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Ketzer oder Verbündete gegen den Westen? Der Blick auf den Islam

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Der Islam, im Nahen Osten entstanden und sehr schnell verbreitet, stellte ab dem 7. Jahrhundert eine große Herausforderung für die Christen in den benachbarten Regionen (Syrien, Palästina, Ägypten) und insgesamt für das byzantinische Christentum dar. Aufgrund der räumlichen Nachbarschaft sind sich orthodoxes Christentum und Islam über einen langen Zeitraum immer wieder begegnet.8 Im Laufe dieser Geschichte treten Besonderheiten des orthodoxen Ostens in den Beziehungen zum Islam zutage, die bis heute von Bedeutung sind.

Angesichts der Tatsache, dass der Islam sich als die Erfüllung der Erwartungen der jüdischen und christlichen Heilsgeschichte durch die endgültige Offenbarung an Mohammed versteht, ist es verständlich, dass die ersten byzantinischen Reaktionen auf die neue Religion recht negativ ausfielen. Das Aufkommen des Islam wurde meist endzeitlich-apokalyptisch interpretiert: Man deutete es als Beginn des großen Kampfes zwischen dem Reich Gottes und dem Reich des Teufels, wie es in der Offenbarung des Johannes beschrieben wird. Dabei wurde der Islam als eine christliche Häresie in der langen Reihe anderer Ketzereien gehandelt, etwa bei Johannes von Damaskus (ca. 675–753/4), der engen Kontakt zu Muslimen hatte und deren Texte (z. B. den Koran) lesen konnte. Für ihn waren die Ismaeliten (= die Muslime) die letzte christliche verführerische Häresie und damit das Vorzeichen der Ankunft des Antichrist. Auch sein Schüler Theodoros Abu Qurrah (ca. 750 bis ca. 825) kritisierte die Ketzerei der „Sarazenen“ (= der Muslime) sowie ihren Pseudopropheten Mohammed. Mit der siegreichen Ausbreitung des islamischen Glaubens wurde auch die orthodoxe Kritik härter, wie dies u. a. die Texte von Bartholomäus von Edessa, Niketas von Byzanz, Efthymios Zigabenos und Niketas Choniates bezeugen. Auch für byzantinische Kaiser wie für Johannes VI. Kantakuzenos (ca. 1295–1383) war der Islam ein ernsthaftes Thema.

Neben diesen theologischen Abgrenzungstendenzen ist jedoch auch die Möglichkeit eines Zusammenlebens von Orthodoxen und Muslimen charakteristisch für die byzantinische Orthodoxie. Trotz des politischen Niedergangs von Byzanz und der ständigen Expansion der Seldschuken und der Osmanen gab es Regionen in Kleinasien und anderswo, in denen Orthodoxe und Muslime ohne große Spannungen miteinander auskamen. Eine Moschee und andere islamische Bauwerke gab es sogar in Konstantinopel. In der Zeit der Kreuzzüge gewann das Motiv einer „orthodox-islamischen Allianz“ gegen den Westen allmählich an Bedeutung. Nach dem „Großen Schisma“ zwischen den Kirchen in Ost und West 1054 und insbesondere nach der Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer 1204 stellten die „Lateiner“ für viele Byzantiner eine ernsthaftere Bedrohung für die Beibehaltung des richtigen Glaubens (Orthodoxie) dar als der Islam. Die antiwestliche Partei im späten Byzanz war stark, einflussreich und populär. Es ist deshalb kein Zufall, dass viele Byzantiner der Ansicht waren, dass es viel besser wäre, wenn der türkische Turban und nicht die lateinische Tiara in Byzanz herrschen würde. Pro-islamische Stimmen unterschiedlicher Provenienz und Prägung (z. B. theologisch-politische Einigungsvorwürfe), wie die von Georgios von Trapezunt (1395/96–ca. 1484) und Georgios Amiroutzes (ca. 1400–nach 1468/70), zeigen, dass das Verhältnis der Orthodoxen zum Islam ein durchaus anderes war als im Westen. Eine positivere Haltung gegenüber dem Islam lässt sich auch den späteren byzantinischen Versuchen entnehmen, einen Dialog bzw. eine Disputation mit Muslimen zu führen. Aus der Sicht christlicher Autoren wurde die Sache in solchen Fällen zugunsten des Christentums entschieden. Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350–1425) führte einen solchen Dialog in Ankara mit einem gebildeten Perser. Aus dem Text dieses Kaisers zitierte Papst Benedikt XVI. in seiner Rede an der Universität Regensburg am 12. September 2006, was allerdings in der islamischen Welt missverstanden wurde und zu großer, teils gewalttätiger Empörung führte.9 Auch der Erzbischof von Thessaloniki, Gregor Palamas (1296– 1359), führte eine Disputation mit Muslimen während seiner Gefangenschaft bei den Türken. Diese dialogfreundliche Haltung behielt der erste Patriarch nach der Eroberung Konstantinopels (1453), Georgios-Gennadios Scholarios (1400 bis ca. 1472), bei.

