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Ein gelehrter Hofkreis

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Karl der Große war persönlich äußerst interessiert und engagiert; aber er brauchte Helfer für sein Programm. Die waren eher außerhalb des Frankenreichs zu finden, und er gewann sie aus verschiedenen Ländern. Er trat in Verbindung mit irischen, angelsächsischen, italischen und spanischen Gelehrten. Viele folgten seinem Ruf, und so wurde sein Hof zu einer Versammlung der „crème de la crème“ der europäischen Bildungswelt.

Die Ersten kamen nach Karls Eroberung des Langobardenreichs aus Italien. Der Diakon Petrus von Pisa war in Pavia, dem Königssitz der langobardischen Herrscher, als Grammatiklehrer hervorgetreten; als schon alter Mann begleitete er Karl 774 an seinen Hof, wo er den Herrscher selbst – nach dem Zeugnis Einhards – in Grammatik unterrichtete. Seine persönliche Verehrung für Karl spiegelt sich in einem Preisgedicht auf Karls Sieg über die Langobarden und die Taufe der Sachsen. Allerdings hielt es ihn nicht lange im Frankenreich; er ging zurück in die italische Heimat (†799). Ebenfalls aus Italien stammte Paulinus (†802), wie Petrus Grammatiker, der seit ca. 776 an Karls Hof weilte. Auch er widmete dem König ein Preisgedicht auf die Bekehrung der Sachsen. Karl erhob ihn 787 zum Patriarchen von Aquileia, blieb aber zeitlebens mit ihm in Verbindung und erhielt von ihm theologische Gutachten zu dogmatischen Streitfragen. Als Verbannter kam 776 der Langobarde Fardulf an Karls Hof und lehrte an der Hofschule; auch er erhielt später ein bedeutendes kirchliches Amt als Abt der Königsabtei Saint Denis. Der Bedeutendste der „Italiener“ war zweifellos der gebildete Langobarde Paulus Diaconus. Aus adliger Familie stammend, hatte er die Tochter des letzten Langobardenkönigs Desiderius unterrichtet, war aber nach dem Untergang des Reiches enttäuscht als Mönch ins Kloster Montecassino eingetreten. Schon hier fiel er durch seine Lehrtätigkeit auf. In den fränkisch-langobardischen Auseinandersetzungen war sein Bruder gefangen genommen und dann ins Frankenreich deportiert worden. 782 reiste Paulus an Karls Hof, um dessen Freilassung zu erwirken. Er beschrieb das schwere Schicksal seines Bruders und dessen in Italien zurückgebliebener Familie in einem ergreifenden Gedicht, das offensichtlich auch beim König seine Wirkung nicht verfehlte; sein Bruder wurde freigelassen. Als „Gegenleistung“ lehrte Paulus an der Hofschule und entfaltete eine reiche literarische Tätigkeit (Geschichtsschreibung, Viten, theologische Schriften, Gedichte), die er nach seiner Rückkehr nach Montecassino fortsetzte, wo er um 799 verstarb.

Der gelehrte Westgote Theodulf (um 760–821) musste aus seiner spanischen Heimat fliehen und kam um 780 an Karls Hof, wo er als Theologe und Dichter wirkte. Neben theologischen Gutachten, Handreichungen für den Klerus und revidierten Bibeltexten sind von ihm ca. 80 literarisch höchst kunstvolle Gedichte erhalten, die – zum Teil in satirischer Weise – plastische Einblicke in das Leben der Hofgesellschaft vermitteln. 798 verlieh ihm der König das Bistum Orléans.

Unumstrittenes Haupt der Hofgelehrten war der Angelsachse Alkuin, der seit 767 die Domschule von York geleitet hatte, die eine der reichsten Bibliotheken der Zeit besaß. Einhard nennt ihn „den größten Gelehrten seiner Zeit“. Karl lernte ihn 781 in Pavia kennen und konnte ihn bewegen, im folgenden Jahr an seinen Hof zu kommen, wo er dann – unterbrochen von einem längeren Aufenthalt in seiner englischen Heimat – bis 796 weilte. Man hat 782 geradezu als Epochenjahr bezeichnet, denn mit Alkuins Erscheinen begann die entscheidende Phase der Bildungserneuerung. 796 übertrug Karl ihm die berühmte Martinsabtei in Tours, wo er ebenfalls dem geistigen Leben zu neuer Blüte verhalf. Seine letzten Jahre (†804) hatte er sich etwas vom Kaiser entfremdet. Alkuin, „der große Pädagoge im Frankenreich“ (Wilfried Hartmann), lehrte erfolgreich an der Hofschule, wo auch Karl selbst zu seinen Schülern zählte, und verfasste Lehrschriften zu den sieben artes liberales. Daneben verdanken wir ihm eine Fülle von theologischen Werken (verbesserte Bibelausgaben, Predigten, liturgische Abhandlungen, dogmatische Streitschriften, Heiligenviten) und Gedichten sowie rund 300 Briefe.

