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DAS MAINZER KURFÜRSTENSCHLOSS ALS VISITENKARTE VON ERZBISCHOF UND ERZSTIFT

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Die Neubaukampagne von 1628 ff.

Als diese Auffassungen von der staatstheoretischen Sinnbildlichkeit eines fürstlichen oder königlichen Residenzschlosses formuliert wurden, befand sich das Residenzschloss der Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten gerade in einer großangelegten Umbauphase, die das Aussehen und die innere Raumorganisation des aus dem späten 15. und der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts überlieferten alten Residenzschlosses, der Martinsburg, deutlich verändern sollte. Dieser Umbau geschah ab 1628. Bis dahin blieb die ab 1477/1478 unter Kurfürst Diether von Isenburg neuerbaute und ab 1556 aufgrund von umfassenden, am 27. August 1552 im Markgräflerkrieg entstandenen Kriegsschäden7 unter Kurfürst Brendel von Homburg wiederaufgebaute Martinsburg in ihrer spätmittelalterlichen Gestalt (Abb. 2) äußerlich vollkommen unangetastet. Vor allem von der Rheinseite präsentierte sich das Mainzer Kurfürstenschloss als ein monumentaler Kubus, an dessen Ecken zinnenbekrönte Türme für das typische Bild spätmittelalterlicher Burgbzw. Schlossarchitektur sorgten.8 Aufgrund der L-förmigen Grundgestalt des Schlossbaus konnten Betrachter von der Rheinseite dabei durchaus den Eindruck erhalten, auf ein Schloss mit der vor allem im Mittelalter und der beginnenden Frühen Neuzeit prestigeträchtigen rechteckigen bzw. quadratischen Kastellform zu blicken (Abb. 3; vgl. Taf. 22)9. Dass zu dieser Form zwei Flügel fehlten, wurde durch die Anordnung der beiden übereck gestellten Flügel zur Rheinseite und die Ausbildung von zwei Turmaufsätzen auf der Westseite geschickt kaschiert. Zur Stadt hin war dem Kernbau eine Vorburg aus einzelnen Wirtschaftsgebäuden und zwei Rundtürmen vorgelagert. In dieser Form präsentierte sich der Bau bis 1628 äußerlich unverändert, wie auch Zeichnungen von Wenzel Hollar, darunter aus dem Jahr 1627/1628, belegen (vgl. Abb. 2).10 Wenn es bis dahin zu Neubauten kam, dann wurden diese – wie etwa das Kanzleigebäude von 1575 oder die ebenfalls ab 1575 erbaute Schlosskirche St. Gangolph – in den an das engere Burgareal angrenzenden Bereichen errichtet (vgl. auf Abb. 3 die Gebäude links von der alten Martinsburg und dem neuen Ostflügel sowie Taf. 26).11

Abb. 5: Mainz, erzbischöfliches Residenzschloss, Ansicht des Nordwestflügels (oberhalb des Sockelmauerwerks zwischen 1750 und 1752 errichtet) mit dem Sockelmauerwerk von 1687

Abb. 4: Mainz, erzbischöfliches Residenzschloss, Ansicht von der Rheinseite (heutiger Zustand nach Abriss der Martinsburg unter Napoleon 1809)