Die Etablierung des Islams in Südosteuropa im 15. bis 19. Jahrhundert markierte eine neue Epoche in den Beziehungen zwischen Orthodoxen und Muslimen: von der eingeschränkten „religiösen Toleranz“ über die Zwangsislamisierung oder den selbst gewählten Übertritt und den „verborgenen“ Christen (Kryptochristen) bis zu den Verfolgungen und den christlichen Märtyrern der Neuzeit. Auch in dieser Epoche wurde der Islam apokalyptisch gedeutet. Interessant ist die Sichtweise, die die Orthodoxe Kirche über lange Zeit in ihrem Verhältnis zu den Osmanen beibehielt. Trotz gelegentlicher Spannungen und Repressalien dominierte bei vielen Orthodoxen die Ansicht, dass eine osmanische Herrschaft über Byzanz und den Balkan viel besser sei als eine religiöse Unterwerfung unter den Papst und die westliche Christenheit. Diese Tendenz, die auch öffentlich von manchen Patriarchatskreisen vertreten wurde, zeigt die Intensität der antiwestlichen Gefühle der Orthodoxen in der damaligen Zeit. Die Befreiungskämpfe balkanischer Völker gegen die Osmanen im 19. Jahrhundert änderten dieses Bild schlagartig und führten zu einer zunehmenden Nationalisierung der Orthodoxie und zur stärkeren Opposition gegenüber dem Islam. Die Tatsache jedoch, dass viele Orthodoxe noch in osmanischen Gebieten lebten, wirkte diesen Tendenzen entgegen und war wiederum der Vorstellung eines möglichen Zusammenlebens förderlich. Dieser Traum ging jedoch zu Ende, als mit der Gründung des Nationalstaates Türkei 1923 der türkische Nationalismus besonders virulent wurde, was sich für die christlichen Minderheiten (Assyrer, Armenier, Griechen) letztendlich verhängnisvoll auswirkte.

Anders war die Situation in Russland. Dort gab es zunächst die Zeit der langen Mongolenherrschaft (1223–1502). Die Mongolen, die ab 1313 zum Islam übergetreten waren, übten allgemein religiöse Toleranz, insofern konnte sich die Russische Orthodoxe Kirche während dieser Zeit in vielen Bereichen weiterentwickeln. Im frei gebliebenen Nordwesten konnte der damalige Fürst von Novgorod, Aleksandr Nevskij (ca. 1220–1263), gegen die Schweden und Deutschen kämpfen, die als Gefahr für die russische Orthodoxie galten. Interessanterweise hat Nevskij 1248 das Angebot des Papstes Innozenz IV. zurückgewiesen, gemeinsam gegen die Mongolen vorzugehen, und versuchte stattdessen, geschickt mit diesen zu verhandeln. Auch hier war also der orthodoxe Gegensatz zum lateinischen Westen von großer Bedeutung.10 Mit der territorialen Expansion nach Sibirien ab dem 18. Jahrhundert begann eine neue Phase der Begegnung mit dem Islam. Zusammenleben und Kooperation zwischen Orthodoxen und Muslimen waren aus pragmatischen Gründen nicht ausgeschlossen, was sich auf die Beziehungen der russischen Orthodoxie zum Islam insgesamt niederschlug und bis heute erkennbar ist. Nicht zu vergessen sind jedoch andererseits die umfangreiche Islam-Mission der Russischen Orthodoxen Kirche. Heute bildet der Islam die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Russland mit ca. 14 Millionen Anhängern unterschiedlicher Richtungen, denen die Tendenz zur Politisierung und zur Wiedergewinnung der öffentlichen Sphäre gemeinsam ist. In Dagestan und Tschetschenien ist die radikal-konservative wahhabitische Richtung mit politischen Akzenten prägend, die eine Rückkehr zum authentischen Islam fordert.

