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3.1 GesundheitswesenDolmetschenim Gesundheitswesen

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Das medizinische Dolmetschsetting ist vor allem durch die hohe Spontanität des Dolmetschbedarfs gekennzeichnet. Als eine Lösung zur Überwindung von spontanen sprachlichen Hürden kann das TelefondolmetschenTelefondolmetschen eingesetzt werden (vgl. Bischoff & Grossmann 2007). In Österreich wird Telefondolmetschen über Sprachedirekt seit 2009 im medizinischen Setting angeboten (vgl. SpracheDirekt GmbH 2020), während in der Schweiz das Telefondolmetschen seit 2011 vonseiten des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und AOZ eingesetzt wird und stetig steigt (vgl. BAG 2020). Der videobasierte Einsatz hingegen wird in der Schweiz erst seit 2019 eingesetzt und dokumentiert (vgl. Interpret 2019). Aufgrund des hohen Bedarfs ist das video- und audiobasierte Dolmetschen in Deutschland in zahlreichen medizinischen Einrichtungen (vgl. Harrer & Kupfer 2017, Borde 2018) sowie in der medizinischen Beratung zu einer notwendigen Alternative für das Dolmetschen vor Ort geworden. Auf den zunehmenden Einsatz des Ferndolmetschens im GesundheitswesenDolmetschenim Gesundheitswesen hat sogar der größte deutsche Berufsverband für Dolmetschen und Übersetzen mit Empfehlungen in Form eines Positionspapiers reagiert (vgl. Bundesverband der Übersetzer und Dolmetscher – BDÜ 2018). Der Forschungsstand zum video- und telefonvermittelten Dolmetschen im DACH-Raum hingegen ist noch gering1.

Der Überbegriff Ferndolmetschen oder auch Teledolmetschen (engl. remote interpreting) umfasst sowohl das audio- als auch das videobasierte Dolmetschen.FerndolmetschenRealisierungsbedingungen Das audiobasierte Dolmetschen ohne visuelle Hinweise zur gedolmetschten Gesprächssituation ist primär in Form des Telefondolmetschens (engl. telephone interpreting, over-the-phone interpreting) bekannt2. Das TelefondolmetschenTelefondolmetschen, als älteste Form des Ferndolmetschens, ist aufgrund seiner weiten Verbreitung und einfachen Handhabung, bei der nur minimale technische Voraussetzungen erforderlich sind, flexibel einsetzbar. Folglich wurde der erste Telefondolmetschdienst bereits 1973 in Australien (vgl. Ozolins 1991), später in den USA und Großbritannien (vgl. Ozolins et al. 1999, Ko 2006) eingeführt und ist bis heute in den öffentlichen Einrichtungen dieser Länder etabliert.

Langer & Wirth (2014) untersuchten den Einsatz des Telefondolmetschens in einer deutschen Kinderklinik im Rahmen einer Pilotstudie mittels quantitativer Fragebogenbefragung (2010–2011). Dabei wurde die Zufriedenheit bzw. das Interesse an einer Telefondolmetschung erhoben (n=479). Obwohl das medizinische Personal mit der spontanen Verfügbarkeit und die befragten Eltern mit der hohen Kommunikationsqualität durch das Telefondolmetschen zufrieden waren, gaben nur 8,7 % der Befragten konkretes Interesse am Telefondolmetschen an. Dabei kann das Telefondolmetschen im Vergleich zum Dolmetschen vor Ort den Einsatz von qualifizierten Dolmetscher:innen ermöglichen, die nicht nur die sprachliche Verständigung gewährleisten, sondern auch die Einhaltung der Therapie unterstützen und dazu beitragen können, dass Untersuchungen und lange Aufenthalte in medizinischen Einrichtungen vermieden werden (vgl. Langer & Wirth 2014:279).

Bedingt durch die starken Migrationsbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 war die medizinische Versorgung in Deutschland sowie die damit verbundene notwendige sprachliche Verständigung, mitunter auch wegen der unklaren Kostenübernahme, überlastet. In der Erstversorgung der Migrant:innen wurden unterschiedliche Lösungsstrategien zur Bewältigung der SprachbarrierenSprachbarriere eingesetzt. Neben dem Dolmetschen vor Ort wurden in zeitknappen Situationen sowie nachts das Videodolmetschen und webbasierte Übersetzungsprogramme eingesetzt (vgl. Heer 2016:336).