1628, mitten im Dreißigjährigen Krieg, entschloss sich Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenclau zu einer großangelegten Neubaukampagne.12 Der Verlauf dieser Baukampagne sollte jedoch bereits drei Jahre später durch den Einmarsch des schwedischen Königs Gustav Adolf und seiner Truppen in Mainz abrupt unterbrochen werden. Dennoch gelang es den Bautrupps des Mainzer Erzbischofs bis dahin, an das südöstliche Ende der Martinsburg einen achtachsigen und drei Geschosse hoch aufragenden Neubau anzufügen, der bis an die Südmauer der Martinsburg heranreichte. Allerdings konnten bis 1631 zunächst nur die Außenmauern – vermutlich nur mit einem Notdach abgedeckt – fertiggestellt werden (vgl. hierzu Abb. 3, Taf. 22), während unter der schwedischen Besatzung die Baustelle ruhte. Doch auch danach, 1647, erfolgte kein Weiterbau, dieses Mal offensichtlich wegen zwischenzeitlich festgestellter Probleme mit dem durch den nahe gelegenen Rhein und Hochwasser durchfeuchteten Baugrund (weil man dn [sic] Boden nicht allzu gut befunden hat). So begründet jedenfalls Balthasar de Moncony in seinem Reisebericht vom 16./17. Januar 1664 die Ursache für den damals immer noch unfertig als Bauruine herumstehenden neuen Schlossflügel (Taf. 20).13 Beinahe wäre das unvollendete Bauwerk deswegen durch den damals amtierenden Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn wieder abgetragen worden, um seine sehr schön aus jenem roten Stein ausgeführt[en] Mauern anschließend im Bereich der Mainzer Zitadelle neu aufzubauen. So schildert es der Jesuit Daniel Papebroch 1660 in seinem Reisebericht.14

Ob dieser neue Flügel, dessen Architekt nach wie vor nicht identifiziert werden konnte,15 von vornherein nach Norden weitergeführt werden sollte oder – wie es Lorenz Frank rekonstruiert16 – zunächst als abgeschlossener, achsensymmetrischer Gebäudetrakt mit zur Stadtseite hin sichtbarem nördlichem und südlichem Eckerker sowie Walmdach konzipiert war, muss derzeit offen bleiben.17 In den Jahren zwischen 1675 und 1678 ließ dann Kurfürst Damian Hartard von der Leyen das im Dreißigjährigen Krieg begonnene Werk des Kurfürsten Georg Friedrich von Greiffenclau fortsetzen und den neuen Schlossflügel um weitere acht Achsen nach Norden (Abb. 4; vgl. Taf. 4) erweitern. Direkt anschließend war ein weiterer Flügel geplant, der an der Nordwestseite der Martinsburg ansetzen sollte. Dieser unter Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim ab 1687 in den Fundamenten und im Sockelmauerwerk vorbereitete Nordwestflügel18 (Abb. 5; vgl. Taf. 10, 17) blieb aber für viele Jahrzehnte – u. a. auch als Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges – ebenfalls als Bauruine stehen und konnte erst zwischen 1750 und 1752 unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein im aufgehenden Mauerwerk errichtet und vollendet werden.19 Damit war die 1628 in Angriff genommene Modernisierung und Erweiterung des Mainzer Residenzschlosses – immer wieder durch schwere Kriege unterbrochen – nach immerhin 124 Jahren Bauzeit zumindest äußerlich im Gebäudebestand abgeschlossen. Dass in dieser Schlussphase des Schlossausbaus aber die alte Martinsburg schließlich doch noch für den Abriss freigegeben werden sollte, wie in der Literatur behauptet wird, ist sehr zweifelhaft und dürfte auf einer Fehlinterpretation einer Schriftquelle beruhen.20 Stattdessen ist über alle Ausbauphasen hinweg und ungeachtet der Bemühungen um eine bauliche Modernisierung und ein möglichst einheitliches Erscheinungsbild der frühneuzeitlichen Erweiterungsbauten die konsequente Bewahrung des spätmittelalterlichen Kernbaus des Mainzer Residenzschlosses zu beobachten. Die Ursachen für dieses auffällige Festhalten an der alten Martinsburg sind in der politischen und historiografischen Erinnerungsfunktion des geschichtsträchtigen Altbaus zu suchen, auf die weiter unten, im dritten Kapitel des vorliegenden Beitrags, nochmals zurückzukommen sein wird.

Abb. 6: Dresden, Schloss, Ansicht nach Antonius Weck, 1680

Abb. 7: Berlin, Residenzschloss, Innenhof, Zeichnung von J. Stridbeck, 1690

Die Neubaukampagne ab 1628 als Reaktion auf das fürstliche Baugeschehen im Reich?

