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6. Der Aristeasbrief und die Septuaginta

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Der Aristeasbrief58 ist eine pseudepigraphische Schrift aus dem 2. Jh. v. Chr., die zeigen möchte, wie die Übersetzung der Tora (nómos) von 72 Gelehrten in 72 Tagen ins Griechische erfolgte und diese Übersetzung dann von dem jüdischen Politeuma sowie König Ptolemaios II. in Alexandria sanktioniert wurde. Für die Fragestellung der Kanonbildung sind hier vor allem zwei Dinge interessant: In § 302 der Schrift wird zunächst geschildert, dass der endgültigen Form der Übersetzung ein Vergleich der Texte vorausging, um eine Übereinstimmung zu erzielen. Diese endgültige Form wurde dann schriftlich niedergelegt. In § 310f. schließlich stellt das jüdische Politeuma von Alexandria die Genauigkeit der Übersetzung fest, die keiner weiteren Bearbeitung bedürfe und deren Wortlaut durch Niederschrift gesichert worden sei. Dann stimmt nach dem Brief die Gemeinde der Übersetzung zu und sanktioniert diese: »Da nun alle diesen Worten zustimmten, ließen sie (…) den verfluchen, der durch Zusätze, Umstellungen oder Auslassungen (die Übersetzung) überarbeiten würde. Das taten sie zu Recht, damit sie für alle Zukunft stets unverändert erhalten bleibt.«59 Schließlich stimmt auch der König dieser Übersetzung zu und bezeichnet sie als »heilig« (§ 317). Angesichts der vielfältigen Textüberlieferung, die ja die Qumranfunde für diese Zeit deutlich zeigen, erscheint der Aristeasbrief in seinem Ansinnen fiktional. Ähnlich wie das Esrabuch und 2Kön 22 möchte er vielmehr einen durch sorgfältige Arbeit von Schreibern erstellten Text autorisieren, der sowohl von den religiös als auch den politisch Verantwortlichen anerkannt wird. Es wird wiederum deutlich, dass diese externe Bestätigung der Arbeit der Schreiber durch Autoritäten für das Phänomen der Kanonizität wichtig zu sein scheint: Erst diese Bestätigung verschafft dem Text seine Normativität oder Kanonizität. Wie bereits Dtn 31; 2Kön 22 und Esr 7 ist der Aristeasbrief fiktional und besitzt ätiologischen Charakter. Auch die externe Evidenz für das ptolemäische und römische Ägypten zeigt, dass eine kanonisierte Tora nicht nachweisbar ist: »The intertextuality of Egyptian Jewish literature and the Pauline letters prove no evidence for an early Alexandrian Jewish canon. (…) A Torah-only-canon is hence as unlikely for Egyptian Judaism as an Alexandrian Septuagint canon.«60 Wahrscheinlich reflektiert der Aristeasbrief teleskopartig die auch andernorts belegten Redaktions- und Standardisierungsprozesse der Schreiber und Gelehrten, die sich um die Übersetzung des hebräischen Textes kümmerten (§ 302), während eine abschließende Kanonisierung dieser griechischen Tora als normativer Text gemäß § 311 eher in den Bereich der ätiologischen Legende gehört. Möglicherweise hat das intellektuelle Milieu Alexandrias mit seiner berühmten Bibliothek und seinen Bildungsidealen, die auch der Aristeasbrief breit reflektiert (§§ 121f.; 187–294), die Schreiber und Übersetzer zu ihrer Arbeit angeregt.61 Kanonizität erlangte diese Übersetzung ebenso wie die bereits besprochenen Texte aus dem Alten Testament und seiner Umwelt durch Zitation als verbindlicher Text62 und nicht durch einen formalen Akt.

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