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Esther Geißlinger:
Im Papierparadies

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Schlimmer als der Elefant im Porzellanladen

ist ein Drache im Bücherregal.

Bibliothekaren-Sprichwort

Woher das Ei stammte, ließ sich später nicht feststellen. Es lag in einem Korb, der eines Morgens auf meinem Schreibtisch stand. Als ich es in die Hand nahm, zerbrach die Schale.

Zu jenem Zeitpunkt leitete ich die Bibliothek seit fünf Jahren. Sie war mir als Erbteil zugefallen, obwohl ich einem verarmten Zweig der gräflichen Familie entstamme und mit dem alten Grafen Gundamar nur weitläufig verwandt war. Doch anders als seine Kinder teilte ich seine Liebe zu Büchern, hielt mich am liebsten in der Bibliothek auf und sog ihren Geruch nach Leder und Staub ein wie ein Parfüm. Zuerst verjagte Gundamar mich, den armen Hausgast, aus seinem Papierparadies, doch als ich mich wieder und wieder zurückschlich, duldete er mich, wurde mein Lehrer und väterlicher Freund. Häufig, wenn wir über einem Text brüteten, sagte er: »Dankwart, eines Tages ist dies alles dein.«

Als er starb, saß ich an seinem Bett, während seine Söhne und seine Tochter in fernen Ländern weilten und erst zur Testamentseröffnung ins Schloss zurückkehrten. Für sie enthielt der Letzte Wille ihres Vaters eine Überraschung, und es war keine freudige. Während der Verlesung tastete mein Vetter Florbert nach seinem Dolch, Sigmar ballte die Fäuste, und meine Base Eidrun stieß »Erbschleicher!« durch ihre prallen Lippen. Doch an dem Text gab es nichts zu deuteln: Mein war die Bibliothek, mein war das Schloss, um die kostbaren Bücher zu lagern, und mein war das Vermögen, um den Schatz zu erhalten. Meine Verwandten verließen den Stammsitz der Familie unter Flüchen, und ich winkte ihnen ein Lebewohl hinterher.

Der Erhalt einer solchen Bibliothek erfordert Geld und Erfahrung. Ersteres hatte das Erbe mir verschafft, Letztere errang ich im Lauf der Zeit durch Austausch, Gespräche, den Zukauf neuer Werke und zwei, drei Bändchen aus eigener Feder. Fünf Jahre nach Antritt des Erbes stand die gräfliche Bibliothek weithin in hohem Ansehen. Von meinen Vettern und der Base hörte ich nur gerüchteweise: Eidrun war ins Ausland gegangen und gänzlich heruntergekommen, Florbert bei einem Duell gestorben. Einzig Sigmar, der ältere Sohn Gundamars, schien Ruhe gefunden zu haben. Er lebte in einem nahen Wald, wo er der Jagd nachging und die Natur erforschte.

Als das Ei in meiner Hand zerbrach, schob sich eine spitze Schnauze heraus. Aus winzigen Nüstern kräuselte Rauch, grüne Augen starrten mich an. Im nächsten Moment sprang ein Drache, kaum größer als eine Hand, aber perfekt bis in die Krallen, aus dem Ei, entfaltete winzige Flügel und flatterte auf ein Regal, wo er zwischen den Büchern verschwand.

Drachen bleiben an dem Ort, an dem sie schlüpfen. Dort bauen sie ein Nest und horten ihre Schätze. Eine Höhle, einen Wald oder eine Ruine, die ein Drache sich als Wohnort wählt, sollten Menschen meiden. Aber das Schloss und alle Bücher darin dem Drachen überlassen? Niemals!

Wir versuchten, das Untier zu töten. Nächtelang lauerte ich ihm auf, während meine Gehilfen Krach schlugen, um es aufzuscheuchen. Wir hörten den Drachen rumoren und poltern – je größer er wurde, desto schwerer seine Tritte, desto lauter das Flappen seiner Flügel. Doch es vergingen Wochen, bis ich unversehens zwischen zwei Regalen auf ihn stieß. Er hatte bereits die Größe eines Ponys und hätte mich verletzten können, aber er schnaubte nur und floh.

In dieser Nacht ging ich allein in die Bibliothek, mit einer Lampe statt mit dem Schwert. Ich wanderte durch die Gänge, leuchtete in alle Ecken. Bisher hatte der Drache keinen Schaden angerichtet, niemanden angegriffen, kein Buch beschädigt. Dafür nahm der Bestand an Mäusen im Schloss stetig ab. Vielleicht mussten wir den Eindringling gar nicht töten oder vertreiben?

In der großen Halle trafen wir aufeinander. Der Drache schwebte von der Decke herab, als ich eintrat. Seit unserer Begegnung schien er erneut gewachsen zu sein, nun war er groß wie ein Pferd. Seine Schuppen glänzten im Lampenlicht, seine runden, tassengroßen Augen starrten mich an. Aus ihnen sprach Intelligenz, wenn auch keine menschliche.

»Verstehst du mich?«

Er neigte den Kopf.

Ich beschloss, das als Ja zu nehmen. »Du frisst die Mäuse. Das ist gut. Du hast kein Buch beschädigt. Das ist auch gut.« Tief atmete ich durch. »Wollen wir uns vertragen?«

Er stieß ein Zischen aus, Rauch stieg aus seinen Nüstern.

»Kein Krach, kein Feuer!«, mahnte ich streng. »Dies ist eine Bibliothek, mein Freund.«

»Freuuunn…« Sein Maul war nicht gemacht für menschliche Sprache, aber er gab sich Mühe.

»Wenn die Mäuse nicht reichen, bringe ich dir Futter«, bot ich an. Der Unterhalt eines Drachen kostete Geld, aber ich konnte Gehälter für Wachen sparen. Sacht legte ich ihm eine Hand auf den schuppigen Hals.

Zwei Jahre später unternahm ich den ersten Ritt auf seinem Rücken. Der Flug führte uns in den Wald, in dem mein Vetter lebte. Als der Drache, nun schon ein stattlicher Bursche von acht Meter Länge, vor der Hütte landete, stürzte Sigmar schreckensbleich heraus.

»Du hast mir das Ei geschickt«, sagte ich anstatt eines Grußes. »Was hast du gedacht – dass der Drache mich umbringt?«

Sigmars Gesicht verzog sich hasserfüllt: »Die verdammten Bücher sollte er verbrennen!«

Schnaubend schob sich der Kopf des Drachen auf Sigmund zu: »Büücher düüüürfen nicht brrrennen!«

Sacht klopfte ich auf seine Flanke. »Wir sind Bibliothekare, wir bringen keine potenziellen Leser um.« Zu Sigmar sagte ich: »Komm ruhig vorbei, es ist täglich geöffnet. Nur eines: Wenn jemand Flecken in ein Buch macht oder die Leihfrist überschreitet, versteht mein Freund gar keinen Spaß.«

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