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4.2 Veränderungen des Repertoires bei Sprecher:innen von heritage languages

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Die linguistischen Repertoires von Sprecher:innen verändern sich über die Zeit, durch individuelle Bewegung, durch Ausbildung oder Beruf und auch aufgrund sozialer Bewertungen verschiedener sprachlicher Ressourcen. Damit befinden sich Sprecher:innen mit ihren Sprachen bisweilen in der Mehrheit (etwa mit Deutsch in Österreich), aber auch manchmal in Situationen, in denen manche ihrer Sprachen Minderheitensprachen darstellen. Der Begriff heritage languages verweist auf das mehrsprachige Spracherleben der Sprecher:innen, das unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer (in einem spezifischen Gebiet rechtlich anerkannten) Gruppe ist. Der Status der Sprachen, etwa die traditionelle Unterteilung in Regional- und Minderheitensprachen (wie etwa Slowenisch in Kärnten und der Steiermark oder Romani im Bundesgebiet) und Migrantensprachen (wie etwa Türkisch oder Polnisch) ist für manche Fragen natürlich nach wie vor relevant, erscheint in der Komplexität des Spracherlebens vielen aber nicht mehr passend. Sprecher:innen des Kärntner Slowenischen sind in Wien etwa nicht als Sprecher:innen einer Minderheitensprache anerkannt. Als Sprecher:innen von heritage languages können also jene bezeichnet werden, die aufgrund ihrer eigenen oder der mehrsprachigen Biographie ihrer Familie mit Sprachen aufwachsen, die nicht die Mehrheitssprache in ihrer Umgebung darstellen. Dabei kann auch Deutsch, etwa in den USA, eine heritage language sein. Die Vielfalt der Sprachen und die Diversität der mehrsprachigen Situationen lassen schon erahnen, dass man sich hier keine homogene Sprecher:innengruppe vorstellen kann – aber auch, dass es keine einfachen Linien zwischen sprachlich homogen imaginierten Gruppen gibt. Sprachwechsel oder auch Spracherhalt, der üblicherweise nicht alle sprachlichen Aspekte, sondern bestimmte Interaktionen und Situationen betrifft, sind relevante Themen für Sprecher:innen, deren Familienbiographien mehrsprachig verlaufen: Unter welchen Umständen sehen sich Eltern in der Lage, Sprache weiterzugeben und unter welchen Umständen werden Sprecher:innen ihre verschiedenen Ressourcen ausbauen oder weiter nutzen? Der US-amerikanische Anthropologe Paul Kroskrity (2018) stellt am Beispiel von zwei indigenen Gemeinschaften dar, wie sich Sprachideologien, also die Vorstellung, welche Sprachen zukunftsweisend, welche unabdingbar und welche eventuell mit Erfahrungen von Unterdrückung verbunden sind, auf den Erhalt von Sprachen auswirken. In jenem Dorf, das in der eigenen indigenen Sprache Möglichkeiten für zukünftige Projekte, u.a. nachhaltigen Tourismus, sah, wurde der Weitergabe und Verwendung größerer Stellenwert eingeräumt. Er unterstreicht aber auch, dass diese Ideologien nicht notwendigerweise von allen geteilt werden bzw. dass auch einander widersprechende Ideologien zur selben Zeit koexistieren können und je nach Bedarf aktiviert werden. Für den Sprachunterricht, aber auch für Institutionen und Behörden ist ein Verständnis der hegemonialen Sprachideologien von großer Bedeutung, können sie doch erklären, warum sich Sprecher:innen etwa im Kontakt mit Behörden nicht ihrer Erstsprachen, sondern z.B. ehemaliger Kolonialsprachen bedienen bzw. generell die Sprachwahl in verschiedenen Situationen nicht nur utilitaristisch motiviert ist. Gleichzeitig stärken Initiativen, die z.B. Dolmetschung aus Erstsprachen ermöglichen und diese nicht als nur lokal relevante Dialekte abqualifizieren, das Ansehen von Heritagesprachen und transportieren auch die Botschaft, dass diese gesehen und gehört werden (können).

Für manche Sprecher:innen erscheint die Verwendung ihrer Erst- oder Heritagesprachen an einem bestimmten Punkt unmöglich, etwa als Folge traumatischer Erfahrungen. Busch und Reddemann (2013) beschreiben den Fall einer Frau, die als Kind die Sprache ihres kriegstraumatisierten Vaters eng verbunden mit Misshandlungen erlebte und sich daraufhin in andere Sprachformen zurückzog bzw. versuchte, die Familiensprache so vollständig wie möglich zu verdrängen. Im Zuge einer therapeutischen Behandlung konnten andere sprachliche und kommunikative Ressourcen, etwa spirituelle Ausdrucksformen und auch Kommunikation mit Tieren, aktiviert werden und über diese gewählten Mittel konnte dann auch die Sprache der Kindheit wieder zugänglich werden. Auch in therapeutischen Settings ist die Bedeutung von Sprachen also zu verhandeln und auch die Erstsprache bietet bisweilen nicht privilegierten, sondern im Gegenteil sehr problematischen Zugang.

Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext

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