Читать книгу Mönche, Schreiber und Gelehrte - Группа авторов - Страница 18
Die artes mechanicae
ОглавлениеSchon römische Autoren hatten den artes liberales, die gesellschaftliches Ansehen besaßen, die artes vulgares vel sordidae, die „ gewöhnlichen oder schmutzigen Künste“ gegenübergestellt: die körperlichen Arbeiten der Handwerker, die nur in Handarbeit bestehen und dem Lebensunterhalt dienen. Auch die artes ludicrae, die Schauspielkünste, die nur zur kurzweiligen Unterhaltung beitragen, zählte man dazu. So sah Seneca (†65 n. Chr.) die wirklich freien Künste als „die, wie ich korrekter sagen möchte, frei-machenden, deren Anliegen die Tugend (virtus) ist“. „Die Qualität der artes bestimmte sich gemäß spätrömischer Anschauung also aus philosophisch-ethischer Wertung“ (Laetitia Boehm). Isidor nennt die artes mechanicae noch nicht; aber er führt – entsprechend der alten griechischen Wissenschaftsgliederung – die mechanica als einen der sieben (!) Teile der Physik an. Um 800 definiert ein Anonymus die Mechanik als „Kenntnis der Kunst der Verarbeitung“ in Metall-, Holz- und Stein-Handwerken. Die ursprünglich durchaus noch enthaltene wissenschaftliche Dimension ging zunehmend verloren; die Singular-Form ars mechanica stand jetzt für „Kunstfertigkeit“ im Sinne kunstvollen und technisch raffinierten Handwerks. Und wenn man einzelne dieser Künste anführte, sprach man in klarer Abgrenzung von den artes liberales von „unbedeutenden, geringen Künsten“ (artes minores/leviores).
Zukunftsweisend für die Begrifflichkeit wurde der schon erwähnte irische Gelehrte Johannes Scotus Eriugena, der um 859 die Schrift des Martianus Capella kommentierte. Dieser hatte anlässlich der Zusammenführung der Brautleute Philologie und Merkur im Kreis der Götter auch von einem Brautgeschenk (dos a virgine) gesprochen, das Johannes Scotus recht eigenwillig interpretierte: „Nachdem Merkur die sieben artes liberales geschenkt hatte, gab nun die Jungfrau sieben artes mechanicae.“ Er erklärte auch den – hier erstmals belegten – Begriff: Die artes mechanicae würden – anders als die artes liberales – nicht um ihrer selbst willen gelernt und würden auch nicht wie jene in der Seele wohnen, sondern gründeten auf Nachahmung und Erfindung; als Beispiel führt er die Baukunst (architectura) an. Damit war ihre geringere Wichtigkeit betont. Dazu passt die etwa zur gleichen Zeit begegnende, abwegige etymologische Erklärung: mechanica sei mit griechisch moichos „Ehebrecher“ verwandt, in lateinischer Übersetzung adulter. Abschätzig sprach man dann von artes adulterinae, den betrügerischen, illegitimen Künsten. Die soziale Geringschätzung der Handwerker spiegelt sich noch in Otto von Freisings (ca. 1112–1158) Schilderung der lombardischen Stadtstaaten: „Damit sie nicht der Mittel entraten, auch die Nachbarn zu unterdrücken, halten sie es nicht für unter ihrer Würde, junge Leute der unteren Stände und auch Handwerker, die irgendein verachtetes mechanisches Gewerbe betreiben (mechanicorum artium opifices), zum Rittergürtel und zu höheren Würden zuzulassen, während die übrigen Völker solche wie die Pest von den ehrenvolleren und freieren Beschäftigungen ausschließen“ (Gesta Friderici II,14).