In zehn ErstaufnahmeeinrichtungenDolmetschenim Gesundheitswesen Hamburgs wurde neben dem Dolmetschen vor Ort auch das Videodolmetschen eingesetzt. Die Studie von Mews et al. (2017) zur ambulanten Versorgung in Hamburg zeigt anhand einer quantitativen Querschnittserhebung wie unterschiedlich die Strategien zur Bewältigung der sprachlichen Barrieren ausfallen können. Niedergelassene Ärzt:innen (n=178) gaben in der Onlinebefragung an, dass sprachliche Probleme in medizinischen Gesprächssituationen mehrheitlich über Familienangehörige (n=94), bzw. auch über die Fremdsprachenkenntnisse der Praxisangestellten (n=59), den Einsatz nonverbaler Kommunikation (n=40) sowie mit Übersetzungsapps oder anderen technischen Mitteln (n=14) gelöst werden (vgl. Mews et al. 2017:463). Der Einsatz von Videodolmetschen wäre für 61 % der befragten Ärzt:innen (n=108) vorstellbar, auch wenn datenschutzrechtliche Bedenken bestehen.

Derzeit sind in Deutschland qualifizierte Sprach- und Integrationsmittler:innenDolmetschenals Sprach- und Integrationsmittlung telefon- und videobasiert in medizinischen und sozialen Einrichtungen über den Verein SprInt gemeinnützige eGenossenschaft im Einsatz (vgl. SprInt 2020, siehe auch Iacono in diesem Band). Die angestellten Sprach- und Integrationsmittler:innen arbeiten in eigens dafür eingerichteten internen DolmetschhubsFerndolmetschenDolmetschhubs (vgl. Havelka 2018a). Mit den pandemiebedingten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Covid-19-Virus wurden neben dem Video- und Telefondolmetschen auch Mehrpunktschaltungen zwischen drei Standorten durchgeführt. Aufgrund der alltäglichen Sprachbarrieren im medizinischen Setting wird in Deutschland und Österreich auch der Telefondolmetschdienst Triaphon gemeinnützige UG (vgl. Triaphon 2020) angeboten. Das Konzept der Sprachmittlung im medizinischen Setting basiert jedoch auf überwiegend nicht professionellen, ehrenamtlich tätigen Zweisprachigen.

Aus Österreich stammen zwei Primärstudien zum VideodolmetschenVideodolmetschen im Gesundheitswesen.Dolmetschenim Gesundheitswesen

Korak (2010) beschreibt die Machbarkeit des Skype-Dolmetschens in einem österreichischen Landeskrankenhaus. Die qualitative Untersuchung umfasst die leitfadengestützte Befragung von Dolmetscher:innen und Ärzt:innen. Das österreichische Pilotprojekt „Videodolmetschen im Gesundheitswesen“ (2013–2014) untersuchte, inwiefern sprachliche Barrieren in medizinischen Gesprächssituationen durch professionelle Videodolmetscher:innen abgebaut werden können. Am Pilotprojekt nahmen elf österreichische Gesundheitseinrichtungen teil. Die dolmetschwissenschaftliche Untersuchung (vgl. Havelka 2018b) zeigte anhand einer Analyse von fünf authentischen Videodolmetschungen sowie einer Befragung der Dolmetscher:innen, dass das videovermittelte Dolmetschen angepasste Dolmetschstrategien erfordert und vielfache Belastungen für die Dolmetscher:innen verursacht. Nach Ablauf des Pilotprojektes wurde das Videodolmetschangebot über das Unternehmen SAVD Videodolmetschen GmbH (vgl. SAVD 2020) fortgesetzt, das mittlerweile das video- und telefonvermittelte Dolmetschen in zahlreichen sozialen und medizinischen Einrichtungen sowie in Justizanstalten in Österreich und Deutschland anbietet.

In Deutschland sind Ärzt:innen aufgrund des Patientenrechtegesetzes verpflichtet, die sprachliche Verständigung im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patient:innen zu sichern. Bei sprachlichen BarrierenSprachbarriere ist jedoch die Kostenlast für die Dolmetschung nicht geklärt. Als Konsequenz dieser Ungewissheit und des allgemeinen strukturellen Mangels an professionellen Dolmetscher:innen im Gesundheitswesen werden zweisprachige Angehörige der Patient:innen oder nicht-medizinisches Krankenhauspersonal im Patient:innengespräch für die Dolmetschung eingesetzt. Dabei könnte das Video- und Telefondolmetschen eine Alternative für das Dolmetschen vor Ort darstellen. Die von Langer & Wirth (2014) vorgeschlagene Implementierung eines strukturellen Dolmetschangebots als Teil der notwendigen Gesundheitsversorgung bleibt weiterhin aktuell.

Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext

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