Nach Alkuins Wechsel nach Tours rückte langsam die „zweite Generation“ der Gelehrten nach, z.T. schon Schüler der zuvor Genannten, jetzt auch erstmals mehr fränkische Köpfe. Der Mainfranke Einhard war als Kind dem Kloster Fulda übergeben worden, dessen Abt ihn um 794 zur weiteren Ausbildung an Karls Hof schickte; hier wurde er Alkuins Schüler. Bald schon Mitglied des gelehrten Hofkreises und eng vertrauter Helfer des Königs, übernahm er nach Alkuins Weggang die Leitung der Hofschule; gleichzeitig tat er sich als Baufachmann in der Leitung der Arbeiten an der Aachener Kaiserpfalz hervor. Bis heute sein bekanntestes Werk ist die Vita Karoli Magni; daneben verfasste er theologische Werke und Berichte über Reliquientranslationen. Bis zum Tod des Kaisers gehörte er zu dessen nächster Umgebung und verblieb auch unter Ludwig dem Frommen noch am Hof. Nach 830 aber – im Zuge der Auseinandersetzungen Ludwigs mit seinen Söhnen – ging er zurück in seine mainfränkische Heimat, wo er 840 in dem von ihm nach eigenen Plänen errichteten Kloster Seligenstadt (südl. Hanau) verstarb.

Der adlige Franke Angilbert war ebenfalls Schüler von Alkuin. Von seiner dichterischen Begabung zeugen Gedichte und kleinere Prosaschriften, Inschriften und Grabschriften. Auch politisch war er tätig als Leiter der italischen Hofkapelle und mehrfach als Gesandter Karls in Rom. Bekannter wurde er durch seine Liebesbeziehung zu Karls Tochter Berta, die der König nicht gerne sah; denn obwohl Karl – nach Einhards Zeugnis – „seine Töchter über alles liebte, erlaubte er seltsamerweise keiner von ihnen zu heiraten, weder einen Mann aus dem eigenen noch aus einem fremden Volk“ (Vita Karoli c. 9). Um 789 erhielt Angilbert als Laienabt das Kloster Saint Riquier (dép. Somme), das ihm massive Förderung verdankt: Er ließ eine neue Kirche bauen, bereicherte die Bibliothek mit einem Geschenk von ca. 200 Büchern und vermehrte auch den dortigen Reliquienschatz. Nur kurz nach dem Kaiser starb er 814.

Während Karls letztem Lebensjahrzehnt (804–814) weilte Modoin (†840) am Hof, der in Lyon seine Ausbildung erfahren hatte. Er fiel durch seine hohe poetische Begabung auf; wir besitzen von ihm Lehrgedichte, Hirten- und Schäferdichtung. In seinem dem verbannten Theodulf von Orléans gewidmeten Trostgedicht zeigt sich seine vertiefte Kenntnis der römischen und christlichen Antike; man hat darin „ein Zeugnis für eine geradezu renaissancehafte Verbindung mit der Antike“ gesehen (Wilfried Hartmann).

Die Bildungsreform ging also vom Hof aus; hier lebten zumindest zeitweise die führenden Köpfe als Lehrer der Hofschule. Der Königshof, seit den späten 790er Jahren dann vorrangig in Aachen, wurde zu einer Art „Hochschule des Reiches“ oder „Hofakademie“ – nur annäherungsweise lässt sich mit diesen modernen Begriffen die nur locker institutionalisierte Einrichtung umschreiben. Erstaunlich ist die höchst aktive persönliche Teilnahme des Herrschers als Schüler, als Diskutant, als Gastgeber, als Förderer. So sammelte er eine ansehnliche – leider verstreute – Hofbibliothek. Mit den vertrauten Gelehrten traf er sich zu wissenschaftlich-literarischem Austausch in einer geselligen Runde, deren Kennzeichen die Verbindung von äußerst anspruchsvollem wissenschaftlichem Gespräch mit literarischen Scherzen, Gesellschaftsspielen, Rätseln usw. war. Diese Mischung aus gelehrter Bildung und fröhlicher Atmosphäre spiegelt sich auch in den biblischen oder antiken Pseudonymen, die die Mitglieder dieses vertrauten Kreises führten. Karl war rex David, das Vorbild eines christlichen Königs schlechthin, Einhard als Oberaufseher der königlichen Bauten Beseleel (nach dem alttestamentarischen Erbauer der Stiftshütte), Paulinus nach dem Paulus-Schüler Timotheus; Karls Schwester Gisela Lucia, seine Tochter Rotrud Columba nach Heiligen. Schließlich die literarischen Pseudonyme: Alkuin als Flaccus (Quintus Horatius Flaccus), Angilbert als Homerus und Modoin als Naso (Publius Ovidius Naso). Auch die schon erwähnte reichhaltige Hofdichtung – mit z.T. für uns schwer auflösbaren Anspielungen und ironisch-scherzhaften Attacken – vermittelt einen anschaulichen Einblick in dieses gesellige Leben.

Mönche, Schreiber und Gelehrte

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