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Gefährliche Mischung oder Bereichung der Spiritualität? Der Blick auf den Hinduismus

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Der Hinduismus stellte sicherlich keine große Herausforderung für die orthodoxen Kirchen und Christen in dem Maße wie der Islam oder zum Teil das Judentum dar. Dies ist hauptsächlich auf historische und geografische Gründe zurückzuführen, denn das Zusammenleben von Orthodoxen und Hindus unterschiedlicher Provenienz und Richtungen war mehr oder weniger begrenzt und lokal bedingt. Besonders hinzuweisen ist jedoch darauf, dass auf dem indischen Subkontinent einige orientalisch-orthodoxe Kirchen historisch eine Rolle gespielt haben. Der Legende nach missionierte der Apostel Thomas in Indien, deshalb werden die dortigen Christen Thomaschristen genannt. Sicher ist, dass es enge Verbindungen zu der Assyrischen Kirche des Ostens gab. Von daher war es naheliegend, dass es in Indien zu Kontakten zwischen orthodox-orientalischen Christen und Hindus kam. Erwähnenswert ist hier der Beitrag des Metropoliten von Neu-Delhi und ganz Nordindien, Paulos Mar Gregorios (Verghese) (1922– 1996), einer besonders gebildeten, einflussreichen und in religiösen und anderen Kreisen weltbekannten Persönlichkeit. Er war u. a. Präsident des Weltkirchenrates (1983–1991). Geboren in Indien im christlichen Kontext der Thomaschristen, beschäftigte er sich mit der Pluralität der Religionen Indiens und entwickelte dabei eine besondere Sensibilität gegenüber den Hindus und nichtchristlichen Religionen. Seine Devise im interreligiösen Dialog war einerseits die Transparenz der Motive seitens der Christen, die Liebe zu allen Menschen und die Ehrlichkeit gegenüber den Andersdenkenden und andererseits die Gleichheit aller Religionen im Dialog, auch wenn man vom Wahrheitsanspruch der eigenen Religion überzeugt sei. Wichtig sei, so Mar Gregorios, daraus keinen Überlegenheitsanspruch abzuleiten. Diese Strategie entwickelte er, nachdem er mit Hindus zahlreiche Gespräche geführt hatte und ihre Kritik am Christentum und dessen Missionierungsmethoden gehört und verinnerlicht hatte.

Darüber hinaus gab es weitere Kontakte zwischen Orthodoxen und Hindus in kleinerem Rahmen. Zwei Beispiele aus der Geschichte: Demetrios Galanos (1760–1833), ein orthodoxer Grieche aus Athen, der sich von 1786 bis zu seinem Tod in Indien aufhielt, erlernte dort u. a. Sanskrit und weitere lokale Sprachen und übersetzte heilige Texte des Hinduismus ins Griechische, die jedoch erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Allerdings ist nicht bekannt, ob Galanos sich theologisch mit dem Hinduismus auseinandersetzte. Zur selben Zeit hielt sich in Indien zeitweise eine abenteuerliche Figur auf, der griechische Kapitän und Seemann Nikolaos Kephalas (1763–1850), der u. a. später ein Buch in italienischer Sprache zum indischem Polytheismus, seiner Lehre und seinen Ritualen publizierte.

Das spezifische Interesse orthodoxer Theologen an der Lehre und den Praktiken des Hinduismus reicht weit zurück, was Studien von Leonidas J. Philippidis (1898–1973), dem ersten Professor für Religionsgeschichte an der Universität Athen, zeigen. Dabei wird immer wieder auf die Unterschiede zum Christentum hingewiesen. Der Vergleich zwischen der hinduistischen Yoga-Tradition und der orthodoxen Mystik und Askese zog ebenfalls die Aufmerksamkeit westlicher Gelehrter auf sich. Aus orthodoxer Sicht wurden dabei jedoch mehr die Unterschiede und die verschiedenen Voraussetzungen betont, die bei aller oberflächlichen Ähnlichkeit nicht verwischt werden dürften.

