Читать книгу Digitalisierung im Krankenhaus - Группа авторов - Страница 27
Оглавление2
Öffentliche Datenschätze bereichern die Krankenhausstrategie
Hannes Dahnke und Eberhard Hansis
Daten gelten als „das neue Öl“. Heute ist es Konsens im Krankenhauswesen, dass gute Entscheidungen auf einer breiten Datenbasis getroffen werden. Es gibt unzählige Datenquellen, die helfen, jedes Krankenhaus von innen und auch von außen in seinem Wettbewerbsumfeld besser zu verstehen. Täglich erzeugt jedes Krankenhaus große Datenmengen. Diese proprietären Daten eines Hauses sind sein wertvoller Rohstoff für eine optimale medizinische Versorgung, faktenbasierte Unternehmensführung sowie für effiziente Prozesse.
Jedoch passt bei öffentlichen Daten die Öl-Metapher weniger gut. Denn dieser Rohstoff ist für jeden frei verfügbar. Hier kommt es nicht auf den Besitz, sondern auf die Veredelung der Daten an: ihre sachkundige Analyse und Auswertung durch geeignete Werkzeuge. Wer öffentliche Daten profund nutzt, dem liefern sie tiefe Erkenntnisse für datenbasierte Entscheidungen zur Krankenhausstrategie.
2.1 Reiche Datenlage im deutschen Krankenhaussektor
In Deutschland ist der Rohstoff öffentlicher Daten reich vorhanden: In kaum einem anderen Land findet sich eine solche Transparenz des Krankenhaussektors. Hier nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle ein. Seit 2005 sind die Krankenhäuser in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet, Qualitätsberichte zu veröffentlichen. Seit 2014 geschieht dies jährlich.
Die Qualitätsberichte der Krankenhäuser sind die wichtigste öffentliche Datenquelle, um das Leistungsgeschehen im stationären Sektor zu analysieren. Sie liefern vielfältige Basisdaten des Hauses (z.B. Fachabteilungsstruktur, Bettenzahl, stationäre Fallzahl, Personalzahlen) sowie die Fallzahlen zu Hauptdiagnosen und Operationen/Prozeduren. Die zweite Komponente der Berichte sind Qualitätsindikatoren und Qualitätssicherung.
Wie können diese reichen Datenrohstoffe veredelt werden? Und wie können Leitungsteams in Krankenhäusern die öffentlichen Datenschätze für ihre strategischen Entscheidungen nutzen?
2.2 Daten bereinigen für verlässliche Ergebnisse
Manchmal werden Zweifel an der Qualität der berichteten Zahlen geäußert. Wir beobachten allerdings, dass die Qualitätsberichte der Krankenhäuser über die Jahre kontinuierlich zuverlässiger geworden sind. Zudem können Fehler durch interne Konsistenzprüfungen gefunden und ggf. aus der Analyse herausgenommen werden. Auf diese Weise bereinigte Daten liefern verlässliche Ergebnisse.
2.3 Mehrere öffentliche Datenquellen kombinieren
Die Qualitätsberichte sind aber nur eine der zahlreichen öffentlichen Datenquellen, mittels derer der Krankenhaussektor analysiert werden kann. Kombiniert man verschiedene Datenquellen, gepaart mit passenden Algorithmen, eröffnet sich eine breite Vielfalt von Analysemöglichkeiten, um ein genaues Bild von jedem deutschen Krankenhaus zu erhalten. Beispiele dafür zeigt Abbildung 1.
Dies erläutern wir im Folgenden anhand einiger relevanter Themen.
Abb. 1 Öffentliche Datenquellen (grau) und abgeleitete Informationen (grün) für das Krankenhauswesen
2.4 Demografische Prognosen hausspezifisch erstellen
In der langfristigen Krankenhausplanung spielt ein Faktor eine wichtige Rolle: die zukünftige Fallzahlentwicklung durch den demografischen Wandel. Diese lässt sich gut aus öffentlichen Daten modellieren. Die statistischen Ämter des Bundes und der Länder veröffentlichen regelmäßig Berechnungen der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung. Kombiniert man diese mit alters- und geschlechtsspezifischen Inzidenzdaten, kann man die Entwicklung der Krankheitsbilder bzw. Prozeduren vorhersagen, die ein Krankenhaus berichtet. Somit lässt sich eine demografische Fallzahlprognose berechnen, die die regionale demografische Entwicklung und das medizinische Profil eines Hauses mit einbezieht.
