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7. Biblische Kanonbildung im Spiegel jüdischer und christlicher Schriften der hellenistisch-römischen Zeit
ОглавлениеInsbesondere das Sirachbuch gilt als Zeuge der Herausbildung eines biblischen Kanons. Das Buch ist ursprünglich in Hebräisch abgefasst, allerdings in dieser Fassung nicht vollständig überliefert. Die (komplizierte) griechische Überlieferung geht zurück auf die Übersetzung des hebräischen Textes durch den Enkel Sirachs in Alexandria und ist durch diesen selbst in die Zeit des Euergetes (II., gest. 116 v. Chr.) datiert. Das ursprüngliche hebräische Sirachbuch dürfte damit aus dem ersten Drittel des 2. Jh.s v. Chr. stammen. Das Buch bietet zahlreiche Anspielungen und Aufnahmen biblischer Texte aller drei Teile des späteren jüdischen Kanons, besonders der Tora, und dokumentiert damit die hohe Wertschätzung dieser Überlieferung. Bereits der Prolog, den nicht alle griechischen Handschriften überliefern, nennt Tora, Propheten und Schriften. Sir 44–50, das »Lob der Väter«, eine Tour d’Horizon der Heilsgeschichte Israels, bietet zahlreiche Anspielungen und Reflexe biblischer Stoffe und ist deshalb als Zeugnis der Kanonisierung auch der prophetischen Bücher gewertet worden. Doch nach dem Urteil von Markus Witte ist Sir »[v]on einem unveränderlichen Text im Sinne einer standardisierten Textüberlieferung (…) noch weit entfernt.«63 Einen eigentlichen Kanon kenne das Buch nicht. Die in ihm vorliegenden Anspielungen und Zitationen seien »(…) vielmehr Kennzeichen einer Kultur, zu deren wesentlichen Merkmalen Schriftlichkeit und schriftgestützte Identitätspflege gehören.«64 Entsprechend hebt Sir auch die Weisheit des Schreibers/Schriftgelehrten (sofía grammatéōs) als einer in der Tradition umfassend gebildeten Persönlichkeit hervor (Sir 38,24–39,11). Analog zu den bisherigen Beobachtungen führt dementsprechend auch Sir in die Kreise von einschlägig gebildeten Gelehrten, die sich mit der Überlieferung, Bearbeitung und Kommentierung von bestimmten Texten befassten, die so im Laufe der Zeit zu Kulturgütern von immer höherem Wert wurden.
2Makk 2,13–15 (1. Jh. v. Chr.) erzählt, dass Nehemia in Jerusalem eine Bibliothek angelegt und die Bücher über die Könige und Propheten sowie Briefe der Könige und Weihgeschenke gesammelt habe. Diese Sammlung sei von Judas Makkabäus nach dem makkabäischen Aufstand wieder vervollständigt worden. Die Vermutung, dass es sich hier um die Bibliothek des Jerusalemer Tempels gehandelt habe, legt sich nahe.65 Von dieser Bibliothek ist jedoch ansonsten nichts bekannt, die Nennung des Nehemia könnte zudem ein Topos sein, der sich auf dessen im Nehemiabuch genannte Restaurierungsmaßnahmen bezieht. Die Funde von Qumran zeigen jedoch, dass es solche Bibliotheken, zumindest in der Zeit der Makkabäer, wirklich gegeben hat.
Weitere Texte, die biblische Textsammlungen, Kanonteile und deren Wertschätzung nennen, sind Philon, De vita contemplativa 25; Lk 24,44; Mt 23,35; 4Esr 14,23–48 sowie Josephus, Contra Apionem 1,37–43. Besonders der letztgenannte Text aus dem späten 1. Jh. n. Chr., also deutlich jünger als die Zeugnisse von Qumran oder der Aristeasbrief, nennt eine klar umrissene Sammlung, die zweiundzwanzig heilige Bücher enthalten habe: die fünf Bücher Mose, dreizehn prophetische Bücher sowie vier weitere Bücher, die Lobgesänge und Vorschriften enthielten. U. a. James C. VanderKam vermutet, dass es sich neben dem Pentateuch um folgende Bücher gehandelt habe: Josua, Richter, 1/2Samuel, 1/2 Könige, Esra/Nehemia (ein Buch), Ester, Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Daniel und die zwölf Propheten (ein Buch). Die vier weiteren Bücher könnten die Psalmen und Sprüche sowie Hiob und Kohelet gewesen sein.66 Damit würde Flavius Josephus eine Sammlung an Büchern im Sinn gehabt haben, die schon sehr nahe an diejenige heranreicht, die im Judentum und Christentum später als endgültig angesehen wurde.