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Der orthodoxe Blick auf andere Religionen

Wie sieht – und sah – das orthodoxe Christentum die nichtchristlichen Religionen Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus? Feststellen lässt sich zunächst, dass der interreligiöse Dialog seit den 1970er Jahren von orthodoxer Seite intensiviert wurde, dies auch unter dem Einfluss früherer römisch-katholischer und protestantischer Initiativen.

Orthodoxe Theologen suchten zunächst eine eigene Theologie der Religionen zu entwerfen und dabei die orthodoxen Besonderheiten herauszuarbeiten. So haben die Orthodoxen Kirchen 1976 und 1986 auf der ersten und dritten Vorkonziliaren Panorthodoxen Konferenz in Chambésy/Schweiz betont, dass der Dialog zwischen den Religionen notwendig sei für ein besseres gegenseitiges Verständnis wie auch im Interesse einer Zusammenarbeit für Frieden und Gerechtigkeit zwischen den Völkern. Daraus ergaben sich konkrete Initiativen zum Dialog mit Judentum und Islam.

Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel war zudem an der „Bosporus-Declaration“ (Istanbul, Februar 1994) im Rahmen einer Konferenz zu Frieden und Toleranz beteiligt und hat auch selbst interreligiöse Konferenzen einberufen (z. B. die „Conference on Interreligious Dialogue“, Istanbul, 7. März 1998). Der orthodoxe Metropolit der Schweiz, Damaskinos Papandreou, gründete 1999 in Genf eine „Stiftung für interreligiöse und interkulturelle Forschungen und Dialoge“. Auch an der Basis fanden interreligiöse Gespräche statt. Hier ist z. B. auf den einflussreichen Priester Aleksandr Men’ (1935–1990) in Russland hinzuweisen, der das Christentum als die inklusivste Religion von allen betrachtete, da es die Elemente anderer Religionen aufnehme und zur Vervollkommnung führe.1 Daneben gibt es jedoch eine scharfe orthodoxe Kritik an solchen Dialogen und Öffnungsinitiativen, die mit einer Preisgabe der Rechtgläubigkeit und der christlichen Wahrheit gleichgesetzt werden.2 Und schließlich ist auf orthodoxe religionskritische Diskurse hinzuweisen, die eine Differenzierung zwischen Religion und Orthodoxie vornehmen, wobei Letztere als Kirche und nicht als Religion eingestuft wird.3 All dies verdeutlicht die besonderen Merkmale der orthodoxen Welt sowohl gegenüber den anderen christlichen Kirchen als auch gegenüber Nichtchristen.

Auch die historischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen des Gesprächs mit nichtchristlichen Religionen sind beim orthodoxen Christentum teilweise anders als bei Katholiken und Protestanten. Beispielsweise ist das Verhältnis der Orthodoxie zum Islam in Geschichte und Gegenwart ein anderes als das des westlichen Christentums. Orthodoxe Christen haben über Jahrhunderte mit Muslimen zusammengelebt, etwa auf dem Balkan, im Nahen Osten oder in Zentralasien. Die Idee einer orthodox-muslimischen „Allianz“ oder auch Phänomene der Vermischung beider Traditionen sind daher keine Seltenheit. Die besondere „religiöse Toleranz“ im Osmanischen Reich war zudem eine Realität, die in diesem Maße in den westlichen Gesellschaften und Religionskulturen jener Zeit nicht zu finden war. Auf der anderen Seite ließen sich jedoch Spannungen zwischen orthodoxen Christen und Muslimen nicht völlig vermeiden, was immer wieder zu heftigen Konflikten führte, wie während der Kriege in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo in den 1990er Jahren.

