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Hans-Dieter Furrer:
Das wundersame Puppenhaus

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Tante Sofia wohnte in einem schmucken Haus aus der Gründerzeit. In ihrer »guten Stube«, einem Wohnzimmer, das fast nie benutzt wurde, standen auserlesene Stilmöbel. Im Buffet bewahrte Tante Sofia ihr feinstes Porzellan auf. Und in einer gläsernen Vitrine stand das große Puppenhaus, das seit Generationen in Familienbesitz war. Seine Zimmer waren aufs Feinste ausgestattet und möbliert. Tischchen und Stühlchen mit gedrechselten Beinchen, handgeknüpfte Teppiche, gehäkelte Vorhänge. An den tapezierten Wänden hingen miniaturisierte Meisterwerke der Malerei. In der Küche stand ein Herd mit kleinen Pfännchen und Töpfchen aus Kupfer. Und im Studierzimmer ein volles Bücherregal mit winzigen Büchern.

Eigentlich war das Puppenhaus zum Spielen viel zu schade. Aber als Amelie kurz nach ihrem siebten Geburtstag ihre Tante besuchte, machte diese eine Ausnahme. Sie öffnete ihren Sekretär, ein stilvolles Möbel, in dem sie Briefschaften, Verträge und Quittungen aufbewahrte, nahm einen kleinen Schlüssel aus einem Fach ganz oben und schloss damit die gläserne Vitrine auf. Amelie durfte sich auf einen kleinen Hocker vor das Puppenhaus setzen.

»Sei bitte vorsichtig!« mahnte Tante Sofia. »Es ist ein sehr wertvolles Puppenhaus.« Dann ging sie in die Küche, um nach dem Schokoladekuchen zu sehen, den sie Amelie zuliebe in den Backofen geschoben hatte. Und Amelie war schon bald völlig in ihre Spielwelt versunken. Was es in diesem Puppenhaus nicht alles gab! Bei einem Kommödchen konnte sie behutsam die Schublädchen herausziehen. Und im Schlafzimmerschrank fand sich eine ganze Garderobe für die Puppendame des Hauses. Neben dem Schlafzimmer gab es ein Kinderzimmer mit zwei kleinen Bettchen und einem fein geschnitzten Schaukelpferdchen. Daneben stand ein Turm aus winzigen Bauklötzchen. Das Puppenhaus bewohnten kleine Stoffpuppen. Eine ganze Puppenfamilie, die Amelie jetzt im Wohnzimmer versammelte. Sie holte die Mutter aus der Küche, den Vater aus seiner Studierstube, die zwei Kinder aus ihren Bettchen und setzte alle auf Stühlchen rund um den Tisch. Als sie dann so überlegte, wie das Spiel weiter gehen sollte, fiel ihr Blick wie zufällig auf den blau lackierten Briefkasten mit dem gelben Posthorn an der Seitenwand des Puppenhauses. Im Einwurf steckte ein briefmarkengroßer Umschlag, den Amelie neugierig herauszog und öffnete. Ein Kärtchen mit folgendem Text in klitzekleiner Schrift kam zum Vorschein:

Willst du hinein,

dann denk dich klein,

ich lass dich rein.

Leise vor sich hin murmelnd las Amelie das Sprüchlein und stellte sich vor, dass sie ganz klein wäre wie die Bewohner des Puppenhauses. Und schwupp! Schon stand sie im Wohnzimmer und war püppchenklein. Erst war sie erschrocken, dann konnte sie es kaum glauben. Sie setzte sich auf einen freien Stuhl am Tisch und musterte die reglosen Stoffpuppen mit ihren aufgemalten Gesichtern. Die Puppenfamilie war gekleidet wie auf den alten Fotografien, die ihr Tante Sofia einmal gezeigt hatte. Am besten gefiel Amelie der Vater. Sein Hals steckte in einem steifen hohen Hemdkragen, den Tante Sofia einen »Vatermörder« nannte, was Amelie irgendwie unheimlich fand. Nach einer Weile stand sie auf. »Ich sehe mich ein bisschen im Haus um«, sagte sie mehr sich selbst als zu den stummen Puppen, ging in die Küche und zählte die Pfannen und Töpfe. Dann ging sie einen Stock höher ins Schafzimmer und schüttelte die Decken. Was war das für ein wundersames, aber auch irgendwie seltsames Gefühl, durch ein Puppenhaus zu gehen. Sie trat ins Kinderzimmer, setzte sich auf das Schaukelpferdchen und sah sich um. Da entdeckte sie das Puppenhaus. Es sah ganz genau so aus, wie das Puppenhaus, in dem sie sich befand. Und Amelie fragte sich, ob darin ein weiteres Puppenhaus war? Und in diesem noch eins?

»Amelie, es gibt Schokoladekuchen! Kommst du?«, rief Tante Sofia. Aus der guten Stube kam keine Antwort. »Amelie, kommst du bitte!« Immer noch keine Antwort. Und als die Tante die gute Stube betrat, fand sie den Hocker vor dem Puppenhaus leer.

»Amelie, wo bist du? Wo hast du dich versteckt?« Tante Sofia suchte in allen Ecken, in jedem Zimmer, sah unter Tische, öffnete Wandschränke. Keine Spur von Amelie! Beunruhigt lief Tante Sofia die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und durch die Hintertür hinaus in den Garten. »Amelie! Amelie!«

Wie aus weiter Ferne hörte Amelie die Rufe ihrer Tante. Sie hatte die Zeit völlig vergessen. Sie musste schnell in die gute Stube zurück, aber wie? – Jetzt nur keine Panik! Das Kärtchen! Darauf stand bestimmt auch, wie man wieder aus dem Puppenhaus hinaus kam. Sie eilte nach oben ins Wohnzimmer und griff nach dem kleinen Umschlag, den sie auf den Tisch gelegt hatte. Rasch zog sie das Kärtchen heraus, drehte es um – und war erleichtert. Auf der Rückseite stand:

Willst du hinaus,

denk dich vors Haus,

ich lass dich raus.

Kaum hatte Amelie diese Zeilen gelesen und sich vors Haus »gedacht«, sass sie wieder in voller Größe auf dem Hocker vor dem Puppenhaus. Schnell steckte sie den kleinen Umschlag, den sie immer noch zwischen den Fingern hielt, in den blauen Briefkasten an der Seitenwand. Und dann lief sie ins Wohnzimmer, wo Tante Sofias feiner Schokoladekuchen auf dem Tisch stand.

Außer Atem kam die Tante aus dem Garten ins Haus zurück. »Wo warst du, Kind? Ich hab dich überall gesucht!«

»Ich war im Puppenhaus, ich war ganz klein«, antwortete Amelie keck und blickte ihre Tante treuherzig an.

»Was heißt das, im Puppenhaus? Das ist unmöglich! Das hast du dir nur ausgedacht. Du hast eine blühende Fantasie, mein Kind!«

Was war eine blühende Fantasie? Amelie wollte Tante Sofia fragen, ließ es dann aber sein und stellte sich ein über und über mit fantastischen Blumen bewachsenes Puppenhaus vor.

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