Wie lässt sich der Entschluss zu dem ab 1628 vorgenommenen großangelegten Ausbau des alten Mainzer Residenzschlosses erklären? Wenn wir die eingangs zitierten Äußerungen der frühneuzeitlichen Historiker und Staatstheoretiker oder des französischen Staatsministers und königlichen Baudirektors Ludwigs XIV., Jean-Baptiste Colbert, ernst nehmen, demzufolge die Schlossarchitektur ein Sinnbild fürstlicher oder königlicher Autorität und Würde sei, dann liegt der Gedanke nahe, dass dieses Sinnbild im Falle des alten Mainzer Schlosses zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht mehr so recht funktionierte. Doch war das Mainzer Schloss mit der alles beherrschenden Martinsburg 1628, dem Zeitpunkt der Neubaukampagne, tatsächlich schon so veraltet, dass die Mainzer Kurfürsten und das Erzstift befürchten mussten, bei ihren für die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte notwendigen Repräsentationsbauten den Anschluss zu verlieren? Damit diese Frage geklärt werden kann, ist ein Blick auf die höfische Bausituation im deutschen Reich erforderlich, um in Erfahrung zu bringen, wie es um die Residenzschlösser der übrigen deutschen Fürsten und Fürstbischöfe oder des Königs und Kaisers bestellt war.

Ein solcher Blick sorgt zunächst für eine Überraschung. Denn wer geglaubt hat, dass das Mainzer Kurfürstenschloss 1628 bereits hoffnungslos veraltet war und daher im Vergleich mit den Residenzen des Kölner oder Trierer Erzbischofs, des sächsischen, brandenburgischen oder pfälzischen Kurfürsten oder gar des Kaisers in Wien einer dringenden Auffrischung bedurfte, sieht sich mit einem überraschenden Befund konfrontiert: Im Jahr 1628 residierten noch nahezu alle der genannten Amtskollegen und politischen Konkurrenten in ihren alten, oftmals aus dem Mittelalter tradierten Burgen, Schlössern und Stadtresidenzen. Dies gilt beispielsweise für Dresden, wo der sächsische Kurfürst und immerhin Erzmarschall des Reiches immer noch im zuletzt 1548 erweiterten Stadtschloss (Abb. 6) residierte, oder für Berlin, dessen kurfürstliches Residenzschloss der brandenburgischen Markgrafen damals – 70 Jahre vor dem Umbau unter Andreas Schlüter – noch aus einer Anhäufung von unterschiedlichen Gebäuden unterschiedlicher Jahrhunderte bestand (Abb. 7), oder für das kurpfälzische Heidelberg (Abb. 8), auf dessen Schlossberg sich ähnlich wie in Berlin eine Vielzahl einzeln stehender Gebäude um den Schlosshof gruppierten.

