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Gerald Bosch:
Phonetischer Paradigmenwechsel

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»Potztausendsakrament! Patagonischer Pavianarsch! Pest und Pocken! Parbleu!«

Leicht irritiert blickte ich von meinem Clipboard hoch.

Verlegen räusperte sich der Typ auf der Chaiselongue. »‘tschuldigung, Tourette.«

Auch das noch! Seitdem ich vor zwei Jahren bei der Word & more Consulting als Live Coach angefangen habe, sind mir schon ein paar schräge Vögel untergekommen, aber der hier hatte sich schon beim Reinkommen in die Top Ten Playlist hochgewuppt. Summa summarum ein eher spirreliger Typ, mit durchgestrecktem Rücken und geschwollener Brust, platter Nase, Pickeln und Pomadentolle. Schon der erste Eindruck hätte sofort die Geschmackspolizei alarmieren müssen: Pastellgrüne Popelinehose, purpurner Pullunder, pinkes Piquéhemd – gut, in diesem Punkte gibt es eventuell Diskussionsbedarf. Doch seine weiteren Accessoires wie Plüschpantoffeln, Piratenhut und Pincenez – absolutes No Go! Mental machte ich mir eine Notiz, ihm einen Termin bei meiner Kollegin Ramona zu besorgen, ihres Zeichens Expertin für Farb- und Stilberatung.

»Was führt Sie zu mir, Herr …«, mein Blick schweifte über die Liste, »… Peeh!«

»Please, bloß P«, stöhnte gequält mein Gegenüber. Seine Lippen formten hauchend den richtigen Laut. »Ohne e. Schlicht und einfach nur P. Puristenkacke! Putain!«

Blitzartig schoss mein Adrenalinspiegel auf Milchstraßenniveau: Mist, schon wieder einer dieser durchgeknallten Lettern aus dem Gutenbergprojekt, mit dem mein Chef voriges Jahr freudestrahlend von der Frankfurter Buchmesse zurückgekehrt war. Wie sich herausstellte, eine globale Imagekampagne für Buchstaben, die erst in die digitalen Wechseljahre und dann in kommunikative Vergessenheit geraten waren.

Als abgebrochener Kunstgeschichtsstudent und Hobbysinologe mit drei Jahren Berufserfahrung in der Eventgastronomie hatte ich bei W&mC recht bald den Ruf weg, ein fantasievoller Querdenker zu sein. Mein Erfolg schien diesem Image gerecht zu werden. Pech nur, dass mein Chef mir seitdem stets die hoffnungslosesten Fälle zuschusterte, an denen sich andere bereits alle Zähne ausgebissen hatten. Letzte Woche erst hatte ich bei einem schnöseligen M und einem verhuschten D (beides verkrachte Altphilologen) einen verborgenen Faible für große Zahlen entdeckt und die Jungs mit einem Crash Kurs in lateinischer Numerik für das Börsengeschäft in Italien fit gemacht. Und fast jeden Tag bekomme ich überschwängliche E-Mails von einem blassen C aus Madrid, das dank meiner aufmunternden Zurede – verbaler Tritt in den Allerwertesten wäre die wohl eher zutreffende Wortwahl – zur leitenden Position in der spanischen Kohlenstoffchemie aufgestiegen war. Die Wesenheit auf der Couch fiel offenbar in eine ähnliche Kategorie.

»Was stört Sie denn an Ihrem Dasein als Konsonant? Das Gros von Ihnen findet doch immer einen passenden Vokal als Partner für eine optimale Klangharmonie. Und wenn sie nicht gestorben sind … Geht dieses Konzept bei Ihnen etwa nicht auf?«

»Pshaw, meist schon. Doch die Monotonie geht mir auf den Geist: Immer nur Pe, Peh, Pee. Und dann schubbert dieses dösige e dauernd seinen Rücken an mir. In Kombi mit den anderen Selbstlauten steh ich übrigens keinen Deut besser da. Nehmen wir nur mal das o. Möchten SIE gerne jeden Morgen als ›Gesäß‹ begrüßt werden?«

Eins zu null für dich, mein Freund, dachte ich grimmig. Zuckersüß kam dann auch meine nächste Frage: »Könnten Sie sich denn eine Liaison mit einem anderen Konsonanten vorstellen?«

Frustriert winkte mein Gegenüber ab. »Hab ich schon probiert. Sowohl mit h wie mit s. Ging voll in die Hose. Beide sind mit meinem Pass und zwei minderjährigen is nach Griechenland durchgebrannt, wo sie kreuzfidel unter neuer Identität firmieren – Ψ & Φ Kyrillikon GmbH & Co. KG. Tolle Wurst.«

Diese Alternative brachte uns auch nicht weiter. »Hmm, Ihnen schwebt also eher ein völlig neues Leben als Single vor?« Ein breites Grinsen über seine beiden Pausbäckchen war mir Antwort genug. Dieses nerdige P als phonetischer Rambo? Tricky. Ein Hardlinerlabiallaut im Alleingang? Noch schwerer vorstellbar. Die Challenge gestaltete sich kniffliger als gedacht, und meinen Großhirnsynapsen gingen allmählich die Neurotransmitter aus.

Ein leises Pling! aus dem Laptop riss mich aus meinem Gedankenchaos. Schon wieder eine Mail von diesem überaus dankbaren Señor Carbonico. Der nervt allmählich, dachte ich mir … doch dann kam mir blitzartig die Erleuchtung.

»Ein vollständiger Existenzwechsel ohne Wenn und Aber? Sehr gut, ich hätt’ da vielleicht ‘ne Idee. Phonetisch gehören Sie doch zu den Plosiven, oder? Das wär’ schon mal die halbe Miete. Sie müssten sich allerdings von Ihrem bisherigen farblichen Outfit trennen und ausschließlich Rot, Weiß oder Schwarz tragen. Alles Weitere steht in diesem Infotext.«

Skeptisch überflog er meine Broschüre. »Periodensystem der Elemente? Sichere Existenz? Und obendrein mit hohem Unterhaltungswert?«

»Genau, anorganische Chemie ist DIE Lösung: V. Hauptgruppe Platz 15. Da geht die Post ab, sag ich Ihnen, als roter Phosphor können Sie's so richtig krachen lassen. Aus PLOSIV wird exPLOSIV. Party pur.«

Dem verschmitzten Lächeln nach zu urteilen, schienen meinem Kunden diese Aussichten zu gefallen. Ich hatte mal wieder den richtigen Riecher gehabt.

»Sollten Sie irgendwann doch wieder Stabilität und Ruhe in Ihrem Leben wünschen: Ich hätte da vier arbeitslose Os im Angebot, die nur darauf brennen, unter Ihrem Kommando die Arbeitsgruppe PHOSPHAT zu bilden. Und mit drei zusätzlichen Hs – die gibt’s auf dem freien Markt wirklich en masse – könnte Ihr chemisches SWAT-Team dann auch richtig schön ätzend werden. Projekt Phosphoric Acid. Geil, gell? – Abschließend nur noch eine klitzekleine Frage: Sie haben doch grundsätzlich keine Bindungsängste, oder?«

PHANTASTISCH! PHANTASTISCH!

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