Erst im 12. Jahrhundert setzte sich die Bezeichnung artes/scientiae mechanicae durch; von scholastischen Autoren erfuhren sie eine gewisse Aufwertung. Hugo von St. Victor (†1141) bot dann erstmals eine Einordnung in das gesamte Wissenschaftssystem; in seinem Didascalicon de studio legendi, einer Wissenschaftslehre und Einführung in das Studium, entwickelte er die für die Folgezeit maßgebliche Einteilung der mechanischen Künste in sieben Bereiche und parallel zu den artes liberales unterschied er sogar ein Trivium, das auf äußere Wirksamkeit bedacht ist, und ein Quadrivium, das auf das innere – körperliche und geistige – Wohlergehen des Menschen gerichtet ist. Zu Ersterem zählt er lanificium („Wollarbeit“, im weiteren Sinne Verarbeitung organischer Stoffe), armatura („Waffenhandwerk“, steht für das technische Handwerk, also auch für Bau- und Kunsthandwerk) und navigatio („Schifffahrt“, auch Handel zu Wasser und zu Land). Das Quadrivium besteht aus agricultura (Garten- und Landwirtschaft), venatio („Jagd“, steht für Lebensmittelgewerbe aller Art), medicina und theatrica („Theaterkunst“ wie Ritterspiele und Spielmannskunst). Den artes liberales gegenüber galten die artes mechanicae aber weiterhin als geringwertiger; so betonten scholastische Autoren gerne, dass sie eben nicht wie die echten Wissenschaften die Weisheit und die Gottes- und Selbsterkenntnis förderten, sondern nur der Wirkung in äußerer Materie oder Erwerbszwecken dienten. Hugo bemühte sich denn auch um religiöse Rechtfertigung, indem er ihnen eine Teilhabe am opus reparationis, der Wiederherstellung der gestörten Schöpfungsordnung zusprach.
Auch weiterhin gab es sehr pejorative Urteile, wie etwa bei dem Scholastiker Gottfried von St. Victor (um 1130–nach 1194), der die artes mechanicae als die sieben Arme eines schlammigen Gewässers in der Ebene umschreibt, von dem man nicht trinken sollte. Insgesamt aber zeigte diese negative Verortung der „unfreien“ mechanischen Künste kaum Einfluss auf die religiöse Vorstellungswelt des Mittelalters, wie literarische und ikonographische Zeugnisse reichlich belegen. „Der christliche Schöpfergott war nicht nur architectus, artifex und opifex, sondern er war auch mechanicus als Herr der machina mundi; im Laufe der Zeit – bis weit in die Neuzeit hinein – wurde der göttliche Schöpfungsakt mit den verschiedensten Werktätigkeiten umschrieben, bis hin zu Gott als Uhrmacher“ (Laetitia Boehm).
Im Gegensatz zu dem festen Kanon der sieben freien Künste hielt sich die doch recht künstlich-schematische Aufteilung der artes mechanicae zwar im Grundsatz bis ins 15. Jahrhundert; aber ihre Differenzierung und ihre theoretische Qualifizierung variierten häufig. An der Siebenzahl hielt man meist fest; aber später wurde z.B. die Schauspielkunst durch ein Teilgebiet einer der anderen ersetzt, oder an die Stelle der sich verselbstständigenden Medizin (die ja dann Universitätsfakultät wurde) trat die handwerkliche chirurgia.
Einen deutlichen Unterschied zu den artes liberales markiert die bis zum Spätmittelalter äußerst geringe Überlieferung technischer Fachliteratur. Anders als im antiken Rom, wo Praktiker wie Baumeister, Ingenieure, Offiziere und Ärzte Fachbücher schrieben, wurden die Kenntnisse in den mechanischen Künsten meist mündlich tradiert und im praktischen Einüben gelernt. Auch Scholastiker beklagten zuweilen diesen Mangel. Rupert von Deutz (um 1070–1129/30) sah – ohne erkennbare Kritik – die Existenz von schriftlichen und nicht-schriftlichen Wissenschaften (scientiae litterales/illitterales). Früheste Beispiele für Fachliteratur sind vereinzelte Rezept-Sammlungen mit Anweisungen z.B. für Farbenmischung, das Färben von Metallen und sonstigen Umgang mit handwerklichen Materialien. Als ältestes überliefertes eigenständiges Werk gilt die umfangreiche Schrift De diversis artibus eines Meisters aus einer klösterlichen Werkstatt, Theophilus (Pseudonym, neuerdings identifiziert mit dem berühmten Goldschmiedemönch Roger von Helmarshausen), entstanden wohl im frühen 12. Jahrhundert. Dieses technologische Handbuch mit Anweisungen für Metallbearbeitung, Glockenguss, Glasmalerei, Orgelbau, Farbengewinnung u. Ä. ist in seiner Bedeutung für die Kunst- und Technikgeschichte des Mittelalters kaum zu überschätzen und wurde noch im 15. und 16. Jahrhundert rezipiert.