Der Hinduismus erlebte – wie auch der Buddhismus – mit seinen verschiedenen Angeboten (Meditationspraktiken, Yoga) in den letzten Jahrzehnten eine nennenswerte Verbreitung in verschiedenen orthodoxen Kulturen wie auch in der westlichen Welt. Diese Praktiken sind in den meisten Fällen vom ursprünglichen kulturell-religiösen Kontext gelöst und haben eher therapeutische Funktionen. Dabei wurden verschiedene indische Gurus für Konsultations- und Therapiezwecke besonders attraktiv und einflussreich. Der Besuch von Ashrams, d. h. von klosterähnlichen Meditationszentren (z. B. von Sri Aurobindo oder von Sai Baba) in Indien zu solchen Zwecken war früher und ist noch heute keine Seltenheit. Die ostasiatische Literatur erlebte weite Verbreitung. Auch die Tatsache, dass sich Prominente für eine „Bekehrung“ zum Hinduismus entscheiden, zeugt von diesem wachsenden Interesse. In Griechenland erregte zum Beispiel vor einigen Jahrzehnten die Nachricht Aufsehen, dass Königin Friederike (1917– 1981), die orthodox getauft war, später die indische Spiritualität entdeckte, dem Hinduismus folgte und mehrmals nach Indien reiste, wo sie auch einige Zeit lebte. Als der bekannte indische Philosoph und Spirituelle Jiddu Krishnamurti (1895–1986) nach Griechenland reiste und in Athen Vorlesungen hielt, stieß er auf großes Interesse, das auch später weiter anhielt.

Insbesondere seit den 1970er Jahren haben jedoch in orthodoxen Ländern verschiedene religiöse Bewegungen und Gruppen hinduistischen Ursprungs (z. B. die Hare-Krishna-Bewegung/ISKCON, die „Transzendentale Meditation“ von Maharishi Mahesh Yogi) für negative Schlagzeilen gesorgt. Als der Guru Bhagwan Rajneesh sich 1986 kurz in Griechenland aufhielt, waren die kirchlichen Reaktionen besonders stark und zwangen ihn schließlich, das Land zu verlassen. Die Griechische Orthodoxe Kirche rief ein Komitee zur Verteidigung gegen solche gefährlichen „Para-religionen“ und „zerstörerischen Kulte“ ins Leben. Ein ähnlicher Zuwachs hinduistischer Gruppen lässt sich auch im postkommunistischen Russland beobachten und führt dort ebenfalls zu kirchlichen und anderen Reaktionen. Eine sehr scharfe Kritik am Hinduismus und seinen Traditionen sowie an der orthodoxen Beteiligung an entsprechenden Dialogen kam auch aus dem pluralistischen Milieu der USA, insbesondere von Mönch Seraphim Rose (1934–1982), der ursprünglich dem Hinduismus gefolgt war, bevor er die Orthodoxie entdeckte. Für ihn stellte vor allem die Popularisierung und Verbreitung hinduistischer Praktiken weltweit und ihre Verbindung mit dem Christentum eine große Gefahr dar, die von vielen Christen nicht nur toleriert, sondern gefördert werde. Man vergesse dabei, dass die Absicht des Hinduismus letztlich die Konstruktion einer universellen Religion für alle Menschen sei; dies richte sich jedoch gegen die christlichen Wahrheitsansprüche und führe zum religiösen Synkretismus.

Trotz solcher Probleme gibt es vereinzelt auch produktivere Interaktionen zwischen den beiden Religionen. Zu erwähnen ist hier die Griechin Aurelia Papayianni (1897–1992), die u. a. einige Zeit im Ashram von Swami Sivananda in Indien verbrachte. Sie übte indische asketische Praktiken aus und initiierte einen Annäherungsversuch zwischen indischer und orthodoxer Spiritualität. Dies hatte zur Folge, dass Swami Chindananda, Sivanandas Nachfolger, später die Mönche auf dem Berg Athos besuchte. Aurelia Papayianni reiste durch ganz Indien, entwickelte umfangreiche karitative Aktivitäten und wurde in der indischen Öffentlichkeit bekannt und beliebt. Während ihrer Reisen kam sie in Kontakt mit zahlreichen Persönlichkeiten Indiens, von Gurus bis zu Politikern und Denkern, mit denen sie sich auch über religiöse Themen austauschte. Später verließ sie Indien, um unter dem Ordensnamen Gavriilia orthodoxe Nonne zu werden. Dessen ungeachtet betrachtete sie zeitlebens ihre Erlebnisse in Indien als wichtige Bereicherung ihrer christlichen Identität, die sie in der Hilfe gegenüber Armen und Kranken zu verwirklichen suchte. Einer ihrer Haupteinwände gegenüber dem Hinduismus war jedoch die Verehrung des Gurus als Gott.

Andere Stimmen zum Hinduismus in der zeitgenössischen Orthodoxie sehen zwar die Schwierigkeiten eines direkten interreligiösen Dialogs zwischen den beiden Religionen, nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Strukturen und Organisationsformen, doch erkennen sie auch bestimmte Aspekte des Hinduismus (z. B. die Entwicklung und den Fortschritt des Menschen durch verschiedene Lebensstufen), die für die Orthodoxen eventuell von Nutzen sein könnten.

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