Читать книгу Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext - Группа авторов - Страница 31
2 Grundsätze der technikgestützten Dolmetschung
ОглавлениеMit dem zunehmenden Einsatz der Ferndolmetschformen ist eine Auseinandersetzung mit den grundlegenden Unterschieden zwischen den verschiedenen Ausführungsarten erforderlich. Das video- oder telefonbasierteTechnologiesettingorientierte Technologie bidirektionale Dolmetschen verlangt aufgrund der technikbedingten Realisierungsform gezielte und auf die jeweils eingesetzte Technik angepasste Dolmetschstrategien. Im Vergleich zum Dolmetschen vor Ort können für das audio- und videobasierte Dolmetschen folgende vier Grundsätze vorgeschlagen werden (Havelka 2020).
Grundsatz: Anders als vor Ort
Als kommunikative Handlung ist das Dolmetschen an die Realisierungsbedingungen des eingesetzten Kommunikationsmediums gebunden. Die technisch bedingte interpersonale Kommunikation unterliegt anderen Gegebenheiten als jenen vor Ort (vgl. Friebel et al. 2003:4). Hierbei ist unter anderem der Einsatz von nonverbaler Kommunikation und Backchannel-Signalen als Feedback zur Wahrnehmungsbereitschaft zu nennen (vgl. Havelka 2018b:114). Demzufolge ist das Dolmetschen aus der Ferne als eine eigene Dolmetschform zu verstehen.
Grundsatz: Digitale Kompetenzen
Digitale KompetenzenKompetenzendigitale Kompetenzen stellen einen Bestandteil des ganzheitlichen Dolmetschkompetenzmodells (vgl. Kadrić 2011) dar. Beim Dolmetschen aus der Ferne, z.B. audio- und videobasiertem Dolmetschen, werden die Anforderungen an die digitalen Kompetenzen von Dolmetschenden deutlich erweitert (vgl. Havelka 2019b: 170). Um die dolmetschrelevanten digitalen Kompetenzen zu erfassen, kann der Referenzrahmen für Digitale Kompetenzen (DigComp) der Europäischen Union (2018) herangezogen werden, der grundsätzlich aus fünf Kompetenzbereichen besteht: Informations- und Datenkompetenz, Kommunikation und Kooperation, Erstellung digitaler Inhalte, Sicherheit und Problemlösung. In Bezug auf das Dolmetschen mit IKT sind die genannten Kompetenzbereiche auf folgende Weise zu verstehen:
Informations- und DatenkompetenzDie terminologische Vorbereitung ist vor jedem Dolmetschauftrag unumgänglich. Dieser Kompetenzbereich umfasst jene Fähigkeiten, die eine auftragsbezogene Internetrecherche zur Terminologie, das Filtern, das Auswählen von relevanten Hintergrundinformationen sowie das Speichern und Verwalten der Terminologie ermöglichen.
Kommunikation und KooperationDer technikgestützte Austausch, die digitale Zusammenarbeit und Nutzung von IKT für die audio- und videobasierte Dolmetschung sind von diesem Kompetenzbereich umfasst. Grundlegend sind hierbei der Einsatz technikbedingter Dolmetschstrategien sowie eine an die eingesetzte Technik angepasste Vorgehensweise.
Erstellung digitaler InhalteAnders als bei einer Dolmetschung vor Ort entstehen durch die audio- und videobasierte Dolmetschung neue digitale Inhalte, die über digitale Wege verbreitet werden können. Der Umgang mit auditiven und visuellen Daten ist in diesem Kompetenzbereich zentral.
SicherheitDie geltenden Datenschutzbestimmungen in Hinblick auf die Datensicherheit von Geräten und den DatenschutzDatenschutz von Inhalten und personenbezogenen Daten und auch auf den Schutz des sozialen, physischen und psychischen WohlbefindensFerndolmetschendigital wellbeing (engl. digital wellbeing) sind von diesem Kompetenzrahmen umfasst.
ProblemlösungDer Kompetenzbereich Problemlösung umfasst sowohl die Lösung von technischen Problemen als auch den kreativen Einsatz von technikgestützten Lösungen im Dolmetschprozess.
Grundsatz: Wahrnehmung
Die RealisierungsbedingungenFerndolmetschenRealisierungsbedingungen der audio- und videobasierten Gesprächssituation sind grundlegend von den jeweiligen technikbedingten Wahrnehmungsmöglichkeiten abhängig. Die Wahrnehmung erfolgt in der Gesprächssituation über zwei Informationsquellen: die auditive und die visuelle Informationsquelle. Situative Hinweise werden durch den Kontext der Dolmetschung generiert. Auditive, visuelle und situative Hinweise aus der technikgestützten Gesprächssituation können getrennt voneinander oder als ganzheitliches Phänomen auf den translatorischen Handlungsauftrag umgelegt werden. Die hier zum Tragen kommende referentielle Kompetenz ist als eine metakommunikative Kompetenz zu verstehen (vgl. Havelka 2018b: 158ff.).
Grundsatz: Höhere Belastung
Bisherige Untersuchungen zum videovermittelten Dolmetschen zeigen, dass Ferndolmetschen bei Dolmetscher:innen zu Stressgefühlen führen, die Ermüdung beschleunigen (vgl. Moser-Mercer 2003) und EntfremdungsgefühleDigitalisierungEntfremdung (vgl. Mouzourakis 2003) sowie ein Gefühl von Kontrollverlust (vgl. Moser-Mercer 2005) verursachen kann. Die höhere Belastung kann auf zwei Formen von Einflussfaktoren zurückgeführt werden: interne und externe Einflussfaktoren. Als externe EinflussfaktorenFerndolmetschenexterne Einflussfaktoren sind umgebungs- und technikbedingte Störfaktoren zu verstehen. Interne EinflussfaktorenFerndolmetscheninterne Einflussfaktoren hängen direkt mit der Person der DolmetscherIn zusammen und können durch mangelnde terminologische Vorbereitung oder fehlende digitale Kompetenz, aber auch nicht technikangepasste Dolmetschstrategien verstärkt werden. Implikationen der Ferndolmetschung, wie die räumliche und soziale Distanz, können den Vertrauensaufbau zwischen den Gesprächsbeteiligten erschweren (vgl. Braun 2004:23, Havelka 2018b: 115ff.).