Diese Prognose fällt je nach Region und Fachbereich stark unterschiedlich aus: Während beispielsweise in Freiburg im Breisgau mit einem Anstieg der Geburtenzahl von mehr als 5% über die nächsten 10 Jahre zu rechnen ist, sinkt diese am westlichen Rand des Saarlandes um mehr als 10%. Die Nachfrage nach geriatrischer Versorgung steigt im Saarland jedoch um knapp 15% in dem gleichen Zeitraum, während sie in Freiburg um etwa 20% steigt.
2.5 Zuverlässiges Maß für die Marktposition berechnen
Für die Ausrichtung jedes Krankenhauses ist es wichtig, den „Markt“ und die „Kunden“ genau zu kennen, also Mitbewerber und Patient:innen. Häufig wird der „Marktanteil“ als kritische Maßzahl für die Position eines Hauses im Markt benutzt. Dazu wird berechnet, welcher Anteil der Patient: innen aus einem (manuell festgelegten) „Einzugsgebiet“ im Haus versorgt wird. Dieses Maß ist aber problematisch: Das Einzugsgebiet ist generell schwer abzugrenzen und variiert zwischen den Fachbereichen eines Hauses. Zudem ist der Marktanteil zwischen Ballungsgebieten und ländlichen Regionen kaum vergleichbar. Beispielsweise hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) einen Marktanteil von etwa 15% an allen stationären Behandlungen in Hamburg. Das Krankenhaus St. Elisabeth Damme, ein Grund- und Regelversorger in einer ländlichen Region Niedersachsens, hat in seinem Landkreis einen Marktanteil von etwa 50%. Diesen Unterschied von einem Faktor 3 könnte man leicht missverstehen, wenn man die regionalen Gegebenheiten nicht kennt.
Stattdessen lässt sich aus öffentlich verfügbaren Daten eine konsistent interpretierbare Maßzahl für die Marktposition berechnen: Dazu modelliert man zuerst die lokale Krankheitslast aus der Bevölkerungsdichte, den regionalen Demografiedaten und Inzidenztabellen. Dann berechnet man die Pkw-Fahrzeit aller modellierten Patient:innen zu allen passenden Versorgern. Nimmt man nun an, dass die Patient:innen mit größerer Wahrscheinlichkeit ein nahegelegenes Haus aufsuchen als ein weiter entferntes, so kann man simulieren, wie sich die Patient:innen auf die relevanten Versorger aufteilen würden, wenn die Fahrzeit das entscheidende Kriterium wäre. Daraus ergibt sich eine modellierte Patientenzahl pro Haus, die die regionale Krankheitslast sowie die Lage und Verteilung der Mitbewerber repräsentiert. Liegt nun die berichtete Fallzahl eines Hauses über seiner modellierten, so zeigt dies eine starke Marktposition an – das Haus zieht mehr Patient:innen an als erwartet. Liegt sie darunter, präferieren die Patient:innen eher weiter entfernt liegende Häuser, was eine schwächere Marktposition zeigt.
Dieses neu berechnete Maß für die Marktposition kommt ohne die willkürliche Festlegung von Einzugsgebieten aus und ist zwischen ländlichen Regionen und Ballungsgebieten direkt vergleichbar. Um im obigen Beispiel zu bleiben: Wir berechnen, dass sowohl das UKE in Hamburg als auch das Krankenhaus Damme jeweils etwa 50% mehr Fälle berichten, als wir es anhand der Modellrechnung erwarten würden. Beide Häuser spielen also eine ähnlich wichtige Rolle in der Versorgung, bezogen auf ihr jeweiliges Patientenspektrum (welches an der Uniklinik wesentlich breiter ausfällt), die regionale Bevölkerungsstruktur und die Zahl der Mitbewerber.
2.6 Matrixanalysen liefern den strategischen Überblick
Im nächsten Schritt kann aus der berechneten Marktposition und der Marktentwicklung (inklusive demografischer Prognose) eine umfassende Matrixanalyse erstellt werden. Sie liefert den strategischen Überblick über jedes Krankenhaus. Diese stellt zudem den Erlös pro Fachdisziplin dar, den man aus öffentlichen Daten schätzen kann. So kann man die strategische Position der einzelnen Fachbereiche ablesen und die gesamte Ausrichtung eines Hauses zuverlässig überblicken.