Allerdings bemühte sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts besonders Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, mit dem überaus ehrgeizigen und aufwendigen Projekt des Hortus Palatinus (Abb. 9) zumindest im Bereich der Gartenanlagen ein im Reich damals einzigartiges und umso prestigeträchtigeres Bauprojekt zu verwirklichen.21 1616 nach Plänen des Gartenarchitekten Salomon de Caus begonnen, sollte der Hortus Palatinus vor allem im Medium des Bildes – durch de Caus‘ 1620 publiziertes und mit 31 ganzseitigen Abbildungen ausgestattetes Stichwerk sowie Jacques Fouquières‘ Gemälde und Matthäus Merians danach angefertigte Kupferstichdarstellung – europaweite Beachtung erfahren.22 Die werbewirksame Publikation dieses Bauprojekts im Medium der Bilder war auch dringend geboten. Denn vollendet wurde der Hortus Palatinus nie, da dies der Dreißigjährige Krieg und die politisch-militärische Niederlage Friedrichs V., der sich 1619 zum König von Böhmen hatte wählen lassen, gegen die katholische Liga in der Schlacht am Weißen Berg 1622 verhinderten. Inwieweit diese von der Forschung immer noch zu wenig beachtete mediale Form des fürstlichen Architekturwettbewerbs auf das Baugeschehen am Mainzer Kurfürstenhof Einfluss ausübte, kann nach derzeitigem Kenntnisstand nur unzureichend eingeschätzt werden und bedürfte einer genaueren Untersuchung. Vermutlich hatten der Mainzer Kurfürst und sein Domkapitel aber den pfälzischen Kurfürsten selbst kurz zuvor mit einem ausgesprochen ehrgeizigen Bauprojekt unter Druck gesetzt, indem sie mit dem von Georg Riedinger ab 1604 anstelle der mittelalterlichen Burg neu errichteten Schloss Johannisburg in Aschaffenburg (Abb. 10) einen im Reich damals singulären und Maßstäbe setzenden Schlossbau realisierten und zusätzlich durch eine aufwendige, von Riedinger gestaltete Kupferstich-Publikation ab 1616, und damit im Jahr des Baubeginns des Hortus Palatinus, öffentlich bekannt machten.23

Abb. 8: Heidelberg, Schloss, Innenhof nach einer Ansicht des 17. Jahrhunderts vor der Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg

Abb. 9: Heidelberg, Schloss mit Hortus Palatinus in einer Ansicht von Jacques Fouquières aus dem Jahr 1620

Abb. 10: Aschaffenburg, Schloss Johannisburg

Die Situation von nicht oder nur wenig modernisierten Residenzschlössern gilt aber erstaunlicherweise selbst für das wichtigste Residenzschloss des Kaisers aus dem Hause Habsburg, die Wiener Hofburg (Abb. 11), die nach den letzten Erweiterungen im 16. Jahrhundert bis etwa 1665 – und damit fast vierzig Jahre länger als das Mainzer Schloss – auf ihre Erweiterung durch Neubauten warten musste.24 Nur in Trier und Koblenz war einige wenige Jahre vor den Mainzer Erweiterungsmaßnahmen damit begonnen worden, die Residenzschlösser der Trierer Kurfürsten durch Neubauten zu ergänzen. So wurde in Trier ab 1615 unter der Bauherrschaft von Fürstbischof Lothar von Metternich die bestehende, noch aus dem Mittelalter überlieferte Schlossanlage einer tiefgreifenden Veränderung unterzogen und in das Areal der konstantinischen Palastaula eine neue Vierflügelanlage gesetzt.25 Von diesen Baumaßnahmen haben sich noch der Nord- und Ostflügel (Abb. 12) im heutigen Bestand erhalten. In Koblenz (Abb. 13), das in der Folge des Dreißigjährigen Krieges an die Stelle von Trier als Hauptresidenz der Trierer Kurfürsten trat, ließ Fürstbischof Philipp Christoph von Sötern ab 1626 am Rheinufer, gegenüber der Stadt und unterhalb der Festung Ehrenbreitstein, eine komplett neue, in ihren Ausmaßen monumentale Schlossanlage errichten – die Schaufassade besaß die eindrucksvolle Länge von 160 Metern!26

Abb. 11: Die Wiener Hofburg in einer Ansicht des 16. Jahrhunderts

Abb. 12: Trier, Kurfürstliches Residenzschloss, Ostflügel (ca. 1615–1635), links anschließend der Südflügel von 1756 ff.

