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Die Rahmenbedingungen des Gesetzes
Ecky Oesterhoff
Der 29. Oktober 2020 beschreibt einen besonderen Tag für die Krankenhäuser in Deutschland und auch sogar noch über deren stationäre Grenzen hinaus. Vermutlich war auch nicht allen Entscheidungsträger:innen an diesem „Tag eins“ des Krankenhauszukunftsgesetzes klar, wie sehr die dort gelisteten Förderthemen das Geschehen in der Digitalisierung der Versorgung auf viele Jahre bestimmen werden.
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden ausgewiesene Expert: innen aus der Praxis auf die Chancen und Aspekte der einzelnen Fördertatbestände eingehen.
Durch das gesamte Gesetz zieht sich ein Grundgedanke: Die Krankenhäuser sollen gestärkt werden, und zwar insbesondere in den Gebieten, die den Patient:innen und Angestellten zugutekommen. Der Vorgang der direkten Investitionsförderung durch den Bund in IT & Digitalisierung im stationären Bereich ist einmalig. Gleichzeitig wird aber auch nicht nur gefördert, sondern eben auch gefordert – und dies unabhängig davon, ob ein Haus Mittel aus dem KHZG-Topf beantragt. Die ganz wesentlichen Voraussetzungen, um überhaupt eine Bedarfsmeldung stellen zu können, ist einfach: Das Haus muss im Bettenplan des Bundeslandes (§ 8 KHG) gelistet sein, also einen stationären Versorgungsauftrag für die Patient:innen erfüllen. Dies bedeutet also, dass alle regulären Krankenhäuser generell Zugang zu den Mitteln haben. Hier sei darauf hingewiesen, dass es keinen expliziten Anspruch auf die Förderung gibt, der gesetzlich festgeschrieben ist, da letztlich das BAS (Bundesamt für Soziale Sicherung) über die Bewilligung der Mittel entscheidet. Auf der anderen Seite stehen die Mittel beispielsweise Rehakliniken, Pflegediensten, ambulanten Therapeut:innen, niedergelassenen Ärzt:innen etc. nicht zur Verfügung. Viele dieser Bereiche sind in vorherigen Gesetzen berücksichtigt worden, was u.a. dazu geführt hat, dass das deutsche Gesundheitssystem hinsichtlich der „Patient Journey“ gerade Gefahr läuft, zwischen den Sektoren des Gesundheitswesens unterschiedliche Geschwindigkeiten zu etablieren. Im ambulanten Sektor ist die ePA (elektronische Patientenakte) mit viel Mühe am Anfang des Jahres 2021 in einen vorsichtigen Start eingetreten, und sie basiert auf dem sicheren Netz der TI (Telematik Infrastruktur). Das heißt, in den allermeisten deutschen Arztpraxen stehen die notwendigen Geräte (sog. Konnektoren), und die Praxissoftware bekommt Updates, damit die Ärzt:innen mit der digitalen Akte des Patienten arbeiten können. Krankenhäuser hängen derzeit dieser Entwicklung noch hinterher, und wenn die Patient:innen von der Praxis in das Krankenhaus überwiesen werden, dann wird der Bruch sehr deutlich. Dies ist ein Beispiel, warum es ein eigenes Gesetz für die Krankenhäuser benötigt hat.
Das KHZG hat eine klare Aufteilung sowohl bezüglich des Beantragungsweges und der Höhe der Mittel pro Bundesland als auch der Inhalte, die förderfähig sind.
3.1 Aufteilung der Gesamtmittel
Die Gesamtförderhöhe beträgt 4,3 Mrd. Euro und setzt sich zusammen aus 3 Mrd. Euro des Bundes und 1,3 Mrd. Euro, die die Bundeländer selbst beibringen müssen. Jedes geförderte Projekt muss zu 30% aus Landesmitteln und/oder Eigenanteil der Häuser finanziert werden. Die Gesamtsumme wird durch den Königssteiner Schlüssel geteilt. Dieser Schlüssel richtet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungsanzahl eines Bundeslandes und legt so fest, wie die Verteilung zu erfolgen hat. Das KHZG beschreibt explizit keine Höchstgrenze der Mittel. Das heißt: Sollte sich ein Bundesland entschließen, über die 30% hinaus seine Krankenhäuser für die Digitalisierung fördern zu wollen, so ist dies selbstverständlich möglich.