Abb. 2 Matrixanalyse eines Grund- und Regelversorgers mit einer Spezialisierung in der Kardiologie. Diese Darstellung erlaubt einen guten Überblick über die strategische Position des Hauses. Ihre Einfachheit steht im Kontrast zu den komplexen Algorithmen ihrer Berechnung. Es müssen u.a. fünf der in Abbildung 1 gezeigten Datenquellen miteinander kombiniert werden, um die Marktposition zu berechnen. Dazu kommt noch die Berechnung der Demografieprognose und der Case-Mix-Punkte für das Patientenspektrum des Hauses.
Abbildung 2 zeigt ein Beispiel einer solchen Analyse. In diesem Beispiel gelingt es dem Haus, in vielen Bereichen mehr Fälle zu versorgen, als man es angesichts der Bevölkerungsdichte und des Wettbewerbsumfeldes erwarten würde. Insbesondere bei der Kardiologie nehmen Patient:innen einen weiteren Weg in Kauf, um sich an diesem Haus behandeln zu lassen. Auch trägt die Kardiologie die meisten Case-Mix-Punkte zum Gesamtergebnis bei.
2.7 Mit öffentlichen Daten mehr Transparenz schaffen
Den Ministerien und Planungsbehörden der Länder stehen besondere Datenquellen zur Verfügung. Beispielsweise wurde das Gutachten „Krankenhauslandschaft Nordrhein-Westfalen“ von 2019 auf Basis der Leistungsdaten gemäß § 21 KHEntgG aller Krankenhäuser in NRW erstellt. Mittels solcher Daten können Analysen erstellt werden, die in ihrer Spezifität über das hinausgehen, was mit öffentlichen Daten erreicht werden kann.
Problematisch wird es, wenn die Ergebnisse solcher Gutachten kommuniziert werden sollen: Da sie auf nichtöffentlichen Daten der Häuser beruhen, werden die Ergebnisse nur stark vereinfacht dargestellt. Aussagen über einzelne Häuser sind nicht möglich, und eine transparente Diskussion ist erschwert. Außerdem beschränkt sich eine solche Analyse zwangsweise auf ein Bundesland.
Jedoch wenn man – wie in diesem Beispiel aus NRW – die Leistungsgruppensystematik auf Basis öffentlicher Daten nachvollzieht, können alle Ergebnisse kommuniziert und länderübergreifend diskutiert werden. Auf diese Weise schafft die Nutzung öffentlicher Daten mehr Transparenz in der deutschen Krankenhauslandschaft.
2.8 Komplexe Analysen mit passenden Werkzeugen
Die hier vorgestellten Berechnungen sind komplex, da sie die gemeinsame Analyse einer Vielzahl von Datenquellen erfordern, relativ große Datenmengen verarbeiten und fortgeschrittene Algorithmen nutzen. Aber während teures Equipment benötigt wird, um Öl zu fördern, sind alle Werkzeuge frei verfügbar, mit denen öffentliche Daten veredelt werden können (Näheres dazu in den „Anmerkungen“; s. unten). Wer sie beherrscht, schmiedet aus diesem nicht versiegenden Rohstoff erleuchtende Analysen. Mit dem neu gewonnenen Wissen können sich Krankenhäuser in der Zukunft gut aufstellen und ihre Patientenversorgung optimieren.
2.9 Anmerkungen von Nerd zu Nerd
Für qualitativ hochwertige Ergebnisse in der Datenanalyse sollte man sich an den Best Practices der Softwareentwicklung orientieren. Dazu gehört die Versionskontrolle aller Verarbeitungsschritte und die komplette Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit der Datenverarbeitung. Daneben sind automatische Tests unabdingbar, um Fehler zu minimieren: Tests einzelner algorithmischer Komponenten (Unit- und Integration-Tests) und Konsistenzchecks auf allen Zwischen- und Endergebnissen. Bei diesen Anforderungen stoßen gängige Tabellenkalkulationsprogramme und Business Intelligence Tools schnell an ihre Grenzen, unter anderem weil automatische Tests und Versionskontrolle nur schwer zu realisieren sind.
Zum Glück steht aus der Open Source Community eine breite Palette exzellenter Werkzeuge zur Verfügung. Insbesondere die Programmiersprache Python mit ihrem großen Ökosystem an Paketen hat sich als De-facto-Standard für die Datenanalyse etabliert.