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Auszeit
ОглавлениеDie Schuldgefühle meinem Sohn gegenüber, die zunehmenden Vorwürfe meines Mannes, unser chronisch gereiztes Miteinander (eher „Gegeneinander“) und die Verzweiflung angesichts meiner eigenen Ohnmacht ließen mich letztlich zusammenbrechen – innerlich und äußerlich. Ich ging zu meiner Hausärztin, zu der ich großes Vertrauen habe, und sagte: „Ich kann nicht mehr. Ich brauche eine Auszeit.“ Ihre fast erfreute Reaktion: „Darauf warte ich jetzt seit zwei Jahren, dass Sie das endlich mal einsehen!“ Schon häufiger hatte sie mich in der Vergangenheit krankschreiben wollen, weil ich immer wieder wegen offensichtlich psychosomatischer Beschwerden bei ihr vorstellig geworden war. Und immer hatte ich abgelehnt mit den Worten: „Nein, ich kann nicht ausfallen. Wir sind personell ohnehin so eng besetzt. Dann müssten die verbliebenen Kollegen ja noch länger arbeiten …“.
Dass der Gedanke „Ohne mich geht es nicht“ zugleich das fatale Motto meiner Herkunftsfamilie ist („Wer soll es denn sonst machen?!“), wurde mir erst im Lauf des folgenden sechswöchigen Klinikaufenthalts so richtig bewusst. Mit der Diagnose „Depressive Erschöpfung“ (im Volksmund auch „Burn-out“ genannt) kam ich in eine christliche Fachklinik im Taunus – schön weit weg von zu Hause, damit ich auch die therapeutisch vorgegebene dreiwöchige „Kontaktsperre“ einhalten konnte. Drei Wochen ohne die Stimme oder ein geschriebenes Wort meines Sohnes zu sein, war für mich das Härteste des ganzen Aufenthalts. Gleichzeitig half mir die Kontaktsperre, mich wirklich mal rauszuziehen aus allen Zuständigkeiten und darauf zu vertrauen, dass mein Mann die insgesamt sechs Wochen ohne mich dank der Hilfe unserer Eltern und Freunde (und natürlich einer vierseitigen To-do-Liste, die ich noch in der Nacht vor meiner Abreise geschrieben hatte …) schon managen würde.
Natürlich ließ sich mein „Hyperaktivitäts-Schalter“ nicht einfach umlegen. Mit-Patienten bescheinigten mir im Nachhinein, dass sie anfangs ihre Schwierigkeiten mit meinem Aktionismus, mit meiner „inneren Getriebenheit“ gehabt hätten. Während manche „Burnies“ bei ihren Ärzten zusammengeklappt und quasi zwangseingewiesen worden waren, hatte ich immer noch eine Rest-Energie, die meinem Umfeld, aber auch mir selbst fast unheimlich war: Ich entwickelte Ideen für die Gestaltung der Klinik-Abende und der Wochenenden und bot mich an, Ausflüge oder Konzertbesuche zu organisieren. Dass dieser Aktivismus letztlich dazu dienen sollte, mich vor der Auseinandersetzung mit mir selbst zu drücken, wurde mir erst im Lauf der Zeit bewusst.
Meine Schuldgefühle, dass ich nämlich womöglich jemandem den Klinik-Platz weggenommen hatte, der ihn dringender gebraucht hätte, konnte meine Gesprächstherapeutin Gott sei Dank vom Tisch wischen: Es sei gut, dass ich in einem vergleichsweise frühen Stadium gekommen war. Je eher man die Zäsur setze, umso leichter könne man mit ungesunden Lebensmustern und (unbewusst) einstudierten Verhaltens- und Denkweisen brechen.