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6. Pluralitäten kultivieren

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Der soziale Körper des Volkes Gottes ist längst von einem Plural von differenten Idealtypen des Kirchlichen durchzogen – in unsystematischer Reihung ein Kaleidoskop von älteren und neueren Versuchen einer Zuordnung:

Katholizismus: fundamentalistischer Sektor, interaktiver Sektor, Sektor diffuser Katholizität, Sektor formaler Organisation, Bewegungssektor128
Sozialformen: gottesdienstzentrierte Ritenkirche, gemeindliche Insider-kirche, professionalisierte Sozialkirche129
Pfarrformate: Pfarrer-Pfarren, Aktivisten-Pfarren, verbindliche Gemeinden, schöpferische Netzwerke130
Gemeindentypen: vorbürgerliche Betreuungsgemeinde, bürgerliche Angebotsgemeinde, nachbürgerliche Beteiligungsgemeinde131
Priester: zeitloser Kleriker, zeitnaher Kirchenmann, moderner Gemeindeleiter, zeitoffener Gottesmann132
Diakone: liturgie-zentrierter Levit, helfend-diakonischer Samariter, politisch-diakonischer Prophet133
Pastoralreferenten: kirchliche Volkstheologen/-innen, funktionale Presbyter/-innen, konsequente Weltlaien134
Jugendarbeit: religiös interessierte Spirits, sozial engagierte Humans, erlebnismäßig orientierte Funs135

Das solchermaßen plural strukturierte Volk Gottes sucht sich mit Tapferkeit, Erfindungsgeist und Lebenswitz längst eigene Orte im spätmodernen Alltag der Gegenwart – und ist seiner Theologie damit voraus:

„Die Theologie ist […] zur Zeit eher mit bilanzierenden Projekten beschäftigt […] denn mit der Bearbeitung innovativer Themen […], wie sie sich aus der Situation des Volkes Gottes […] ergeben. […] Es soll daher die Vermutung zur Diskussion gestellt werden, dass die deutsche katholische Theologie […] nach ihrem Status als Hoffnungsträgerin […] im konziliaren Aufbruch nunmehr […] gegenüber der realen Problemlage des Volkes Gottes […] in einen spezifischen Rückstand geraten ist. […] Solange die Theologie sich mit dieser Gegenwart im Muster entsolidarisierenden Kulturpessimismus‘ […] auseinandersetzt, gerät sie massiv in Rückstand zum Volk Gottes […]. [Dessen Mitglieder führen längst ein eigenes, Ch. B.] Leben in den Pluralitätsstrudeln der Postmoderne […].“136

Man kann mit dieser Situation auf sehr verschiedene Weise umgehen. Einen Ansatzpunkt bietet einmal mehr Karl Rahner:

„P. [Pluralismus] im unvermeidl. Sinn einer kreatürl. Notwendigkeit bedeutet die Tatsache, daß der Mensch u. sein Daseinsraum […] trotz der Einheit in Gott […] aus so verschiedenen […] Wirklichkeiten gebildet werden, daß die Erfahrung des Menschen selber von ursprünglich mehreren Quellen herkommt […] u. er weder theoretisch noch praktisch diese Vielfalt auf einen einzigen Nenner bringen kann […], von dem allein aus diese Vielfalt […] beherrschbar wäre. Die […] Einheit der Wirklichkeit ist […] als […] eschatolog. Hoffnung da, nicht aber als verfügbare Größe. Dieser P. [Pluralismus] ist der Index der Kreatürlichkeit: nur in Gott ist alles eins […].“137

Diese protologisch begründete und eschatologisch offengehaltene Sichtweise von Pluralität teilen nicht alle, die sich auf Rahner berufen – wie zum Beispiel Thomas Pröpper mit seiner ‚Münsteraner Schule‘ theologischer Letztbegründung, der sich mit einem entsprechend positiven Gegenwartsbezug schwertut, weil er den Begriff der Spätmoderne im Sinne postmoderner Beliebigkeit versteht: „Der Spätmoderne weiß nicht mehr, was er denken soll, weil er alles denken kann. Im pluralistischen Einerlei traut er sich keine Wertungen mehr zu. […] Neu ist nicht das Problem des Pluralismus, sondern wie aus der Not eine fröhliche Tugend gemacht [wird]“138. Anders Elmar Klinger mit seiner ‚Würzburger Schule’139 einer befreiungstheologisch gewendeten und spätmodern angeschärften Konzilstheologie in der Spur Rahners. Für ihn ermöglicht Pluralität ein „neues Denken von Gott“140 jenseits einer Moderne, deren Denken in einer „Reihe von Fußnoten zu Platon“141 aufgehe:

„Es steht in einem direkten Widerspruch zum Platonismus. Es denkt Einheit und Vielheit anders. In der platonischen Tradition ist die Vielheit von der Einheit bestimmt und aus ihr abgeleitet. Sie geht aus ihr hervor und geht in sie zurück. Sie verhalten sich wie der Teil und das Ganze. Das Viele ist dem Einen untergeordnet, das Eine steht über dem Vielen […]. Im neuen Denken liegt das Verhältnis umgekehrt. Die Vielheit steht vor der Einheit, der Teil vor dem Ganzen. Die Einheit verkörpert Vieles und das Viele kann zur Einheit werden. Es ist das Fundament der Einheit. […] Auf dem Boden des Pluralismus wird das Denken Gottes selber neu.“142

Klinger zufolge schafft Pluralität die schöpferische „Polarität“143 von potenziell kreativen Differenzen, in denen Neues entstehen kann. Mit den Worten seines Lehrers Rahner gesprochen:

„Die Vielheit des vom einen Gott […] geschaffenen Seienden bedeutet notwendig eine Bezogenheit des Verschiedenen u. Gegensätzlichen aufeinander, weil sonst […] die Welt nicht einen Ursprung und ein Ziel haben könnte. Diese unterscheidende, einende u. gegenseitig tragende Beziehung verschiedener Seiender […] kann unter dem Bild einer ‚Polarität‘ (der zwei Pole des elektrischen Stromes usw.) verdeutlicht werden.“144

Praktische Theologie in der Spätmoderne

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