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Vom Eustress zum Disstress
ОглавлениеIn der Tat wurde der Wirbel stärker, nur merkte ich anfangs nicht, wie der Eu- allmählich in Disstress umschlug. Direkt im Anschluss ans Studium erhielt ich einen der begehrten Plätze für ein Volontariat bei einer der größten deutschen Regionalzeitungen. Nach der zweijährigen Ausbildung verschlug es mich als Lokalredakteurin nach Solingen. Dort lernte ich in meiner neuen Kirchengemeinde meinen jetzigen Mann kennen, der zunächst etwas Ruhe in mein Leben brachte. Wenn nur die Arbeitszeiten nicht gewesen wären! 50- bis 60-Stunden-Wochen waren an der Tagesordnung. Überstunden wurden generell nicht verrechnet, sondern waren eine Selbstverständlichkeit. Kein Wunder, dass ich liebend gern auf Teilzeit gegangen wäre, als 2003 unser Sohn geboren wurde. Ein Ansinnen, das nach meiner zweijährigen Elternzeit von der Chefredaktion aus Gründen der „Praktikabilität“ abgelehnt wurde. Soweit zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ …
Ich fühlte mich zerrissen: Weder meinem Kind noch meinem Mann wurde ich gerecht – noch meinem selbst gesetzten Qualitätsanspruch in dem Job, der doch einst mein Traumjob gewesen war. Der innere Druck nahm zu. Sowohl zu Hause als auch in der Redaktion war ich immer nur halbherzig und nie „ganz“ da – immer den nächsten Termin vor Augen und all die Anforderungen und Erwartungen, die an mich gestellt wurden, im Hinterkopf. Unser Familienleben war „auf Kante genäht“: Mein Mann fuhr um 6 Uhr 30 zur Arbeit, ich brachte unseren Sohn zwischen 8 und 9 Uhr zum Kindergarten bzw. in die Schule und ging selbst zur Arbeit. Vom Kindergarten bzw. von der Schule – Es lebe die Ganztagsbetreuung! – wurde Raphael um 16 Uhr von seinem Vater abgeholt; von ihm wurde er meistens auch ins Bett gebracht, da ich selten vor 21 oder 22 Uhr, oft auch erst um 23 Uhr, nach Hause kam. Da durfte niemand krank werden; alle mussten „funktionieren“.
Auch in der Gemeinde konnte ich mich nicht so einbringen, wie ich es gewohnt war und weiter gern gewollt hätte: Mit mindestens einem Sonntagsdienst im Monat und kurzfristigen Abendterminen für die Redaktion waren es Freundinnen und Gemeindegruppen gewohnt, kurzfristig von mir versetzt zu werden.
Der Druck verschlimmerte sich, als ich nach gut vier Jahren in einem sehr angenehmen und kollegialen Team in eine andere Lokalredaktion versetzt wurde – mit einer sehr schwierigen Vorgesetzten. Der berühmte Tropfen, der das Fass nach zwei Jahren zum Überlaufen brachte, war die Tatsache, dass ich mir entgegen anderer Absprachen am achten Geburtstag unseres Sohnes keinen Urlaubstag nehmen durfte, obwohl ich entsprechend vorgearbeitet hatte.