Читать книгу Die Weltreligionen und wie sie sich gegenseitig sehen - Группа авторов - Страница 9
Zur Vorgeschichte dieses Buches
ОглавлениеObwohl die Frage nach dem wechselseitigen Blick der Religionen aufeinander aktuell und reizvoll ist, wurde sie bisher in der Forschung nur eingeschränkt behandelt. Gustav Mensching analysierte 1969 in seiner engagierten Abhandlung Der Irrtum in der Religion grundlegende Formen dieses Phänomens, wie es zum Beispiel auch in den Urteilen der Religionen übereinander vorkommt. Eine Relecture dieser Abhandlung vierzig Jahre später aus der Perspektive der Praktischen Religionswissenschaft lässt die starke Praxisorientierung erkennbar werden. Mensching nimmt Gegenstände menschlichen Handelns ins Visier – mit Aristoteles gesprochen die „menschlichen Angelegenheiten“ im Unterschied zu den „von sich aus vorliegenden Dingen“ – um nicht nur einen akademischen Beitrag im Sinne einer l’art pour l’art zu schreiben. Er machte vielmehr auf Missstände aufmerksam, deren Berücksichtigung „auch dem Läuterungsprozess der Religionen dienen [mag]“14. Mensching unterstreicht einleitend „dass hier keine Urteile über die Wahrheit der einzelnen Religionen [...] abgegeben werden können. Ob eine Religion [...] den Kontakt mit jener Wirklichkeit des Heiligen wirklich vermittelt oder nicht, das vermag der Religionswissenschaftler nicht festzustellen. Wohl aber wird die Rede sein davon, dass Religionen solche Urteile ihrerseits über andere Religionen fällen.“15 Immer wieder hat Mensching seinen Blick auf die Folgen innerhalb der „menschlichen Angelegenheiten“ hingewiesen und nicht mit Lob, vor allem aber Tadel gespart. Dieselbe aufklärerisch-religionskritische Grundeinstellung bildete schon den Grundton seiner Toleranz-Untersuchung.16
Vor der Planung des vorliegenden Buches hatte ich zunächst daran gedacht, Menschings Pionierwerk Der offene Tempel. Die Weltreligionen im Gespräch miteinander (1974), versehen mit kritischen Anmerkungen und Ergänzungen, neu herauszugeben, wie schon seinen Toleranz-Klassiker vorher. Der offene Tempel ist die erste größere Untersuchung im deutschsprachigen Raum, welche die Frage, wie sich die Religionen gegenseitig wahrnehmen und beurteilen, durch alle großen Religionen (Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam, Judentum) dekliniert. Mit dem Verhältnis von Christentum und Religionen hatte sich Mensching übrigens bereits 1927 in seiner Antrittsvorlesung (an der Universität Riga) „Das Christentum im Kreise der Weltreligionen. Grundsätzliches über das Verhältnis der Fremdreligionen zum Christentum“ auseinandergesetzt.17 In den letzten 30 Jahren ist aber so immens viel neues Wissen, insbesondere vonseiten der Missionswissenschaft und Interkulturellen Theologie angehäuft worden, dass eine Bearbeitung und Aktualisierung schwierig geworden wäre.
Daher entschloss ich mich zu dem hier vorgelegten Neuentwurf. Selbstverständlich kann kein Wissenschaftler mehr im Alleingang einen solchen angesichts der differenzierten Forschungslage über die einzelnen Religionen wagen. Dazu bedarf es der Versammlung erfahrener Spezialisten aus unterschiedlichen Fachgebieten.18