Interessant ist nun, dass die Frage nach der christlichen Wahrheit und den damit verbundenen Exklusivitäts- und Absolutheitsansprüchen des Christentums von den Orthodoxen Kirchen anders beantwortet wird als von den westlichen Kirchen. Viele Orthodoxe gehen noch von einem normativen Wahrheitskonzept aus, das nicht nur Nichtchristen, sondern auch westliche Christen weitestgehend ausschließt. Die Orthodoxie, wörtlich übersetzt und verstanden als Rechtgläubigkeit, gilt als die treueste Form des Christentums, von der sowohl Katholiken als auch Protestanten abgewichen sind. Trotz einer gewissen Offenheit nichtchristlichen Religionen gegenüber – sie werden als unvollständige Wege zur Wahrheitsfindung gesehen – werden diese ebenfalls nicht als ernsthafte Konkurrenten der Orthodoxie betrachtet. Ihre Authentizität und Ausschließlichkeit stehen somit außer Frage.

Von einem solchen normativen Wahrheitsbegriff haben sich die Kirchen des Westens inzwischen erheblich distanziert. Hauptgrund dafür ist die unterschiedliche Begegnung und Erfahrung dieser Kirchen mit der Neuzeit und der Moderne, die das orthodoxe Christentum nicht in gleichem Maße tangierten. Nicht zufällig konnte im Westen eine pluralistische, nichtchristliche Traditionen positiv aufnehmende Theologie der Religionen fruchtbaren Boden finden, wohingegen eine solche Öffnung in der orthodoxen Welt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ausgeblieben ist. All dies kann eine Erklärung liefern für die heutigen Probleme orthodoxer Kulturen im Umgang mit Andersgläubigen. Beispielsweise signalisierte der griechische Erzbischof Christodoulos (1998–2008), dass das heute propagierte Modell eines „Marktes von Religionen“, nach dem alle Religionen miteinander frei in Konkurrenz treten können, für die Mehrheit der griechischen Bevölkerung nicht in Frage komme, weil diese über mehrere Jahrhunderte hinweg durch ihre orthodoxe Tradition geprägt worden sei.4

Und schließlich sind zwei weitere Faktoren zu berücksichtigen: zum einen die besondere Struktur der gesamtorthodoxen Welt, zum anderen die enorme Vielfalt, die die verschiedenen Orthodoxen Kirchen in ihren lokalen Ausprägungen zeigen. Derzeit existieren 14 selbstständige (autokephale) und von der Gesamtheit der orthodoxen Welt als kanonisch anerkannte Kirchen; daneben gibt es autonome kanonische Kirchen und eine große Zahl von Kirchen, deren kanonischer Status noch nicht endgültig geregelt ist. Diese Kirchen sind nicht mehr ausschließlich in Ost- und Südosteuropa sowie im Nahen Osten, d. h. an ihren ursprünglich historischen Orten, zu finden. Orthodoxe Diasporagemeinden finden sich heute in der ganzen Welt. Diese (auch geografische) Vielfalt der gesamtorthodoxen Welt bedeutet, dass orthodoxe Christen unterschiedliche Erfahrungen mit nichtchristlichen Religionen gemacht haben und demgemäß unterschiedliche Positionen zu ihnen eingenommen haben. In einem pluralistischen Umfeld wie in den USA haben die Orthodoxen insofern nicht dieselbe Einstellung zu nichtchristlichen Religionen wie die Orthodoxen in einem ehemals kommunistischen Land. Selbst in einem mehrheitlich orthodoxen Land wie Griechenland, das mit dem Westen seit mehreren Jahrzehnten eng verbunden und seit 1981 Mitglied der Europäischen Union ist, gibt es bis heute auf verschiedenen Ebenen Probleme mit religiösen Minderheiten.

Diesen regionalen Unterschieden unter den verschiedenen orthodoxen Kirchen und Kulturen sollte deshalb besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Schließlich gibt es weitere Kirchen hauptsächlich im Orient, die mit den Orthodoxen Kirchen zwar historisch verbunden, aber dennoch eigenständig sind und mit ihnen nicht in kirchlicher Gemeinschaft stehen. Diese sind unter verschiedenen Namen bekannt wie orientalisch-orthodoxe Kirchen (die Syrische Orthodoxe Kirche von Antiochien, die Koptische Orthodoxe Kirche usw.). Sie befinden sich als Minderheitskirchen im nichtchristlichen Umfeld, was vermehrt zu Kontakten, gegebenenfalls aber auch zu Spannungen mit anderen Religionen führt.

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