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Ein „Brockhaus des Mittelalters“

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Eine besondere Rolle bei der Vermittlung der artes-Kenntnisse spielt einer der gelehrtesten Autoren des frühen Mittelalters, Isidor von Sevilla; man hat ihn geradezu den „Vater der europäischen Kultur“ genannt (J. Fontaine). Um 560 als jüngstes Kind einer hispano-römischen Familie geboren, verlor er früh seine Eltern, worauf sein ältester Bruder Leander, Bischof von Sevilla, die Erziehung der jüngeren Geschwister übernahm: Fulgentius, der später Bischof von Écija (Andalusien) werden sollte, Florentina, die sich für ein Leben als Nonne entschied, und Isidor. In der bischöflichen Schule von Sevilla erhielt er eine gründliche Ausbildung; nach Leanders Tod um 600 folgte er seinem Bruder als Bischof von Sevilla, wo er 636 verstarb. Sein umfangreiches Oeuvre – 17 authentische Werke sind überliefert – umfasst kirchliche Schriften zur Bibelexegese, zur Dogmatik und zum Kirchenrecht, historische Werke (darunter eine Weltchronik und eine Gotengeschichte) und weltliche „Bildungsbücher“ zur lateinischen Sprache, zur Naturkunde, zu Chronologie und Astronomie sowie zur Zahlensymbolik: insgesamt ein gewaltiges Opus eines wirklichen Universalgelehrten.

Während die historiographischen Schriften wenig Verbreitung fanden, ist die Wirkung der übrigen Werke kaum zu überschätzen, und das gilt für das gesamte Mittelalter, vor allem für Isidors Hauptwerk, die Etymologiae. Der westgotische König Sisebut (612–621) hatte das Buch angeregt; gewidmet wurde es dem Amtsbruder, Bischof Braulio von Saragossa (631–651), der das unvollendet hinterlassene Werk abschloss und die Einteilung in 20 Bücher vornahm.

Der Titel Etymologiae (später oft auch Origines) täuscht insofern, als es sich nicht vorrangig um ein linguistisches Kompendium handelt, sondern um eine Realenzyklopädie, die in umfassender Weise das antike Wissen aller nur möglichen Sachgebiete lexikalisch zusammenstellt – ganz entsprechend der Wortbedeutung des griechischen Ursprungs enkyklios paideia = Umkreis der Bildung, des Wissens. Die sprachlichen und etymologischen Erklärungen dienen dem Autor als „Aufhänger“ für die eigentlichen Sacherläuterungen. Anders als unsere heutigen Konversationslexika gliedert das Werk nicht nach Stichworten in alphabetischer Reihenfolge, sondern nach Sachgebieten. So gelten Buch 1–3 den sieben artes liberales, Buch 4 der Medizin, Buch 5 dem Rechtswesen und der Zeitrechnung, Buch 6–8 den Religionen und Kirchen. Buch 9–10 behandeln philologische Fragen und bieten – in diesem Fall alphabetisch geordnet – ein kurzes etymologisches Wörterbuch des lateinischen Grundwortschatzes. Weiter geht es mit Natur und Umwelt: Buch 11–12 widmen sich Mensch und Tieren, Buch 13 den Elementen, Buch 14 der Erde und den Erdteilen, Buch 15 Gebäuden und Ländereien, Buch 16 Gesteinen und Metallen, Buch 17 der Landwirtschaft. Kriegswesen und Spiele finden sich in Buch 18, Buch 19 behandelt Schiffe, Baukunst, Kleidung und Schmuck und das abschließende Buch 20 Speisen, Getränke und diverse Haus- und Gartengeräte. Die naturgemäß trockenen Erläuterungen werden immer wieder durch Dichter- und Schriftstellerzitate aufgelockert, die Isidors für seine Zeit außergewöhnliche Belesenheit in der antiken Literatur belegen (und die nicht wenige, anderweitig nicht überlieferte Reste vor allem aus der spätrömischen Literatur der Nachwelt erhalten haben).

Manche von Isidors etymologischen Erklärungen wurden im Mittelalter häufig zitiert, wie z.B. die berühmte Stelle über den König, rex, die aus dem behaupteten sprachlichen Zusammenhang von regere (regieren) mit recte (richtig) handeln und corrigere (korrigieren) die Forderungen an einen guten König (im Gegensatz zum tyrannus) herleitet (IX,3,4): Reges a regendo vocati. […] Non autem regit, qui non corrigit. Recte igitur faciendo regis nomen tenetur, peccando amittitur. Unde et apud veteres tale erat proverbium: „Rex eris, si recte facias; si non facias, non eris.“ „Die Könige sind nach dem Regieren benannt. […] Der aber regiert nicht, der nicht korrigiert. Die Bezeichnung König ist an richtiges Handeln gebunden, durch Verfehlen wird sie eingebüßt. Daher gab es bei den Alten ein Sprichwort: ‚Du wirst König sein, wenn du richtig handelst; wenn du das nicht tust, wirst du es nicht sein.‘“ Die etymologischen Erklärungen Isidors sind zuweilen kurios und für den modernen Philologen eher amüsant. Nehmen wir als beliebige Beispiele Wörter aus dem Bereich der Familie. Familia autem a femore, „Familie aber kommt vom Oberschenkel“, was dann erläutert wird: Femore enim genus et stirps ostenditur, „Aus dem Oberschenkel treten Geschlecht und Stamm zutage“ (IX,5,12). Dazu passt die Herleitung von pater, Vater: Pater autem dictus eo quod patratione peracta filium procreet. Patratio enim est rei veneriae consummatio, „Vater aber wird er genannt, weil er durch die erfolgte Vollstreckung den Sohn zeugt. Die Vollstreckung nämlich ist die Vollendung des Geschlechtsaktes“ (IX,5,3). Und schließlich zum Großvater: Avus patris pater est, ab aevo dictus, id est ab antiquitate, „Der Großvater ist der Vater des Vaters, nach der Altersstufe benannt, d.h. nach dem Altertum“ (IX,5,9).

Diese Beispiele dürfen aber nicht den Eindruck erwecken, Isidor habe nur zwanghaft nach etymologischen Herleitungen gesucht; trotz des eher irreführenden Titels besitzen wir durch ihn eine grandiose enzyklopädische Zusammenstellung des antiken Wissensschatzes, der man nicht zu Unrecht den Ehrentitel eines „Grundbuchs des ganzen Mittelalters“ verliehen hat (E. R. Curtius).


Darstellung eines Lehrers mit Rute beim Grammatikunterricht. (Buchmalerei aus dem Kloster Rein, 13. Jahrhundert)


Die Personen des Quadriviums: Musik, Arithmetik, Geometrie und Astrologie. (Boethius, De institutione arithmetica, Handschrift aus Tours vor 845)


Fides katholica und Grammatik. (Convenevole da Prato, Gedicht auf Robert von Anjou, 14. Jahrhundert)


Dialektik und Rhetorik. (Convenevole da Prato, Gedicht auf Robert von Anjou, 14. Jahrhundert)


Arithmetik und Geometrie. (Convenevole da Prato, Gedicht auf Robert von Anjou, 14. Jahrhundert)


Musik und Astrologie. (Convenevole da Prato, Gedicht auf Robert von Anjou, 14. Jahrhundert)


Walther von der Vogelweide. (Manesse-Codex, 14. Jahrhundert)


Ein Kind wird von seinem Vormund zur Erziehung ins Kloster gegeben. (Decretum Gratiani, Handschrift um 1300)

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