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3 Die Digitalstrategie für das Krankenhaus
ОглавлениеEcky Oesterhoff und Henning Schneider
Braucht das Krankenhaus eine Digitalstrategie? Was ist überhaupt eine Digitalstrategie? Wird die nicht von der IT gemacht? Wir haben doch bei uns eine Medizinstrategie, der sollte doch die IT als Unterstützer folgen, oder?
Wenn wir davon ausgehen, dass es in 5–10 Jahren spürbar weniger Krankenhäuser gibt als im Jahr 2021 und wir wissen, dass wir uns gerade in diesen Jahren in einem disruptiven Prozess des Gesundheitswesens befinden, dann scheint es logisch, dass der Umgang mit dem Thema „Digitalisierung“ und der Fortbestand eines Krankenhauses eng miteinander verwoben sind. Oder um es noch klarer zu formulieren:
Ein Krankenhaus, das heute nicht zumindest einen zielorientierten Strategieprozess angestoßen hat, wird in existenzielle Nöte geraten. Die Frage ist lediglich, wann.
Die Digitalisierung wird oft mit der Erfindung der Dampfmaschine und der Industrialisierung verglichen. Auch hier entstanden neue Berufsbilder, andere verschwanden oder haben sich massiv verändert. Zudem waren die Prozesse von einer euphorischen Aufbruchstimmung, aber auch von großen Ängsten geprägt.
Die Besonderheit in der Digitalisierung der Krankenhäuser besteht darin, dass wir uns im Grunde nur umschauen müssen. Es gibt einen großen Bruch zwischen dem privaten Erleben der digitalen Welt und dem, was uns als Patientin und Patient oder als Mitarbeiterin und Mitarbeiter in deutschen Krankenhäusern begegnet. Wer heute Kolleginnen und Kollegen für Berufe in der Pflege rekrutieren möchte, der trifft auf Menschen, die in aller Regel keine Überweisungsträger mehr zur Bank gebracht haben und denen die Karten-App deutlich vertrauter ist als die papierene Straßenkarte. Login funktioniert per Gesichtserkennung, und alle Daten sind im Zugriff, wenn sie benötigt werden.
Die meisten Krankenhäuser haben viele kleine Inseln von teilweise herausragender IT-Ausstattung. Sie haben aktuellste diagnostische Großgeräte und den neuesten Hybrid-OP im Umkreis, in dem sogar ein OP-Roboter betrieben wird. In aller Regel sind dies aber digitale Teilprozesse, die einen einzelnen Use Case oder Diagnose-, Therapie- oder Prozessschritt unterstützen. Dies hilft aber nicht gegen die fortwährenden Medienbrüche, die Zeit, Geld und Behandlungsqualität kosten. Und es hilft auch nicht, die immer komplexer werdenden Kommunikationsbeziehungen zu den Partnern außerhalb des Hauses abzubilden. Parallele Dokumentation auf Papier und am Computer ist der Alltag und führt dazu, dass IT nicht als eine Verbesserung der Arbeit wahrgenommen werden kann.
Die Welt um die Krankenhäuser herum beschäftigt sich mit KI, Big Data und Evidence based Medicine, die Krankenhäuser beschäftigen sich mit dem Faxversand der Papierakte.
Dem ist nur mit einer tragfähigen Digitalisierungsstrategie zu begegnen, die die Abläufe und Prozesse und deren disruptive Veränderung durch Einsatz von IT im Fokus hat.
