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Differenzen der Spätmoderne Praktische Theologie vor der Herausforderung der Gegenwart
ОглавлениеChristian Bauer
„You better start swimming,
or you’ll sink like a stone […]“41
Eine exemplarische Szene: Während einer theologischen Diskussion über die Postmoderne meldet sich ein sympathischer Praktischer Theologe der älteren Generation zu Wort. Er beklagt, dass heute alles ins Schwimmen geraten sei. Man müsse daher nach festem Grund suchen – woraufhin ein Systematiker folgendermaßen reagiert: „Wo alles ins Schwimmen gerät, ist es das Falscheste, mit den Füßen nach festem Grund zu suchen. Dann ertrinkt man nämlich. Man sollte lieber versuchen, schwimmen zu lernen.“
Schwimmen lernen in den Wassern der Spätmoderne, das ist gar nicht so einfach ohne sicheren Halt unter den Füßen – aber so schwierig, wie es zunächst scheint, ist es auch nicht. Denn nachdem die Moderne ihren „Schiffbruch mit Zuschauer“42 erlitten hatte, schwimmt im spätmodernen Meer der Gegenwart noch mancherlei brauchbares Treibgut herum. Man kann sich daran festhalten. Und vielleicht auch kleine Boote daraus zimmern. Folgende Warnung Friedrich Nietzsches, eines philosophischen Ahnherren der Spätmoderne, sollte man dabei allerdings stets im Ohr behalten:
„Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben die Brücke hinter uns, – mehr noch, wir haben das Land hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! sieh‘ dich vor! Neben dir liegt der Ocean, es ist wahr, er brüllt nicht immer, und mitunter liegt er da, wie Seide und Gold und Träumerei und Güte. Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er unendlich ist und dass es nichts furchtbareres giebt, als Unendlichkeit. […] Wehe, wenn das Land-Heimweh dich befällt, als ob dort mehr Freiheit gewesen wäre, – und es giebt kein ‚Land‘ mehr!“43
Die Begegnung von Theologie und Spätmoderne ist ein entsprechendes Abenteuer44, für das wie für alle riskanten Unternehmungen gilt: Es kann auch scheitern. Die Theologie kann an dieser Herausforderung entweder wachsen oder aber untergehen – entziehen darf sie sich ihr jedenfalls nicht: „Denn gegen die Realität hilft kein Wünschen: Sie stellt vielmehr Aufgaben. […] Die ‚Postmoderne‘ [bzw. die Spätmoderne, Ch. B.] ist – ebensowenig wie die Moderne – etwas, das man widerlegen kann: Man kann in ihr bestehen oder scheitern.“45 Eine in diesem Sinn gegenwartsfähige Pastoraltheologie braucht ein „abenteuerliches Herz“46, wenn sie sich auf dem Diskursniveau ihrer Zeit furchtlos und schwimmbereit der jeweils schärfsten Herausforderung stellt. Sie hat dabei wenig zu verlieren und viel zu gewinnen. Denn in einer „Gesellschaft ohne Baldachin“47 steht der Himmel wieder offen – daher gilt: Keine Angst vor fremden Denkern! Heute ist auch in der Theologie nicht mehr (wie noch in der Moderne) die Zukunft das Projekt48, sondern vielmehr das Projekt die Zukunft. Die Spätmoderne steht damit in assoziativer Nähe zum Begriff des Spätwerks: gereift, verdichtet, abgeklärt, experimentierfreudig. Jeder spätmodern ausgerichteten Pastoraltheologie stünde es nicht schlecht an, genau diese Eigenschaften zu besitzen.