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2. Das Alte Ägypten

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Jan Assmann hat die Frage, ob sich im Alten Ägypten das Phänomen der Kanonisierung feststellen lasse, negativ beantwortet. In Abgrenzung zum Begriff der Kodifizierung, der er die Prozesse der Sammlung, Sichtung, Verschriftlichung, Aufbewahrung und Kopie von Texten zuweist, versteht er die Kanonisierung als den »selektiven und sakralisierenden Eingriff in die Tradition.«34 Zur Kanonisierung gehöre, so Assmann weiter, die Auslegung der entsprechenden Texte, die ansonsten, wie etwa im Alten Ägypten, unterbleibe. Es ist jedoch die Frage, ob die durch selegierende Prozesse erstrebte Normierung von Texten, die nach dem oben Gesagten durchaus als Kanonisierung bezeichnet werden kann, auch bereits deren Sakralisierung impliziert oder zwangsläufig nach sich zieht oder ob nicht zwischen kanonischen und heiligen Texten zu differenzieren wäre.35 So zielt der Begriff der Kanonizität zwar auf eine Auswahl (z. B. von bestimmter Literatur), nicht aber zugleich auch auf deren Gültigkeitsbereich: Der Begriff des Kanons kann in dem oben dargelegten Verständnis auch im Bereich der Schulbildung angewandt werden. Vor diesem Hintergrund diskutiert etwa Nili Shupak den Papyrus Chester Beatty 4, verso, 2,5–3,11(; 6,11–14). Dieser Text stammt aus der Ramessidischen Zeit (1300–1100 v. Chr.) und enthält das Lob auf den Schreiberberuf mit Nennung von berühmten Weisen und deren ewig beständigen schriftlichen Werken.36 Shupak folgert, dass Pap. Chester Beatty 4 sich auf eine ausgewählte Sammlung von Werken der großen Weisen der Vergangenheit beziehe, die nun als »Kanon« für die Schule der Ramessidischen Zeit diene: »This canon was most probably established by the learned scribes themselves. They were active in setting of the Egyptian School, engaged not only in writing new works but also, and mainly, in the compilation, copying, and preservation of ancient traditions.«37 Shupak bringt diese Arbeit der Schreiber weiterhin mit dem für die Ramessidische Epoche typischen Interesse an der Vergangenheit in Verbindung, das auch mit einem Sprachwechsel einhergegangen sei: »The absorption in days of yore involved an event of major significance in the history of Egyptian culture which occurred at that time, namely the change of Late Egyptian (or Ramesside), which hitherto had been a spoken language, into a written language alongside Classical (or Middle) Egyptian. During this process the composition of new works in Classical Egyptian ceased.«38 So sieht Shupak den Prozess von Kanonisierung nicht von vornherein mit der Sakralisierung von Texten verbunden, sondern beschreibt diesen im Rahmen von Schul- und Schreibertraditionen mit den Begriffen der Selektion und Normativität39 vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Erfordernisse. Man könnte auch andersherum sagen, dass mit Pap. Chester Beatty 4 ein Paratext zu den in ihm genannten Werken der Weisen der Vorzeit geschaffen wurde, der diese Werke quasi kanonisiert. Eine vergleichbare Sicht auf das Phänomen der Kanonisierung findet sich auch in der Altorientalistik.

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