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Lehren und Lernen
ОглавлениеAber die Erneuerung der Bildung sollte natürlich nicht auf den Hofkreis beschränkt bleiben, sondern in die Breite wirken. Die Hofgelehrten, in allen Bildungsfragen Karls Berater, wurden beauftragt, Lehrwerke zu schreiben, die dann im ganzen Reich als verbindliche Muster galten. Hier tat sich, wie schon erwähnt, besonders Alkuin hervor. Ehemalige Schüler der Hofschule betätigten sich an ihren neuen Wirkungsstätten (Klöster, Bischofsstädte) selber als Lehrer und gaben dort weiter, was sie am Hof gelernt hatten. So erließ Theodulf als Bischof von Orléans die Verordnung: „Die Priester sollen in den Städten und Dörfern Schulen unterhalten.“ Dass es dabei auch auf die persönliche Qualifikation der Lehrer in fachlicher wie menschlicher Hinsicht ankommt, hatte schon die Epistola de litteris colendis betont: „Für das Studium der Wissenschaften wähle man Männer aus, die Lust und Fähigkeit zu lernen haben und auch das Verlangen tragen, andere zu unterrichten.“ Vereinzelte Zeugnisse belegen, dass die Forderungen des Rundschreibens zumindest von einigen Bischöfen und Äbten erfüllt wurden. So richtete Abt Sintpert schon kurz nach 789 in seinem Kloster Murbach im Elsass eine Schule ein; neben der Heiligen Schrift, der Ordensregel und der Liturgie sollten dort auch die freien Künste gelehrt werden. Solche Klosterschulen dürften z.T. eine beachtliche Größe erreicht haben; aus Angilberts Klosterordnung für Saint Riquier erfahren wir, dass mindestens 100 Schüler dort unterrichtet werden sollten. Wieweit die Forderung nach Pfarrschulen in der Praxis umgesetzt wurde, ist schwer zu überprüfen; hier darf man wohl keine allzu großen Erfolge voraussetzen. Eine gewisse Mindestausbildung auch der Laien wurde erwartet; seit der Admonitio generalis von 789 wurde immer wieder gefordert, dass alle Gläubigen zumindest das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis auswendig beherrschen sollten.
Im grundsätzlichen Unterschied zu heute wurde Lesen und Schreiben nicht gleichzeitig gelernt. Das gesprochene Wort herrschte vor, dem Gedächtnis kam eine überragende Bedeutung zu. Den Schülern halfen metrisch -geschriebene Lehrtexte der Grammatik oder des Festkalenders. So schrieb der irische Gelehrte Sedulius Scottus (Mitte 9. Jahrhundert) einem gewissen Robert scherzhafte Merkverse für die lateinische Deklination:
Bonus vir est Robertus, Laudes gliscunt Roberti, Christe, fave Roberto, Longaevum fac Robertum, | Ein guter Mann ist Robert,Es wächst der Ruhm Roberts,Christus, schenke Robert Gunst,Lass Robert lange leben, |
Amen salve, Roberte, Christus sit cum Roberto – Sex casibus percurrit Vestri praeclarum nomen. | So sei gegrüßt, Robert,Christus sei mit Robert –Durch die sechs Fälle eiltEuer angesehener Name. |
Nam lapis bene gestis Sexangulus coruscas. Te lapidem descripsi? Fors durum verbum dixi. | Denn durch gute TatenGlänzt du als sechseckiger Stein.Habe ich dich als Stein beschrieben?Vielleicht habe ich ein hartes Wortgesagt. |
Man kann sich gut ausmalen, wie Schüler im Kreuzgang in der Pause oder während der Freizeit in gedämpftem Singsang solche Merkverse wiederholten und wiederholten.
In einer Zeit ausschließlich handschriftlicher Verbreitung gab es „Schulbücher“ fast nur in Form von Lehrerhandbüchern. Insbesondere für den lateinischen Grammatikunterricht griff man auf spätantike Autoritäten zurück, besonders Donatus (ca. 310–380) oder Priscian (Ende 5./Anfang 6. Jahrhundert), aus deren Lehrbüchern Generationen von Schülern die Anfangsgründe der Grammatik lernten. Wesentliche Elemente des Lernens bestanden im Frage-und-Antwort-Dialog, wie etwa bei Alkuin in seinen Lehrschriften zu den artes. So heißt es in seiner ars grammatica:
„In der Schule des Lehrers Alkuin waren zwei Knaben, der eine Franke, der andere Sachse, die kürzlich in die dornigen Gespinste der Grammatik eindrangen. In dem Zusammenhang gefiel es jenen, einige Regeln der Sprachlehre durch Fragen und Antworten für das Gedächtnis herauszustellen.
