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Das Quadrivium
ОглавлениеDen „redenden“ Fächern des Triviums stehen die „rechnenden“ Disziplinen des Quadriviums gegenüber. Sind auch für uns ARITHMETIK und GEOMETRIE mathematische Wissenschaften und hat auch die Astronomie zumindest mit geometrischen Berechnungen zu tun, so erstaunt zunächst die Musik; aber mit Musik ist hier eben nicht schöpferische Komposition und künstlerische Musikausübung gemeint, sondern die auf zahlenmäßigen Verhältnissen beruhende Harmonielehre.
Im alten Griechenland hatte sich eine Mathematik auf hohem Niveau entwickelt, sie nahm innerhalb des Kanons der Wissenschaften eine herausgehobene Stellung ein. Gipfelpunkte waren die Werke eines Euklid (um 300 v. Chr.) und eines Archimedes (um 285–212 v. Chr.). Den Bemühungen der Byzantiner und Araber verdanken wir es, dass ein beträchtlicher Teil ihrer Schriften erhalten blieb. Im Westen allerdings war bis zum 11. Jahrhundert nur ein geringer Teil dieses Wissens zugänglich. Immerhin hatte Boethius in seinen „Zwei Büchern über die Mathematik“ die Zahlentheorie der Pythagoreer vermittelt. Der bedeutende Gelehrte Gerbert von Aurillac (um 950–1003; seit 999 Papst Silvester II.), der alle Fächer des Quadriviums lehrte, bemühte sich um arabisch-indische Rechenmethoden, wobei er ein neuartiges Rechenbrett (Abakus) mit Rechensteinen einsetzte; er gilt als der erste abendländische Gelehrte, der die arabischen Zahlzeichen verwendete (die sich allerdings erst im 12. Jahrhundert durchsetzten).
In der GEOMETRIE griff man gerne auf die Schriften der römischen Feldmesser zurück und benutzte auch einige dürftige Exzerpte einer von Boethius angefertigten lateinischen Euklid-Übersetzung. Solche Texte wurden im 7./8. Jahrhundert besonders im Kloster Corbie (dép. Somme) gesammelt, das man geradezu als erstes geometrisches Zentrum der westlichen Welt bezeichnet hat. Auch eine allerdings nur fragmentarisch überlieferte Schrift Gerberts zur Geometrie war einflussreich.
Eine neue Phase der mathematischen Wissenschaften im Westen begann im 12. Jahrhundert mit der ausgedehnten Übersetzungstätigkeit aus dem Arabischen ins Lateinische, vor allem in Spanien, aber auch in anderen Teilen des Mittelmeerraumes. In Unteritalien und Sizilien entstanden auch Übersetzungen direkt aus dem Griechischen, wenn auch in weitaus geringerem Umfang. Als Ergebnis all dieser Bemühungen standen gegen Ende des 12. Jahrhunderts die wichtigsten mathematischen Schriften der Griechen und Araber in lateinischer Sprache zur Verfügung. Die in Griechenland erreichte Blüte der Mathematik blieb für das gesamte Mittelalter Maßstäbe setzend; erst in der Neuzeit sollte man wesentlich darüber hinausgelangen.
In der ASTRONOMIE war für das westliche Mittelalter lange das griechische Weltbild maßgebend, vor allem erklärt durch Ptolemaios (um 100–um 160) in seinem „Handbuch der Astronomie“ (dem sog. Almagest). Es war ein geozentrisches Weltbild, das vor allem durch Isidor von Sevilla und Beda Venerabilis (673/74–735) vermittelt wurde. Im Mittelpunkt stellte man sich die kugelförmige Erde (keine Scheibe!) vor, umgeben von den Sphären der Planeten und der Fixsterne, im äußersten Kreis die Sphäre des biblischen „Wassers über dem Himmel“. Die hoch entwickelte arabische Astronomie wurde im Westen zuerst auf dem Weg über Spanien bekannt. Auch hier kommt Gerbert von Aurillac eine herausragende Bedeutung zu; mit Astronomie beschäftigte er sich besonders intensiv. Etwa drei Jahre hielt er sich in der Spanischen Mark (Katalonien) auf, wo er verschiedene Demonstrations- und Beobachtungsinstrumente kennenlernte, darunter auch das Astrolabium. Mit diesem wurden exakte Sternbestimmungen ermöglicht; es diente auch der Bestimmung von Tages- und Nachtzeiten. Eine Abhandlung über dieses – bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts viel gebrauchte – Gerät wird Gerbert zugeschrieben.
