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Sabine Frambach:
Eckstein, Eckstein

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»Du musst bis hundert zählen!«

Aisha und Renée rannten los. Tammy presste die Stirn gegen die Wand, spürte den Putz, aufgeheizt durch die Sonne. Sie legte einen Arm über den Kopf und kniff die Augen zu, sie blinzelte niemals, schummelte nicht. »Eins. Zwei. Drei.«

Sie zählte laut, übersprang keine Zahl. »Einundsechzig, zweiundsechzig.« Das Licht schwand; Kälte auf ihren Armen. Gänsehaut. Tammy zählte weiter. »Achtundneunzig, neunundneunzig. Hundert.« Sie hob den Kopf und rief: »Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein, über mir, unter mir, links und rechts neben mir, hinter mir, das gilt ja nicht, eins, zwei, drei, vier: Ich komme!«

Erst jetzt durfte sie von der Wand fort. Tammy rieb über ihre Arme. Die Sonne war verschwunden. Aisha versteckte sich fast immer hinter einem Baum, und Renée lief bis zur Scheune. Mama sagte, dass sie dort nicht spielen sollten. Sie stand seit Jahren leer, nur die Spinnen wohnten darin, spannten die Netze und warteten auf Fliegen. Die Dielen in der Scheune knarrten unter jedem Schritt. Irgendwann stürzte sie wohl ein, das Dach hatte Löcher, und es roch nach fauligem Holz. Doch Renée rannte immer wieder dorthin und stieg die Leiter bis zum Boden hinauf. Tammy schlich weiter, sie durfte die anderen nur nicht übersehen und an ihnen vorübergehen. Wenn Aisha und Renée zur Wand liefen, hatten sie gewonnen. An der Hauswand waren sie sicher.

Leise, die knackenden Äste auslassend, schlich Tammy den Weg entlang, die Bäume wisperten, die Luft schmeckte feucht. Kalt war es hier unter dem Blätterdach. Tammy glaubte, Aishas rotes Shirt hinter einer Eiche zu sehen, doch als Tammy um den Baum lief und rief: »Hab dich!«, war niemand dort. Die Scheune, sie mussten beide zur Scheune gelaufen sein!

Tammy rannte los. Es wurde bereits dunkel. Vor ihr sah sie die Scheune, der Platz davor säuberlich gefegt, ein paar Hühner stoben davon. Tammy riss die Tür auf, sie quietschte nicht. Es roch nach sauberem Stroh. »Gleich hab ich euch!«, rief Tammy, griff nach der Leiter und stieg hinauf. Die dritte Stufe, sie knarrte nicht. Tammys Fuß schwebte, sie stellte ihn nochmals auf, doch die Stufe gab nicht nach, seufzte nicht, knarrte nicht. Tammy schaute durch die Luke. Stroh, säuberlich geschichtet.

»Du suchst bestimmt deine Freundinnen.«

Die Stimme kam von unten, Tammy schaute hinab. Ein Mann stand da, die Hände hinter dem Rücken. Älter als Papa schätzte Tammy, obwohl er aufrecht stand. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen. Tammy schwieg.

»Deine Freundinnen sind im Haus. Komm doch hinunter. Wir trinken Milch mit Honig. Komm mit. Du willst sie doch wiedersehen.«

Tammy nickte. Sie kletterte vorwärts hinab, die Hände nach hinten gestreckt, um den Mann zu sehen. Die dritte Stufe. Kein Knarren. »Wer bist du?«, fragte Tammy.

»Ich bin Herr Eckstein«, antwortete der Mann. »Ihr habt meinen Namen gerufen. Wie oft ihr mich gerufen habt, doch ich fand euch nicht. Deine Freundinnen waren im Stroh versteckt, dieses Mal habe ich sie entdeckt. Nun sind sie meine Gäste. Komm mit.«

Tammy nickte. »Ich komme!«, rief sie. Dritte Stufe. Sie knarrte nicht. Zweite Stufe. Der Mann schaute sie an, legte den Kopf schief und leckte hastig über seine Lippen. Tammy starrte zurück, beugte die Knie, stieß sich mit den Händen ab und sprang auf den Mann zu. Er wich im letzten Moment aus, die Augen weit aufgerissen. Tammy schlug einen Haken und stürzte an ihm vorbei. Ein kleiner Spalt, sie drückte gegen die Tür, schob sich hindurch und rannte. Seine Stimme folgte ihr, ein Echo aus der Ferne. »Komm zurück, komm, deine Freundinnen warten auf dich!«

Hinter ihr dröhnten Schritte, immer lauter, je näher sie kamen. »Gleich hab ich dich«, rief er. Tammy schaute sich nicht um. Nicht hinsehen, nicht umdrehen, sie rannte durch den Wald, über die knackenden Zweige, hinter ihr tobte die Kälte, hinter ihr hallte die Stimme. Tammy floh, streckte die Hände aus, der Wind fuhr ihr mit eisigen Fingern ins Gesicht, da prallte sie gegen die Hauswand. Hier war sie sicher, hier konnte nichts geschehen. Wer an der Hauswand stand, war geschützt. Dunkelheit leckte über den Boden, doch Tammy kniff die Augen zu, legte einen Arm über den Kopf, ihre Stirn presste gegen den Putz. Sie wollte zurück, nur zurück. Kalte Finger glitten über ihren Rücken. Leise zählte Tammy: »Hundert, neunundneunzig, achtundneunzig.« Die Finger tasteten über ihr Gesicht, die Stimme kreischte. »Zweiundsechzig, einundsechzig.« Tammy schluckte und zählte immer weiter. »Drei. Zwei. Eins.« Sie schaute auf. Es war hell. Sie fuhr herum, wischte mit dem Ärmel die Tränen fort. Aisha und Renée starrten sie an. »Was ist jetzt, Tammy? Wir wollen Verstecken spielen.«

Tammy trat fort von der Wand, wischte nochmals über ihr Gesicht, rieb mit den Händen über die Arme und schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Ich bin zu alt für Verstecken.«

PHANTASTISCH! PHANTASTISCH!

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