Erst seit dem 13. Jahrhundert begegnen vermehrt Schriften zu den mechanischen Künsten; seit dem 14./15. Jahrhundert setzt in größerem Umfang auch volkssprachliche Fachprosa ein. Entsprechend der geringeren Schriftlichkeit der artes mechanicae sind auch bildliche Darstellungen viel seltener als bei den freien Künsten. Wohl werden handwerkliche Tätigkeiten als Illustrationen zur Bibel oder in den sog. Monatsbildern gezeichnet, aber eigentliche Zyklen der sieben mechanischen Künste finden sich wenige, fast immer in Kombination mit den artes liberales. In einem Musterbuch aus dem Kloster Rein (bei Graz) aus der Zeit um 1210 finden sich einige Handwerkskünste dargestellt. Der erste vollständige Zyklus ist in den unteren Reliefs am Campanile in Florenz (1237–40) erhalten. Hier wie meist auch sonst symbolisieren nicht – wie bei den artes liberales – weibliche Figuren die Künste; vielmehr werden sie in Tätigkeitsbildern dargestellt: Ein Pferderennwagen steht für die theatrica in Erinnerung an das antike Hippodrom; Handwerker beim Hausbau vertreten die armatura. In Abwandlung des Systems Hugos von St. Victor folgen über den artes mechanicae gesondert die bildenden Künste Architektur, Skulptur und Malerei in einer Art Zwischenstellung; darüber schließlich die artes liberales als oberste Stufe auf dem Weg zum Heil – ganz entsprechend scholastischen Vorstellungen. Am Ende des Mittelalters, um 1475, folgen die Holzschnitte in Rodericus Zamorensis’ Von den handtwercken in gemeyn dem 7er-Schema Hugos.
Darstellung verschiedener Handwerke sowie Fischerei und Jagd. (Musterbuch aus dem Kloster Rein, nach 1200)
In Analogie zu den sieben freien und den sieben mechanischen Künsten finden sich in Texten zur Ausbildung der Ritter Aufzählungen von sieben Disziplinen, die allerdings nie einen so festgefügten Kanon bildeten und nach Einzelbezeichnungen und Reihenfolge wechseln konnten. Erstmals der Rabbi Moses Sephardi (vor 1075–nach 1130), gelehrter Hofarzt König Alfons’ I. von Aragon, der sich nach seiner christlichen Taufe Petrus Alfonsi nannte, stellte den septem artes liberales die septem probitates („Heldentaten, ritterliche Fähigkeiten“) gegenüber. In mittelhochdeutschen Texten werden sie dann meist vrümekeiten („Tüchtigkeiten“) oder behendicheiten („Geschicklichkeiten“) genannt. Die am häufigsten aufgezählte Reihung umfasste Schwimmen, Reiten, Pfeilschießen, Fechten, Jagen, Schachspielen und Versemachen. Die beiden Letzten zeigen, dass es neben körperlichen Fertigkeiten durchaus auch um geistige Bildung ging (manche gelehrten Autoren führten das Schachspiel im Lehrplan bei der Mathematik auf). So wie das immer wieder zitierte Sprichwort den ungebildeten König als einen gekrönten Esel bezeichnete (rex illiteratus est quasi asinus coronatus), so lesen wir bei dem Ratsschreiber und Schulleiter Johannes Rothe (um 1360–1434): Eyn awisiger [„törichter“] tummer edilmann […] ist eyme gekronetin esel glich getan (Ritterspiegel). „Charakterliche, körperliche und geistige Ausbildung verschmelzen also in ritterlicher Zeit zu einem Bildungsideal“ (Josef Dolch).
Handwerker beim Hausbau. (Zyklus der Handwerkskünste am Campanile von Florenz, 13. Jahrhundert)
Das wollen werck. (Rodericus Zamorensis, Von den handtwercken in gemeyn, um 1475)