Auch für die Astronomie brachte das 12. Jahrhundert, das „Jahrhundert der Übersetzungen“, einen entscheidenden Schub. Jetzt erschienen auch lateinische Übersetzungen von arabischen astronomischen Abhandlungen. Herausragend ist hier der lombardische Gelehrte Gerhard von Cremona (ca. 1114–1187) zu nennen, der über 40 Jahre in Spanien weilte und dort ein umfassendes Übersetzungs-Oeuvre schuf (über 80 Titel; neben philosophischen Texten Schriften zu den Disziplinen des Quadriviums und zur Medizin). Er bewältigte auch die schwierige Aufgabe einer Übersetzung von Ptolemaios’ Almagest; „es wurde zum grundlegenden Lehrbuch der Astronomie im Orient wie in Europa, wo es bis zum Anbruch der modernen Astronomie mit Kopernikus, Kepler und Galilei die höchste Autorität des Faches darstellte“ (P. Kunitzsch).
Astrolabium. (Toledo, Mitte 11. Jahrhundert)
Manchmal findet sich im Quadrivium die Astronomie durch die ASTROLOGIE ersetzt; nicht immer ist die Abgrenzung ganz klar. Im Mittelalter glaubten die meisten Gebildeten an einen Einfluss der Himmelskörper auf die irdischen Ereignisse und Schicksale, hielten also die Astrologie für berechtigt. Sie billigten ihr den Charakter einer Wissenschaft zu – vorausgesetzt, sie wurde mit astronomischen Fachkenntnissen betrieben. Insbesondere auf die mittelalterliche medizinische Praxis übte die Astrologie einen starken Einfluss aus; man spricht geradezu von einer „ astrologischen Medizin“. Trotz verbreiteter Angriffe von theologischer Seite (besonders folgenreich war hier Augustinus) trugen zahlreiche christliche Autoren, deren Werke im Mittelalter häufig gelesen wurden, zur Begründung einer christianisierten Astrologie bei. Mit dem Bekanntwerden arabischer Schriften zur Astrologie durch vorrangig in Spanien entstandene Übersetzungen wuchs ihr Ansehen stetig, besonders im 14. Jahrhundert. Jetzt fand sie sogar Eingang in das Curriculum der Universitäten; zunehmend spielten nun Astrologen an den Höfen von Königen und Fürsten, aber auch von Prälaten eine bedeutende Rolle. Noch ein Schüler des Kopernikus, Georg Joachim Rheticus (1514–1576), war ein überzeugter Anhänger der traditionellen Astrologie. Und wenn auch weiterhin immer wieder Zweifel an ihrer angeblichen Wissenschaftlichkeit laut wurden, verlor sie ihren Status als Gegenstand ernsthafter intellektueller Forschung erst allmählich seit dem 17. Jahrhundert.
In seinem Überblick über die artes definiert Isidor von Sevilla die MUSIK als „eine Disziplin, die von den Zahlen(verhältnissen) spricht, die zu jeweils etwas gehören, und zwar von denen, die in den Tönen gefunden werden“ (Etymologiae II,24,15) – also eine der „rechnenden“ Künste. Im frühen 9. Jahrhundert wurde im Frankenreich die Institutio musica des Boethius bekannt; sie diente fortan der theoretischen Beschäftigung mit der Musik als Grundlage. Die Erkenntnis des Tonsystems mit der genauen Berechnung der musikalischen Intervalle dürfte im Wesentlichen auf Boethius zurückgehen. Aus der gleichen Zeit (vor 834) stammt die älteste Handschrift mit Neumen, den frühesten Notenzeichen, die aber nur den ungefähren Verlauf der Melodie, aber noch nicht genaue Tonhöhen und den Rhythmus wiedergeben. In einem anonymen Dialogus de musica um die Jahrtausendwende wurde eine dann allgemein gültig werdende Bezeichnung der Töne im Oktavsystem (a-a) eingeführt. Der wohl wirkungsreichste Autor mittelalterlicher Musiklehre wurde der gelehrte Mönch Guido von Arezzo (um 992–nach 1033); ihm gelang der entscheidende Fortschritt, indem er unter Verwendung von Linien eine eindeutige Notenschrift schuf, die schnell Verbreitung fand. Als musiktheoretische Autorität blieb er bis zum 16. Jahrhundert lebendig, wie die zahlreichen Kopien, Zitate und Kommentierungen seiner Schriften zeigen.