Читать книгу Praktische Theologie in der Spätmoderne - Группа авторов - Страница 11

3. Theologie, die an der Zeit ist

Оглавление

Diese Erwägungen, die in vielem eher holzschnittartig bleiben mussten, konnten das grundsätzliche Zueinander von Moderne und Gegenwart in Kontinuität und Wandel charakterisieren, wie er im Begriff der Spätmoderne angelegt ist. Theologie, die an der Zeit ist, darf die angesprochenen Spannungen der Spätmoderne nicht unterbieten. Sie unterbietet sie dann, wenn sie „nur“ modern denkt, oder wenn sie sie gar vormodern oder postmodern auflösen will. Trotz ihrer oft gegensätzlich erscheinenden Positionen stimmen prä- und postmoderne Vereinfachungen darin überein, dass sie die Spannungen der Spätmoderne nicht aushalten wollen oder können. Außerdem nehmen beide gerne Zuflucht zu einer besserwisserischen Attitüde: Man müsse nur dies oder jenes zur Kenntnis nehmen oder praktizieren, schon wäre alles besser. Doch eine Praktische Theologie, die sich den Spannungen der Spätmoderne stellt, wird solche vereinfachenden Lösungsansätze als weder wünschenswert noch praktikabel entlarven.

Naturwissenschaft, Technik, ökonomisches Gewinnstreben, gesellschaftliche Ausdifferenzierung, Rationalisierung, Pluralisierung, Individualisierung und Säkularisierung sind als Grundgegebenheiten der Moderne anzunehmen. Ihre zum Teil verheerenden (Neben-)Folgen sind aber zu kritisieren und zu bekämpfen, ihr Fortschrittsimpetus kritisch zu hinterfragen und ihr Heilsanspruch zu bestreiten. Spätmoderne Zeitgenossenschaft wird an Entwicklungen anknüpfen, die quer zu den angesprochenen Prozessen der Modernisierung liegen, zugleich aber an wichtigen Prämissen und Errungenschaften der Moderne festhalten:

• Spätmoderne Theologie und Kirche können die Suche nach einem Sinn des Lebens begleiten und unterstützen, der die partikularen Bereiche des gesellschaftlichen Alltags überspannt, ohne aber die enormen Erfolge gesellschaftlicher Ausdifferenzierung zu negieren.

• Sie können die Sehnsucht nach Spiritualität aufgreifen, ohne aber in Irrationalität zu verfallen.

• Sie können die Ahnung der Begrenztheit einer rein autonomen und individuellen Daseinsdeutung und -bewältigung bestätigen, ohne aber den Anspruch der Selbstbestimmung zu hintergehen.

• Sie können Christen helfen, „aus der säkularisierungstheoretisch begründeten Selbsteinschüchterung herauszukommen“,39 werden aber auch zu einer Verkündigung, die der kritischen Rationalität der Hörerinnen und Hörer Rechnung trägt, und zu einem pastoralen Handeln, das Freiheit respektiert und ermöglicht, ermutigen.

Wenn dem Projekt der Moderne einerseits nicht einfach eine Absage erteilt wird, es sich aber so radikalisiert hat und so problematisch geworden ist, dass man auch nicht einfach daran festhalten kann, werden Kirche, Pastoral und (Praktische) Theologie (wie auch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft) mit einer Ohnmacht konfrontiert, mit der nicht einfach umzugehen ist. Wer sich solche Ohnmacht eingesteht, wird damit aber nicht automatisch handlungsunfähig oder völlig ratlos. Vielmehr wird er im Wissen um das Spannungsgefüge der Spätmoderne eindeutigen und einlinigen Erklärungen und einfachen, flächendeckenden Lösungen misstrauen. In diesem Sinne kann Praktische Theologie Reflexion und Orientierung erleichtern, indem sie erhellende Zusammenhänge aufweist und auf gelungene Beispiele zeitgemäßer Pastoral hinweist.40 Eine Praktische Theologie, die an der Zeit ist, kann so dem Volk Gottes auf dem Weg eine gute Begleiterin sein: Sie beansprucht in unübersichtlichen Zeiten nicht völlige Klarsicht, vernebelt aber auch nicht noch zusätzlich; sie bietet Deutungskategorien und Wegerfahrungen an, die Orientierung ermöglichen und zum nächsten Schritt ermutigen.

Praktische Theologie in der Spätmoderne

Подняться наверх