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Maren Bonacker:
Mismatching Mitchells

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Als die Pakete kamen, war die ganze Familie in heller Aufregung. Zum einen, weil für jede Sendung allein vier Drohnen im Einsatz waren, was schon eine kleine Sensation war. Zum anderen, weil der ersehnte Paketinhalt so vielversprechend war.

»Ich nehme das Erste«, sagte Alex schnell, kaum dass es auf dem Boden aufgekommen war.

»Nein, das will ich«, maulte Lilly, knuffte Alex mit einem äußerst spitzen Ellbogen in die Seite und schob sich schnell vor ihn. Unsanft zog er sie an den Haaren zurück und achtete nicht darauf, dass sie dabei ins Straucheln geriet. Er war der Ältere der beiden Geschwister, und das erste Paket gebührte ihm, so viel war mal klar.

Gar nichts war klar, fand indes Lilly und biss ihn kurzerhand in die Wade. In dem Getümmel, das daraufhin entstand, hätten die beiden beinahe das zweite Paket mitsamt den Drohnen heruntergerissen.

Ihre Eltern, Susan und Frank Mitchell, warfen sich einen resignierten Blick zu. Szenen wie diese waren keine Ausnahme. Seit Lilly und Alex sich jenseits ihrer Babylauftrainer frei bewegen konnten, gingen sie aufeinander los. Sie hatten Angst, das größere Stück Beyond-Beef zu verpassen, kämpften erbittert um elterliche Zuneigung, gönnten einander kein Stück Stevia und mussten immer und auf jeden Fall die erste Rolle spielen. Hatten ihre Eltern die kleinen Auseinandersetzungen anfangs noch drollig gefunden, verärgerte sie der Zwist, je länger er andauerte. Obwohl ihre Wohneinheit exakt auf die vierköpfige Familie abgestimmt war und alle über den gleichen Raum verfügten, steigerten sich die Geschwister in zerstörerische Eifersüchteleien hinein und raubten den Eltern mit ihrem Gezänk den letzten Nerv. Besuche beim Familiencoach blieben erfolglos; alle Versuche, zu schlichten oder zu besänftigen, brachten nur für kurze Zeit Ruhe, bevor die Kinder eine neue Nichtigkeit fanden, über die sie sich erbittert in die Haare gerieten.

Als die Nachricht vom PaedX3.0 über die Screens flimmerte, schöpften die Mitchells Hoffnung. Als humanoider Gefährte war er für Alleinstehende oder kinderlos gebliebene Paare konzipiert. Tadellos im Benehmen, anspruchslos im Bedarf war der PaedX3.0 nur im positiven Sinne wahrzunehmen. Er parlierte aufs Artigste, konnte einfache Melodien auf verschiedenen Instrumenten spielen und erwies sich als kultivierter Gesprächspartner, der nie die Grenzen des guten Geschmacks verletzte. Vertrat er argumentativ die Gegenseite, dann nur, um die Kommunikation interessant zu gestalten. Sobald seine fein gestimmten Sensoren Unbehagen oder gar Verärgerung bei seinem menschlichen Gegenüber wahrnahmen, schaltete er in der Diskussion auf beifällige Zustimmung um und vermied so jeglichen Konflikt. Die Mitchells sahen eine Chance: In die Familie integriert könnte es der PaedX3.0 vielleicht schaffen, ihre Kinder zu einem besseren Miteinander anzuregen. Vorgelebte Harmonie, natürliche innerfamiliäre Liebe (wenn auch maschinell gestärkt), die perfekte Demonstration friedlichen Miteinanders – so wollten sie ihren Kindern ein positives Modell vorsetzen, dessen vorbildliches Verhalten hoffentlich auf Alex und Lilly abfärben würde. Sie schickten aktuelle 3-D-Bilder ihrer Kinder an die KI-Zentrale und beschlossen gleich zwei der kostspieligen Modelle zu leasen, die für den entsprechenden Zeitraum in ihrem Äußeren bis ins Detail an Alex und Lilly angepasst sein würden. So könnte Alex mitmenschlichen Umgang mit dem Konterfei seiner Schwester trainieren und Lilly zwistfreie Kommunikation mit dem Abbild ihres Bruders. Hatten Lilly und Alex gelernt, respektvoll und freundlich miteinander umzugehen, würde ein unkompliziertes Resetting persönliche Daten aus den elektronischen Gehirnen des PaedX3.0 zuverlässig löschen und die humanoiden Gefährten könnten – runderneuert – anderen Familien zugestellt werden.

Die Mitchells waren glücklich. Der Tag, an dem die Drohnen die beiden Pakete zustellten, sollte den Anfang einer neuen, harmonischeren Familie markieren. Dass zwei Mitglieder der Familie in just diesem historischen Moment ineinander verkeilt und verbissen über den allzeit staubfreien Teppich rollten, war zu verschmerzen; ein Ende der Ära »Mismatching Mitchells« endlich absehbar. Dachten die Mitchells.

Doch in den folgenden Wochen zeigte sich, dass Alex’ und Lillys Hang zu Rechthaberei, Neid und Streit deutlich stärker ausgeprägt war, als die Eltern geahnt hatten. Alex3.0 und Lilly3.0, wie sie ihre neuen Hausgenossen liebevoll getauft hatten, schalteten von angepasstem Betragen schnell auf unterwürfiges Hab-mich-lieb um und waren doch weit davon entfernt, durch ihre Nachgiebigkeit Frieden zu ernten. Vielmehr wurden sie geknufft und getreten, und einmal versuchte Lilly gar, Alex3.0 ein Glas Wasser in die Elekronik zu kippen. Nur die hautähnliche Rundumversiegelung verhinderte das Schlimmste.

Nach sechs Monaten kam wie vereinbart der Fragebogen über eine mögliche Leasingverlängerung. Frank und Susan saßen traurig über den Dokumenten und mussten sich eingestehen, dass sie gescheitert waren. Alle Versuche der positiven Interaktion hatten zu nichts geführt. Alex3.0 und Lilly3.0 waren jedermanns Liebling – nur an Alex und Lilly perlte ihre gleichbleibende Freundlichkeit ab. Das Experiment fortzuführen, hatte wenig Sinn, aber Frank und Susan wollten sich ihre Entscheidung nicht zu leicht machen.

»Wir könnten es noch sechs Monate versuchen«, wagte Susan zaghaft vorzuschlagen. Die Erinnerung an das freundliche Lächeln der beiden humanoiden Gefährten, als Lilly und Alex sie am ersten Tag aus ihren Verpackungen gerissen hatten, schmerzte. So hatten sie immer ihre Kinder sehen wollen – glücklich, unbeschwert, vielversprechend. Der PaedX3.0 entsprach genau ihrer Vorstellung von einem perfekten Kind.

Ihr Blick traf den ihres Mannes. »Wir könnten …« Aber als sie Franks entschlossenen Gesichtsausdruck bemerkte, brach sie ab. Dann nickte sie.

In stummem Einvernehmen packten sie die beiden Pakete. Sorgfältig polsterten sie alles aus – sie hatten die beiden doch irgendwie lieb gewonnen. Doch nun hieß es Abschied nehmen und nach vorn zu schauen, in ein anderes Leben; friedlicher und harmonischer als es je gewesen war. Und als die Drohnen am kommenden Morgen die Pakete mitnahmen und Susan und Frank Hand in Hand mit ihren humanoiden Gefährten auf der Veranda standen, wussten sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatten.

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