung rückte das ehem. Residenzviertel aus seiner bisherigen Randlage in die Mitte der Stadt und erfuhr dabei seine Wiederentdeckung. Der Wettbewerb zur Neubebauung des Schlossbereichs am Anfang des 20. Jahrhunderts, die städtebaulichen Projekte der Zwischenkriegszeit und schließlich die Planungen für den Ausbau des rheinland-pfälzischen Regierungsviertels nach dem Zweiten Weltkrieg werden von Rainer Metzendorf dargestellt.

Nach der im vorliegenden Band dokumentierten Tagung fand 2019 auf Initiative der Landesdenkmalpflege ein weiteres Kolloquium zum Umfeld des Schlosses statt, das insbesondere auch eine Bewertung der heute prägenden städtebaulichen und gestalterischen Überformung des Areals in der Nachkriegszeit vornahm und Anregungen für den zukünftigen Umgang mit dem Bestand sammelte. Im unmittelbaren Vorfeld der anstehenden Sanierungs- und Umbauarbeiten hat die Stadt darüber hinaus vor kurzem einen Runden Tisch aus beteiligten Gruppen und Initiativen einberufen sowie einen interdisziplinär besetzten Expertenkreis, der die Planungen beratend begleiten soll. Neben der Berücksichtigung der kurfürstlichen Tradition und Funktion ist auch eine intensivere Beschäftigung mit der bürgerlichen Nutzung des Residenzschlosses seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgesehen.

In dieser Hinsicht versteht sich der vorliegende Band nicht als abschließendes Resümee, sondern auch als Anregung für die weitere Erforschung der Kurmainzer Residenz und ihrer Geschichte. Darüber hinaus wäre zu wünschen, dass die Ergebnisse des Kolloquiums auch in die aktuellen Planungen der Stadt Eingang finden werden – in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für ein herausragendes Kulturdenkmal, das als Zeugnis für einen der bedeutendsten fürstlichen Regierungs- und Verwaltungssitze des Alten Reichs weit über Mainz hinaus historischen Wert besitzt.

Georg Peter Karn | Matthias Müller

Das Mainzer Schloss

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