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c) Neh 8: Die Tora auf dem Weg zur Heiligen Schrift
ОглавлениеNeh 8,1–12.13–18 kreist um eine prototypische Lesung der Tora durch Esra und namentlich genannte Leviten im Rahmen einer gottesdienstlichen Veranstaltung, die nicht am Tempel situiert ist. Dabei wird in Neh 8,13–18 auf Dtn 31,9–12 Bezug genommen, während hinter Neh 8,1–12 Num 29 stehen könnte: Jeweils für den 1.7. wird eine heilige Versammlung erwähnt, bei deren Realisierung in Neh 8 jedoch nicht mehr das Opfer, sondern die Tora in den Mittelpunkt rückt. Auch im weiteren Verlauf von Neh 8 wird klar, dass die Qualität der Heiligkeit dem Festtag, dessen Mittelpunkt die Tora ist (V. 9f.), zukommt. So ist die Tora in Neh 8 zwar keine Heilige Schrift im dogmatischen Sinne, auch hat die reale Torarolle (noch) keine heilige Qualität, aber es wird ein Wortgottesdienst vorgestellt, in dessen Mittelpunkt die Schriftlesung steht. Die Nennung von Esra als Leiter des Gottesdienstes lässt erkennen, dass die Autoren des Textes eine Kontinuität von Esr 7 nach Neh 8 konstruieren: Die von Esra legitim gehandhabte Urkunde der Tora, die in Schriftform die göttliche Offenbarung vom Sinai/Horeb repräsentiert, wird zum Gegenstand der Lesung in einem prototypischen Synagogengottesdienst.50 Diese Zuspitzung auf die eine gelehrte und priesterliche Person dürfte einen ätiologischen Sinn haben: Die eine einst am Sinai/Horeb von Gott via Mose gegebene schriftliche Tora, abgebildet im Pentateuch, ist mit der von Esra überlieferten Urkunde identisch und durch ihre Anwendung in Gesellschaft (Esr 7; 9–10) und Gottesdienst (Neh 8) jeweils aktuell.
Die Bücher Esra und Nehemia übernehmen und erweitern ein Konzept von Tora, wie es in Dtn 31 vorgestellt wird, wobei folgende geschichtliche Fiktion leitend ist: Die ursprüglich mündliche Übermittlung des göttlichen Wortes am Sinai/Horeb wird verschriftlicht, um die Zeiten zu überdauern, die gewissermaßen in den geschichtlichen Erzählungen der Vorderen Propheten beschrieben sind. Die Tora ist bis 2Kön 22 als schriftliche Urkunde nicht bekannt, ihre Aufgabe der Mitteilung des göttlichen Wortes wird durch Propheten wahrgenommen. Erst die nachexilische »Geschichtsschreibung« der Bücher Esra-Nehemia kennt wiederum diese schriftliche Urkunde im Vollsinn und wendet sie entsprechend an. In Neh 8 schließlich wird sie erneut mündlich verkündet, was nun das Sprachproblem der Verstehbarkeit des biblisch-hebräischen Textes mit sich bringt (Neh 8,8.12; Neh 13,23f.). Die Qualität der Heiligkeit, die bereits in den Jubiläenbüchern für die Tora und abschließend für die Sammlung des dreigliedrigen Kanons in der Mischna (Jadajîm III,5) festgestellt und als die »Hände unrein« machend definiert wird, ist hier noch nicht gegeben und als ein Epiphänomen der Kanonbildung anzusehen.51