Читать книгу Digitalisierung im Krankenhaus - Группа авторов - Страница 6
Geleitwort
ОглавлениеDer Zug rollt. Nach dem Amtsantritt von Jens Spahn und einige Digitalisierungsgesetze später ist aus der Bimmelbahn der Digitalisierung im Gesundheitswesen ein Schnellzug geworden, der durch die Pandemie noch einen Turboantrieb bekommen hat. Die entscheidenden Fragen aber sind: Rollt der Zug in die richtige Richtung? Sind alle an Bord, die es sein sollten? Durch wen werden die Weichen gestellt und funktionieren die Sicherheitssysteme?
Weil diese Fragen von der Ärzteschaft gestellt werden, wird gerade der ärztlichen Selbstverwaltung immer wieder unterstellt, sie blockiere die Entwicklung der Digitalisierung. Natürlich gibt es Ärztinnen und Ärzte, die der Digitalisierung prinzipiell kritisch gegenüberstehen, viel häufiger aber kommt Kritik aus der arbeitstäglichen Realität. Denn leider ist es oft noch nicht so, dass durch Digitalisierung Arbeitsabläufe leichter und zeitsparend werden. Begriffe wie „Patient Journey“ und „Usability Experience“ sind vielen deutschen Krankenhäusern kein Begriff, geschweige denn Maßstab eigenen Handelns. Die Realität ist meist ernüchternd: Nicht aufeinander abgestimmte Systeme ohne Schnittstellen und Mehrfacheingaben banaler Kerndaten rauben Zeit, die anderswo dringend gebraucht wird. In der Praxis werden analoge Prozesse häufig unverändert digital nachgezeichnet und in Datenbanken statt strukturierter Daten eher unstrukturierte Dokumente abgebildet.
Dennoch verbinden Krankenhausärztinnen und -ärzte mit der zunehmenden Digitalisierung ihres Arbeitsplatzes große Hoffnungen, vor allem einen Zuwachs an Qualität in den Arbeitsprozessen, schnellere Abläufe und weniger Aufwand als bisher. In einer Umfrage des Marburger Bundes aus dem Jahr 2017 waren 80% der Teilnehmenden der Meinung, dass durch die Digitalisierung die ärztliche Arbeit im Krankenhaus zukünftig weiter verbessert werden kann. Krankenhausärztinnen und -ärzte sind zunehmend Treiber der Digitalisierung und wünschen sich sowohl mehr Innovationen als auch mehr Schulungen zu IT-gestützten Abläufen.
Der derzeitige Digitalisierungsstand der Krankenhäuser ist eine Art „Black Box“. Deswegen hat der Marburger Bund gemeinsam mit dem Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) Check IT entwickelt, ein Analysetool, das der Komplexität der verschiedenen Abläufe im Krankenhaus Rechnung trägt und den Nutzerinnen und Nutzern ein vollständiges Bild vom Digitalisierungsgrad ihres Krankenhauses auch im Vergleich zu anderen Krankenhäusern vermittelt. So können Innovationsnotwendigkeiten besser festgestellt und Veränderungen im Bereich der Digitalisierung von den Anwendern auf ihren Nutzen hin überprüft werden. Wir begrüßen daher, dass das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) zur übergeordneten Erfolgskontrolle, aber auch als Grundlage für Investitionsentscheidungen innerhalb der einzelnen Krankenhäuser eine zeitnahe Erhebung des digitalen Reifegrads aller Kliniken in Deutschland vorsieht. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre es, die Gründung krankenhausinterner IT-Beiräte festzulegen, damit Investitionen nicht ohne Einbezug der Ärztinnen und Ärzte bzw. der Pflegekräfte und deren Anwendersicht erfolgt.
Als Marburger Bund sehen wir die vielen Chancen, die digitale Technologien im Gesundheitswesen mit sich bringen können: von der Steigerung der Patientensicherheit durch digitales Medikationsmanagement über rasches zusätzliches Fachwissen durch Telekonsile bis zu Zeitersparnis durch das automatische Füllen von Registern oder die Nutzung von Informationsplattformen und Entscheidungsunterstützungssystemen, um nur einige Beispiele zu nennen. Gleichzeitig sehen wir aber auch Risiken, die durch die Verarbeitung und Speicherung hochsensibler Gesundheitsdaten zwangsläufig entstehen und mit höchstmöglichen Sicherheitsstandards versehen sein müssen, um nicht in die Hände unbefugter Dritter zu gelangen. Die Patienten müssen „Herr“ ihrer Daten bleiben. Es ist wichtig, ihnen bei der Nutzung von digitalen Gesundheitsanwendungen wie z.B. Apps eine transparente und möglichst objektive Nutzenbewertung geben zu können. Die Verschreibung der Gesundheits-Apps auf dem Rezeptblock suggeriert, dass deren Risiko und Nutzen ähnlich wie bei Medikamenten überprüft sei, doch die Zulassungsbedingungen sind unscharf, und nicht alle Apps bringen einen echten Mehrwert in der Versorgung.
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche versorgungsorientierte Digitalisierung im Gesundheitswesen ist die Festlegung eines Ordnungsrahmens, in dem die vielen strukturellen, rechtlichen, politischen und nicht zuletzt ethischen Aspekte der digitalen Anwendungen geklärt sowie Nah- und Fernziele festgelegt werden, die sich an tatsächlichen Versorgungsnotwendigkeiten orientieren. Wenn wir uns dieser Aufgabe nicht stellen, drohen die hohen Geldsummen, die im Bereich von E-Health investiert werden, nicht primär den Patientinnen und Patienten oder den Anwenderinnen und Anwendern zugutezukommen, sondern vor allem den kommerziellen Interessen der Anbieter digitaler Produkte. Wir müssen sorgsam prüfen, was tatsächlich einen Zusatznutzen hat und was lediglich zusätzliche Kosten verursacht. Innovationen im Bereich E-Health müssen die gleichen Maßstäbe erfüllen, die wir auch an andere Produkte im Gesundheitswesen stellen. Oder anders gesagt: Nur mit nachweislich nützlichen Innovationen stellen wir die Weichen in die richtige Richtung und geben dem Zug den nötigen Schub.
Susanne Johna
Vorsitzende des Marburger Bundes
Berlin, im Juli 2021
Dr. Susanne Johna
Seit 2019 Vorsitzende des Marburger Bund Bundesverbandes, Berlin; seit 2016 Mitglied des Vorstands der Bundesärztekammer und des Marburger Bund Bundesverbandes, Berlin; seit 2015 Oberärztin für Krankenhaushygiene des St. Josefs-Hospitals Rheingau; seit 2013 Vorsitzende des Marburger Bundes Hessen und Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen; Fachärztin für Innere Medizin/Krankenhaushygiene, Gesundheitsökonomin.