Wir wissen aus Branchenumfragen, dass je nach Art der Frage oder des Fragenden etwa nur 50–70% der deutschen Krankenhäuser eine IT-Strategie haben. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ein vermeintlich auskömmliches IT-Budget nicht mit einer Digitalisierungsstrategie gleichzusetzen ist. Hierfür gibt es zahlreiche Gründe: Die Budgets der IT-Abteilungen sind in aller Regel völlig insuffizient, um von einer Elektrifizierung zu einer Digitalisierung zu kommen. Noch wichtiger als die finanziellen Mittel ist aber die notwendige Überzeugung der Entscheider:innen eines Krankenhauses zur Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie. Einige innovative Häuser sind den Weg gegangen, eine verantwortliche Person als Digitalisierer: in auf Geschäftsleitungsebene zu installieren („CDO“ oder „CIO“). Noch wichtiger ist aber, dass die gesamte Führung eines Hauses die Digitalisierung als dauerhafte und nachhaltige Motivation verstanden hat und vorleben kann. Dabei geht es nicht nur um die Einführung eines IT-Systems, sondern vielmehr darum, die Kultur, Organisation und Arbeitsabläufe so zu führen und anzupassen, dass diese überhaupt mit großen Veränderungsprozessen, neuen Technologien und auch deren Problemen und Fehlern umgehen kann. IT-Abteilungen leiden oftmals unter dem Druck, eher als Kostentreiber denn als Innovationsmotor einer Einrichtung zu gelten. Auch deshalb sollte eine Digitalstrategie nicht der IT allein überlassen sein, sondern vielmehr die Menschen einbinden, die schließlich mit den Ergebnissen arbeiten werden. Wir haben in der Fläche viel zu wenig medizinisches Personal, das sich mit Digitalisierung auseinandersetzen kann oder darf. Und vice versa auch zu wenig medizinisches Wissen in den IT-Abteilungen. In der Vergangenheit wurden möglichst kurz und möglichst spät Ärzt:innen, Pfleger:innen und Therapeut:innen in IT-Projekte eingebunden, weil deren Ressourcen ebenfalls knapp waren.
„Key User“ für IT-Projekte werden oft diejenigen, deren Fehlen im Fachbereich am wenigsten bemerkt wird.
Wünschenswert ist hier ein komplettes Umdenken hin zu digitalaffinem medizinischem Personal, das sich in Vollzeit um die Digitalstrategie des Hauses gemeinsam mit der IT kümmern kann. Die IT sollte als Werkzeug des medizinischen Personals verstanden werden, das geformt und erlernt werden muss.
Die Digitalstrategie eines Krankenhauses wird niemals „fertig“ oder „komplett umgesetzt“ sein. Diese Pläne entstehen in einem technologisch, politisch und kulturell sehr dynamischen Umfeld. Vielmehr handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess, der iterativ den sich verändernden Rahmenparametern angepasst werden muss. Dennoch entstehen die Strategien in einem stark regulierten Markt, der mehr als alle anderen Branchen der regulativen Aufsicht und auch der Steuerung und den Berichtspflichten durch die Selbstverwaltung unterliegt.
Schon heute sind zu kleine und oft wenig akademisierte IT-Abteilungen viel zu wenig mit Prozessen beschäftigt, die unmittelbaren Einfluss auf die Patientenbehandlung haben. Sie stellen Rechner und Drucker auf, sie konfigurieren Netzwerke, sie administrieren Firewalls und Intrusion-Prevention-Systeme (wenn sie denn bereits eines im Einsatz haben), sie bedienen unzählige Schnittstellen zu diversen medizinischen Registern und Qualitätsdatenbanken, kümmern sich um Telefonie- und Videosysteme, verantworten das Lizenzmanagement etc. Kurzum: Das IT-Department ist komplett mit der täglichen Aufrechterhaltung des infrastrukturellen Status beschäftigt. Und dies unter stark steigenden Anforderungen bezüglich Cyber-Crime und Datenschutz:
Große Häuser (>30.000 stationäre Fälle p.a.) werden vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie („BSI“) als KRITIS, d.h. kritische Infrastrukturen betrachtet, also zu Recht wie Kraftwerke oder Banken. Und auch kleinere Häuser werden zukünftig ab 2022 den sog. „B3S“ anwenden müssen – ein Branchenstandard, der von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in Abstimmung mit dem BSI erarbeitet wurde und sich an die KRITIS-Verordnung anlehnt.
Der Umgang mit der Informationssicherheit ist dabei genauso wenig ein IT-Thema wie die Entwicklung der Digitalisierungsstrategie. Beides gehört in die Verantwortung der Unternehmens- und Geschäftsführung und wird Grundlage und ein wichtiger Erfolgsfaktur zukünftiger Krankenhäuser sein.