Eine weitere Finanzierungskomponente ist die Förderung durch die KfW: Ab dem 01.01.2021 unterstützt sie die Krankenhäuser mit zinsverbilligten Förderkrediten, indem sie das bestehende Kreditprogramm „Digitale Infrastruktur“ erweitert. Krankenhäuser, die Förderungen aus dem Krankenhausstrukturfonds nach dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) in Anspruch nehmen möchten, können damit den verpflichtenden Eigenanteil aufbringen.
Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, wird noch eine weitere elementare Festlegung getroffen: 85% der Mittel fließen in die branchenspezifischen inhaltlichen Themen, und 15% der Mittel eines jeden Fördertatbestands müssen für die IT-Sicherheit aufgebracht werden.
Abb. 1 Verteilung der Mittel nach KHZG
3.2 Förderfähige Inhalte
Der § 19 KHZG beschreibt die inhaltlichen Themen, die sich die Häuser fördern lassen können, die sog. Fördertatbestände. Insgesamt handelt es sich dabei um elf Themenblöcke, die alle technisch ähnlich aufgebaut sind. Zunächst wird das Ziel formuliert, dann werden Muss-Kriterien genannt, gefolgt von Kann-Kriterien (s. Abb. 2). Erweiternd gibt es in einigen Tatbeständen eine deutliche Festlegung zur Berücksichtigung von Interoperabilität, Standardisierung und der Berücksichtigung bestehender und zukünftiger Konzepte der ePA und TI (s. Kap. IV.4).
Abb. 2 Kriterien der Fördertatbestände am Beispiel der Medikation
3.3 Welches Haus bekommt welche Förderhöhe? Und warum?
Aus dem Gesetz, aus der Fördermittelrichtlinie oder irgendeinem anderen korrespondierenden Dokument lässt sich nicht ableiten, in welcher Höhe das einzelne Krankenhaus mit einer Förderung rechnen kann. Gleichzeitig ist genau dies aber eine zentrale Frage der Geschäftsführung und IT-Leitung der Einrichtungen. Die Verteilung der Mittel unterhalb des Königsteiner Schlüssels (s.o.) obliegt den Bundesländern. Hier zeigen sich alle Herausforderungen der föderalen Struktur des Gesundheitswesens. Wünschenswert wäre sicherlich gewesen, nicht nur die Fördertatbestände durch den Bund zu beschreiben, sondern darüber hinaus auch die Schwerpunkte und die Gewichtungen zwischen den einzelnen Themen. Auch wäre es denkbar gewesen, die Förderhöhe an die Umsetzungswahrscheinlichkeit in einem Haus zu binden. Sicherlich ist es von einem bis dato komplett papierbasiert arbeitenden Krankenhaus deutlich überambitioniert, innerhalb weniger Jahre die komplette Organisation mit den elf Themen des KHZG zu beschäftigen. Auf der anderen Seite gibt es selbstverständlich schon heute herausragend gut digitalisierte Klinken, die nur noch einen Teil der Themen überhaupt noch auf ihre Agenda schreiben müssen – hier werden Investitionen schon deshalb auf fruchtbaren Boden fallen, weil diese Organisationen darin geübt sind, innovative Projekte der Digitalisierung in Ihren Häuser erfolgreich durchzuführen.
In der Frühphase des Gesetzes war man sich einig, dass die Mittel nicht „mit der Gießkanne“ verteilt werden sollen. Leider ist dies in den meisten Bundesländern nun doch der Fall. Teilweise wurden Briefe versendet, in denen vorab die zu fördernde Summe mitgeteilt wurde. Hierfür wurden dann einfache Herleitungen benutzt, wie beispielsweise der „Königsteiner Schlüssel“, geteilt durch die Betten im Bundesland, multipliziert mit den Betten des Hauses = Fördersumme.
Aber vieles stimmt auch positiv. Die meisten Häuser haben in der Zwischenzeit ihre Hausaufgaben gemacht und an digitalen Agenden gearbeitet. Die IT-Leitungen der Häuser wissen sehr gut, welches ihre priorisierten Projekte sein sollen, und das Feld der Softwarehersteller ist sehr bemüht, die nie gekannte Menge an Projekten und Innovationen möglichst smart in die Kundenlandschaft zu tragen. So wird eine der großen Sorgen nicht eintreten: Eine Analogie zum „Digitalpakt Schule“. Auch dort wurden vom Bund Mittel in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt, diese aber u.a. aufgrund der fehlenden Strukturen und der noch schlechteren digitalen Absprungbasis gar nicht erst beantragt. Beim KHZG hingegen formulieren die Krankenhäuser bereits flächendeckend ihre Bedarfsmeldungen und Förderanträge, sodass davon auszugehen ist, dass die Gesamtsumme zum Ende des Jahres 2021 nahezu ausgeschöpft sein wird.
