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3. Der Alte Orient

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Auch in der altorientalischen Textüberlieferung spielt der Rekurs auf altehrwürdige Weise/Schreiber eine zentrale Rolle. Wilfred G. Lambert diskutiert anhand des Texts KAR 177, einer Hemerologie, den Kolophon. Dieser nennt als Autoritäten die sieben (vorsintflutlichen) Weisen, die sich mit der Sammlung und der Exzerption vorliegender Texte beschäftigt hätten: »There is a Babylonian conception of canonicity which is implicit in the colophons just cited, and which is stated plainly by Berossus: that the sum of revealed knowledge was given once for all by the antediluvian sages. This is a remarkable parallel to the Rabbinic view that God’s revelation in its entirety is contained in the Torah. The modern Assyriologist’s conception of the canon as that body of literature which emerged from the temple schools of the Cassite period has some confirmation in the famous scribes who belonged to this age.«40 Er führt weiter aus, dass es keinesfalls die Absicht der Tradenten gewesen sei, eine systematische Auswahl an Schriften zu treffen oder autoritative Editionen zu erstellen. Zu vergleichbaren Schlüssen kommt auch Francesca Rochberg-Halton, die das Kriterium von ischkaru – »offizielle Edition«, »kanonisch« bzw. damqu – »gut« und achû – »fremd« anhand der Überlieferung der Omenserie Enuma Anu Enlil untersucht hat. Zwischen den »offiziellen« Texten und der als »fremd« identifizierten Tafel 29 ließen sich zwar keine formalen, wohl aber inhaltliche Abweichungen feststellen. D. h., die dort niedergelegte Tradition war den Schreibern »fremd«.41 Interessanterweise hat die Klassifikation eines Textes als »fremd« nicht dazu geführt, dass er nicht mehr kopiert und tradiert wurde – nur weit weniger als die »guten« Texte. Insofern kommt Rochberg-Halton auch zu dem Schluss, dass hier keine kategoriale Distinktion im Sinne von »kanonisch« und »nicht-kanonisch« gegeben sein könne. Beide Texttypen seien vielmehr im Strom der Tradition akkurat überliefert worden – nur eben nicht immer von denselben Schreibern.42

Insofern lässt sich das Phänomen einer Kanonisierung akkadischer Texte anhand der verwendeten Terminologie nicht belegen. Vielmehr dürften die wesentlichen hier interessierenden Punkte einerseits die Verankerung der Texttraditionen bei berühmten Schreibern der Vorzeit und andererseits die Anfertigung von Paratexten in Form von Kolophonen, Kommentaren und Katalogen, die über die Redaktion und Edition von Texten Auskunft geben, sein. Als »kanonisch« wäre vor diesem Hintergrund diejenige Literatur zu bezeichnen, die von ihren Schreibern nicht nur kopiert, sondern auch mit editorischen Bemerkungen o. ä. versehen wird, um eine Kontinuität oder Standardisierung zu erreichen.43 Dabei müssen, gerade bei poetischen Texten, auch mündliche Vorstufen, die dann verschriftlicht wurden, in Betracht gezogen werden.44 Diese Arbeit fand in den Kreisen gelehrter Schreiber(-schulen) im Umfeld von Palast und Tempel statt, so dass sich erstens eine deutliche Nähe zu den obigen Beobachtungen zum Alten Ägypten ergibt und zweitens eine Perspektive für die Hebräische Bibel insofern gewonnen ist, als auch die formativen Prozesse der Entstehung des Textkorpus’ als solchen in den Blick rücken.

Die Welt der Hebräischen Bibel

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