Damit wird deutlich, dass die Neubaumaßnahmen am Mainzer Schloss von 1628 ff. zeitlich unmittelbar auf die entsprechenden Maßnahmen im benachbarten Kurtrier erfolgten und es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine direkte Reaktion des mit Kurtrier konkurrierenden Mainzer Erzbischofs und Erzstifts auf die Neubauprojekte in Trier und Koblenz handelte. Man könnte auch sagen, dass Kurmainz durch Kurtrier unter Zugzwang gesetzt wurde, das Erscheinungsbild seines nach Aschaffenburg wichtigsten Residenzschlosses in Mainz dem durch Trier und Koblenz vorgegebenen Anspruchsniveau anzupassen, um so weiterhin den von den Staatstheoretikern und Zeremonialwissenschaftlern des 17. und 18. Jahrhunderts formulierten Anspruch zu erfüllen, in der Pracht der Residenzarchitektur zugleich die Autorität und Würde des Fürsten widerzuspiegeln.27 Weitere wichtige Gründe dürften in Mainz die beengten Räumlichkeiten der alten Schlossanlage und die dringend benötigten repräsentativen Wohn- und Zeremonialräume gewesen sein, um auch künftig Staatsgäste in gebührender Weise empfangen und unterbringen zu können. Auf diesen Aspekt wird abschließend nochmals zurückzukommen sein.

Abb. 13: Koblenz-Ehrenbreitstein, Residenzschloss „Philippsburg“ des Kurfürsten von Trier unterhalb der Festung Ehrenbreitstein (Joseph Gregor Lang: Reise auf dem Rhein, 1789)

Abb. 14: Victori van Prag is seer kranck / Zustant des H. Römischen Reichs im Jahr 1622, Kupferstich 1622 (Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel, Inv. Nr. IH 102)

Nach allem was sich anhand der historischen und baugeschichtlichen Überlieferung erkennen lässt, war der Kurtrierer Fürstbischof gewissermaßen der Stachel im Fleisch des Mainzer Amtskollegen als Bauherr und trieb diesen zur Erneuerung seiner Residenz. Andererseits hatten der Mainzer Kurfürst Johann Schweickardt und das Mainzer Erzstift mit dem Neubau ihres Residenzschlosses Johannisburg in der Nebenresidenz Aschaffenburg (vgl. Abb. 10) erst wenige Jahre zuvor selbst Kurtrier unter Zugzwang gesetzt. Darauf reagierte nun offensichtlich ab 1615 bzw. 1626 Kurtrier, was wiederum Kurmainz zu einer erneuten Reaktion – dieses Mal in der Hauptresidenz Mainz – zwang. Bezeichnenderweise kamen die bedeutenden Bauprojekte aller anderen deutschen Fürstenhöfe erst mit gebührendem zeitlichem Abstand zum Zuge, was nicht zuletzt eine Folge des Dreißigjährigen Krieges und – in Wien – der Bedrohung durch die Türkenheere war.

Die vor allem durch den Dreißigjährigen Krieg verursachten katastrophalen politischen Verhältnisse, die im Reich für längere Zeit größere Bauprojekte in den Residenzstädten behinderten, wenn nicht gar verhinderten, vermag auf pointierte Weise ein Flugblatt zu illustrieren, das 1622 entstand, nur sechs Jahre vor Beginn der Neubaumaßnahmen am Mainzer Schloss.28 Das Flugblatt (Abb. 14) zeigt Germania, die Personifikation des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, auf dem Krankenlager liegend, umstanden von Reichsvertretern, die sich auf der linken Seite scheinbar hingebungsvoll mit Aderlass und Wadenwickeln um ihre Genesung bemühen (gleichwohl sich der Kaiser von links mit einem Giftfläschchen nähert), während ihr von der rechten Seite genau das Gegenteil widerfährt und ihr mit offensichtlich roher Gewalt in Herz und Kopf der Todesstoß versetzt wird. Victori van Prag is seer kranck ist dieses Flugblatt am oberen Rand betitelt, und die Fußzeile weist den Betrachter ganz unverblümt darauf hin, dass er auf den Zustant des H. Römischen Reichs im Jahr 1622 blickt. Es ist das Schicksalsjahr 1622, in dem die kaiserlichen Truppen der katholischen Liga in der Schlacht am Weißen Berg die Truppen der aufständischen protestantischen böhmischen Stände vernichtend schlugen und in der Folge nicht nur die Vertreter der böhmischen Stände, sondern auch der zum böhmischen König gekrönte Friedrich V. von der Pfalz, der sogenannte Winterkönig, aus Prag flüchten mussten.