3.4 Fördern und Fordern
Von den insgesamt elf Fördertatbeständen des Gesetzes haben die Themen 2–6 des § 19 KHZG eine besondere Gewichtung bekommen:
FTB 2: Patientenportale
FTB 3: Digitale Kommunikation
FTB 4: Entscheidungsunterstützung
FTB 5: Medikamentenmanagement
FTB 6: Digitale Leistungsanforderung
Diese Inhalte sind in der Art der Förderung identisch zu den restlichen Themen des § 19, allerdings führen sie zu Abschlagszahlungen, wenn sie nicht bis 2025 umgesetzt worden sind. Dabei beträgt die maximale Höhe des Abschlags 2% auf die Rechnungsbeträge von voll- und teilstationären Fällen. Wie hoch die Abschläge dann zu diesem Zeitpunkt tatsächlich werden, muss über ein Stufensystem von den Vertragspartnern, dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft, vereinbart werden. Grundlage sollen die unterschiedliche Umsetzung der Förderthemen 2–6 im Haus sein sowie der Nutzungsgrad durch die Patientinnen und Patienten.
Hierbei ist weiterhin unbedingt zu beachten, dass diese Regelung völlig unabhängig von der angestrebten Förderung des jeweiligen Hauses greift. Das bedeutet, auch wenn sich ein Krankenhaus nicht um all die Themen mit Förderanträgen bewirbt bzw. nur eine Untermenge positiv beschieden wird oder ein Haus gar nicht an der Förderung nach dem Gesetz teilnimmt, so wird es dennoch zu den Abschlägen kommen, die das Gesetz fixiert.
Aus dieser Tatsache lassen sich mehrere Folgen ableiten: Die Vermeidung von Erlösverlust wird sicherlich ein erstrebenswertes Ziel einer jeden Krankenhausleitung sein. Auch wenn die Digitalisierung nicht aus inhaltlicher Überzeugung der Geschäftsführung in der Unternehmensstrategie fixiert sein sollte, so wird sie nun schon allein aus wirtschaftlichen Erwägungen in die strategischen Ziele Einzug halten. Gleichzeitig bedeutet es auch, dass durch den drohenden Abschlag zunächst diese Fördertatbestände als absolute „must haves“ definiert werden, während die anderen 6 eher optional betrachtet werden.
Häuser, die vor dem Gesetz noch gar keine Digitalisierungsstrategie etabliert hatten, werden diese eng am Gesetz formulieren bzw. die Gewichtung der Einzelthemen mehr oder weniger aus dem Gesetz ableiten. Häuser, die auf dem Weg weiter fortgeschritten sind, werden ihren Ist-Status und ihre Umsetzungspläne bis 2025 gegen das Gesetz abgleichen und dort nachsteuern, wo offene Flanken hinsichtlich Förderung oder Abschlagszahlungen bestehen.
In vielen Diskussionen mit Entscheidern der Häuser, IT-Leitungen, Herstellern und Beratern zeichnet sich ab, dass es wenig ratsam erscheint, sehr viele Themen anzugehen, um die Förderung maximal auszuschöpfen. Vielmehr müssen die Themen zur digitalen Absprungbasis des Hauses passen und die personelle Ausstattung so gestaltet werden, dass die Projekte auch tatsächlich umgesetzt werden können.
Es ist schon fast eine Binsenweisheit in den digitalen Projekten auch und gerade im Krankenhausumfeld:
Digitalisierung bedeutet nicht, die vorhandenen und etablierten Prozesse zu elektrifizieren – also z.B. papierene Formulare in computerlesbare Entsprechungen zu übertragen. Die Aufgabe liegt viel stärker darin, eben diese Prozesse kritisch infrage zu stellen und mit den Hilfsmitteln der Digitalisierung für Patient:innen und Mitarbeiter:innen neu zu modellieren. Nur so werden diese immensen Anstrengungen auf Akzeptanz stoßen und sowohl die Zufriedenheit als auch die Behandlungsqualität erhöhen.