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Die Medizin der Zukunft ist datengetrieben

Peter Gocke

Die Digitalisierung hat längst alle beruflichen wie privaten Lebensbereiche erfasst und macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt. Damit einher geht eine zunehmende Generierung und Aggregierung von Daten, deren Nutzung wir auch persönlich in beiden Bereichen erfahren: Wo in Logistikunternehmen Algorithmen zukünftige Bestellungen immer präziser vorhersagen können, so erleben wir im privaten Umfeld, wie, basierend auf unserem Surfverhalten, konkrete Vorschläge zu Inhalten und Themen in unseren Webbrowsern auftauchen.


Digitalisierung generiert und nutzt Daten.

Die Vorteile, die sich aus einer konsequenten Nutzung von Daten insbesondere für eine bessere Gesundheitsversorgung ergeben können, sind leicht aufzeigbar: ein Algorithmus, der beispielsweise im Krankenhaus kontinuierlich die Nierenwerte von Patienten überprüft, kann dem medizinischen Personal rechtzeitig wertvolle Hinweise auf Befundkonstellationen geben, die einer weiteren Abklärung bedürfen, und damit die medizinische Versorgung von Patient:innen deutlich verbessern. Abbildung 1 zeigt als Beispiel einen Algorithmus, der Nierenfunktionsstörungen (AKI = Acute Kidney Injury) entdecken kann – eine solche AKI findet sich nach Literaturangaben bei 8–22% aller Krankenhauspatient:innen (Khadzhynov et al. 2019) und ist somit ein durchaus relevantes klinisches Ereignis.

Im Prinzip bringt ein solcher Algorithmus nierenärztliches Fachwissen an jedes Krankenbett – und das ist etwas, was die (sofern im Krankenhaus überhaupt verfügbaren) Nierenfachärzte so nie leisten könnten. Im englischen NHS (National Health Service) ist dieser Algorithmus daher sogar landesweit einheitlich zur Implementierung empfohlen (NHS 2021).

Abb. 1 Algorithmus zur Auslösung eines elektronischen Alarms bei AKI (Acute Kidney Injury; NHS 2021)

Der beschriebene Algorithmus ist sehr einfach aufgebaut und stellt nur geringe Anforderungen an die Datenerhebungsqualität, im Prinzip genügen bereits zwei Serum-Kreatinin-Messungen an zwei verschiedenen Tagen, sodass er sich direkt im Laborinformationssystem eines Krankenhauses abbilden lässt – zu regeln ist dann noch der elektronische Alarmierungsweg. Dennoch zeigt sich hier ein Problem, welches die datengetriebene Medizin in Deutschland hat: Algorithmen verlangen nach eindeutigen, qualitativ gesicherten strukturierten Daten. Die Fähigkeit des deutschen Gesundheitswesens, solche hochwertigen klinischen Daten flächendeckend zu generieren und zu verarbeiten, ist im internationalen Vergleich gering ausgeprägt. Vielfach existieren auch innerhalb eines Krankenhauses unterschiedliche Systeme für die Erfassung und Speicherung von Daten, die dann eine gemeinsame Auswertung durch einen Algorithmus verhindern. Ganz zu schweigen davon, dass vielfach Daten nur in Form von PDF-Dateien archiviert werden, die nicht die von Algorithmen benötigten strukturierten Daten in einem genormten Standard enthalten.


Digitale Medizin ist die gemeinsame Nutzung hochwertiger strukturierter Daten in Echtzeit.

Das PDF-Dilemma wird uns noch in einem anderen Zusammenhang beeinträchtigen: Das Gesundheitssystem in Deutschland unternimmt derzeit große Anstrengungen, auf Basis der Telematikinfrastruktur für jede versicherte Person eine elektronische Patientenakte bereitzustellen. In der ersten Ausbaustufe wird diese Akte noch überwiegend PDF-Dokumente und wenige strukturierte Daten enthalten. Eine solche elektronische Akte wird bei manchen Krankheitsbildern schon nach wenigen Jahren eine Vielzahl von Dokumenten enthalten können. Diese in einer Krankenhausambulanz innerhalb der nur kurzen Zeitspanne, die dafür zur Verfügung steht, vollständig erfassen und bewerten zu können wird ohne die Unterstützung von Algorithmen nicht mehr möglich sein. Allein dieser Umstand setzt zwingend voraus, dass auch die elektronische Patientenakte zukünftig mehr strukturierte Daten enthält.

Zwar ist der Weg hier vorgezeichnet, in dem die KBV mit der Definition der sogenannten medizinischen Informationsobjekte (MIO) beauftragt ist, welche im Prinzip die erforderlichen strukturierten Datensätze enthalten. Im ersten Schritt im Jahr 2022 werden diese aber nur der elektronische Mutterpass, der elektronische Impfpass, das elektronische Zahnbonusheft und das elektronische U-Heft der Untersuchung von Kindern umfassen. Je eher wir dazu kommen, dass sämtliche relevanten Daten von Patient:innen in nach internationalen Terminologien und Standards strukturierter Form vorliegen, umso eher können Algorithmen ermitteln, welches Problem bei einer Patientin oder einem Patienten vorliegt, und die Zusammenfassung liefern, die sich heute jede Ärztin und jeder Arzt durch Lesen der einzelnen Dokumente erarbeiten müsste.

Auch die für 2024 vorgesehene sogenannte Forschungskompatibilität der elektronischen Patientenakte setzt voraus, dass alle relevanten Daten in strukturierter Form vorliegen. Die dafür nötigen Standards wie die internationale medizinische Terminologie SNOMED CT („Systematized Nomenclature of Medicine Clinical Terms“), das ebenfalls international standardisierte Verschlüsselungssystem für medizinische Untersuchungen bzw. deren Ergebnisse LOINC („Logical Observation Identifiers Names and Codes“) und andere sind bereits lange verfügbar und seit Kurzem auch hierzulande anwendbar, nachdem Deutschland eine nationale Lizenz für SNOMED CT erworben hat.


Die Zukunft der Medizin ist datengetrieben.

Die Transformation des Gesundheitswesens in Richtung einer nicht nur in der Forschung, sondern auch in der alltäglichen Versorgung datengetriebenen Medizin ist also vorgezeichnet und hat bereits begonnen – dabei ist darauf zu achten, dass die bereits in der analogen Medizin störenden Barrieren zwischen dem ambulanten und stationären Sektor in einem digitalen Sektor nicht zugelassen werden: Die Medizin braucht Daten – Daten brauchen Strukturen – Strukturen brauchen Sicherheit.

Literatur

Khadzhynov D, Schmidt D, Hardt J, Rauch G, Gocke P, Eckardt KU, Schmidt-Ott KM (2019) The incidence of acute kidney injury and associated hospital mortality – a retrospective cohort study of over 100.000 patients at Berlin’s Charité hospital. Dtsch Arztebl Int 116, 397–404. doi: 10.3238/arztebl.2019.0397

National Health Service – NHS (2021) Acute Kidney Injury (AKI) Algorithm. URL: https://www.england.nhs.uk/akiprogramme/aki-algorithm/ (abgerufen am 24.06.2021)

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