Abb. 15: Gotha, Schloss, Ansicht von der Landseite

Abb. 16: Das Weimarer Schloss als Dreiflügelanlage, Stahlstich von J. W. Appleton nach einer Vorlage von Otto Wagner, um 1845

Abb. 17: Schloss Weißenfels (Sachsen-Anhalt), Ansicht des Schlosshofs mit restaurierten und nicht restaurierten Flügeln (Zustand 2007)

Angesichts solcher Zustände ist es nicht weiter verwunderlich, dass außer in Trier und im wenig später nachfolgenden Mainz bedeutende Neubaumaßnahmen an bestehenden fürstlichen oder königlich-kaiserlichen Residenzschlössern im Reich erst kurz vor und nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges in Angriff genommen wurden. Hierzu gehören in dieser zeitlichen Reihenfolge folgende Schlossbauten, von denen auffälligerweise die meisten in den ehemaligen Herzog- bzw. Kurfürstentümern Thüringen und Sachsen liegen: 1642 das anstelle einer auf kaiserlichen und kursächsischen Befehl geschleiften Burganlage neu errichtete Schloss Friedenstein oberhalb von Gotha (Abb. 15), das den Herzögen von Sachsen-Weimar-Gotha als Residenz diente; 1651 das nach einem Brand neu errichtete, ebenfalls den Herzögen von Sachsen-Weimar-Gotha zugehörige Residenzschloss in Weimar (Abb. 16); 1660 Schloss Neu-Augustusburg oberhalb von Weißenfels (Abb. 17), dass als Residenzschloss der sächsischen Sekundogeniturherrschaft von Sachsen-Weißenfels diente; ab 1664 das als Nebenresidenz der brandenburgischen Kurfürsten genutzte Schloss in Potsdam (Abb. 18); gegen 1665 schließlich die Wiener Hofburg, an die Kaiser Leopold I. einen neuen Flügel, den nach ihm benannten Leopoldinischen Trakt (Abb. 19), anbauen ließ. Erst ab 1688 errichtete Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel sein neues und durch Stichwerke weithin bekanntgemachtes Residenzschloss Salzdahlum (Abb. 20),29 und noch später, ab 1697, erfolgte der monumentale Ausbau der Residenz des Bamberger Fürstbischofs (Abb. 21), Lothar Franz von Schönborn, der seit 1695 in Personalunion zugleich Kurfürst von Mainz war.30 Damit kann mit hinreichender Deutlichkeit aufgezeigt werden, dass das Mainzer Kurfürstenschloss mit seinen Erweiterungsmaßnahmen von 1628 ff. eines der wichtigsten und frühesten Neubauprojekte höfischer Regierungsarchitektur im deutschen Reich des 17. Jahrhunderts überhaupt gewesen ist. Wie gesagt: Nur die Neubauten der Residenzschlösser in Trier bzw. Koblenz erfolgten wenige Jahre früher.

Abb. 18: Potsdam, Stadtschloss, Ansicht um 1700, Kupferstich (Amsterdam, Rijksmuseum)

Abb. 19: Die Wiener Hofburg in einer Ansicht des 18. Jahrhunderts, Gesamtanlage mit der alten staufischen Kastellburg (sog. Schweizerhof) und dem Leopoldinischen Trakt, Ausschnitt aus einer Ansicht Wiens von Joseph Daniel Huber, 1769–1772 (Albertina, Wien)

Abb. 20: Salzdahlum, Residenzschloss, Ansicht um 1700, Kupferstich (Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett)

Das Mainzer Schloss

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