Als erster sprach der Franke zum Sachsen: Ei, du Sachse, antworte mir auf meine Fragen, da du der ältere bist. Ich bin vierzehn Jahre; dich schätze ich auf fünfzehn. Darauf antwortete der Sachse: Das will ich tun, aber unter einer Bedingung: wenn etwas Tiefergehendes oder aus der Philosophie Stammendes zur Frage ansteht, dann soll es erlaubt sein, den Lehrer zu fragen.
Darauf sprach der Lehrer: Mir gefällt euer Vorschlag, meine Söhne.“
Dann geht es zunächst um die Buchstaben als kleinste Einheiten, Vokale und Konsonanten, dann um die Silben.
„Fr(anke): Was ist eine Silbe? – S(achse): Die unter einem Akzent und in einem Atemzug hervorgebrachte wörtliche Aussprache.
Fr.: Aus wievielen Buchstaben bestehen die Silben? – S.: Von einem bis zu sechs: a, ab, abs, Mars, stans, stirps.
Fr.: Hat die Silbe einen Sinn in sich? – S.: Nein, es sei denn, das ganze Wort besteht nur aus einer Silbe, wie ars, do, dic und andere.“
Unterrichtssprache war ausschließlich Latein; es war durchaus üblich, ja es wurde bei Strafandrohung sogar überwacht, dass die Schüler nicht nur im Unterricht, sondern sogar in den Pausen ausschließlich die lateinische Sprache verwendeten. „Schule und Latein waren nahezu gleichbedeutend“ (Martin Kintzinger). Latein war eben keine „tote“ Sprache! Erst in den spätmittelalterlichen Städten kam Unterricht in der Volkssprache auf.
Während des ganzen Mittelalters war die Erziehung der Kinder mit Sicherheit strenger als heute; gerade in der frühen Entwicklungsphase ist Strenge dem Kind gegenüber vielfach bezeugt. Das gilt besonders auch für den Schulunterricht. Die personifizierte Grammatik wurde in bildlichen Darstellungen gerne mit der Rute dargestellt, die sie drohend über ihren Zöglingen schwingt. Auch der Lehrer wird in Illustrationen meist mit der Rute in der Hand gezeichnet. (siehe Abbildung Seite 49) Konnte man sich doch auf einschlägige Bibelstellen – vor allem aus dem Alten Testament – berufen: „Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn, wer ihn liebt, nimmt ihn früh in Zucht“ (Sprüche Salomons 13,24) oder „Steckt Torheit im Herzen der Knaben, die Rute der Zucht vertreibt sie daraus“ (ebd. 22,15). Die Schüler waren dem Lehrer wie einem Vater unterstellt; er hatte die Verfügungsgewalt über sie. Ihr Ausscheiden aus der Schule wurde mit dem Terminus „Emanzipation“ bezeichnet, als Befreiung aus der Vormundschaft des Lehrers. Viele Texte des Mittelalters lassen erahnen, dass das Trauma der Schläge mit der Rute zu den Schlüsselerlebnissen der erinnerten Kindheit gehörte. Schon der heilige Augustinus soll noch als 62-Jähriger gesagt haben, er wolle lieber sterben als nochmals zur Schule gehen.
Trotz der persönlichen Absicht Karls des Großen, auch Laien diese Bildung zu vermitteln, blieb die Breitenwirkung der karolingischen Bildungsbestrebungen im Wesentlichen auf die Reichsklöster und großen Kirchen beschränkt. Dazu mag beigetragen haben, dass sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme (814–840), eine ganz anders geartete Persönlichkeit, eine abweisende Verständnislosigkeit gegenüber jeglicher Form weltlicher Bildung zeigte; so hat er Karls Bemühungen um die heimischen Überlieferungen und um die Volkssprache nicht fortgeführt. Insgesamt aber sind die Folgewirkungen der karolingischen Bildungsreform kaum zu überschätzen. Karl hat damit die Grundlagen der geistigen Einheit Europas gelegt; seine Bezeichnung als pater Europae im sog. Paderborner Epos scheint nicht nur im Politischen berechtigt.