Der Zerfall des Kommunismus im ehemaligen Ostblock führte zu einer Wiederbelebung des Islams, der in diesem Kontext in vielerlei Hinsicht Besonderheiten aufweist. Das lange Zusammenleben mit den Orthodoxen führte zum Beispiel auf dem Balkan unweigerlich zum religiösen und kulturellen Synkretismus, zur Vermischung unterschiedlicher Traditionen. Hier lassen sich etwa in manchen Fällen Phänomene wie Marien- oder Ikonenverehrung beobachten, die von orthodoxen Einflüssen zeugen. Dass manche Muslime zu orthodoxen Wallfahrtsorten pilgern oder Heilige verehren, ist ebenfalls bekannt. All dies verweist auf Interaktionen zwischen Orthodoxen und Muslimen in konkreten lokalen Kontexten. Selbst in einem mehrheitlich muslimischen Land wie Albanien lebten sie traditionell friedlich miteinander. Dort ist heute der Beitrag von Erzbischof Anastasios (seit 1991/92) zur interreligiösen Verständigung von enormer Bedeutung.

Nichtsdestoweniger sollten jedoch die vielen auch blutigen Auseinandersetzungen zwischen Orthodoxen und Muslimen nicht verschwiegen werden – jüngstes Beispiel: Bosnien-Herzegowina während des Krieges 1992–1995. Dort wurde der Gegensatz von orthodoxen Serben und muslimischen Bosniaken zu einem nationalen Thema, da es sich laut der serbischen Nationalmythologie bei den Bosniaken um islamisierte und abtrünnige Glaubensbrüder handelte. Die Lage auf dem Balkan hatte sich damals dahingehend verändert, dass der Islam in der Gestalt eines langen „islamischen Bogens“ von Zentralasien bis zum Balkan als die größte Gefahr für die Orthodoxie dargestellt wurde. Dem könne nur die Konstruktion eines „orthodoxen Bogens“ durch die Solidarisierung und Kooperation der orthodoxen Kirchen und Länder entgegengewirkt werden – so der griechische Erzbischof Christodoulos. Solche Visionen erwiesen sich eher als unrealistisch. Die Konfliktdimension zwischen Orthodoxie und Islam spielte auch in anderen Fällen eine Rolle, wie in dem Konflikt Russlands mit Tschetschenien oder in den Spannungsbeziehungen zwischen Griechenland und der Türkei. Darüber hinaus zeigt der noch andauernde Konflikt zwischen den orthodoxen Griechischzyprioten und den muslimischen Türkischzyprioten auf ihrer geteilten Insel die lokal bedingten Schwierigkeiten der gegenseitigen Beziehungen auf.

Trotzdem existierten auf Zypern – historisch gesehen – verschiedene Koexistenzmodelle zwischen den Religionen, die nicht unbedingt auf Konflikte ausgerichtet waren. Und selbst im Kosovo war die friedliche Koexistenz von diversen Religionsgemeinschaften früher der Normalfall. Eine ähnliche Situation existiert in den mehrheitlich muslimischen Ländern des Nahen Ostens oder Afrikas, in denen orthodoxe Christen historisch verankert sind. Neben Perioden der Wirren finden sich immer wieder auch solche des eher friedlichen Zusammenlebens. Der Minderheitsstatus zwang die dortigen Christen, bestimmte Strategien zu verfolgen, um sich einerseits innerhalb der muslimischen Mehrheitsgesellschaft behaupten zu können und sich andererseits vor feindlichen Maßnahmen und Aktionen zu schützen. Einen solchen Fall stellt die Koptische Orthodoxe Kirche in Ägypten dar, die nicht selten unter muslimischen Angriffen gelitten hat und ein breites Netz von Aktivitäten auf vielen Ebenen entwickelt hat, um ihre Existenz zu sichern.

Der orthodox-islamische Dialog wird heute auf offizieller Ebene geführt. Begonnen hat er bei einem Treffen von Orthodoxen und Muslimen in den USA am Hellenic College/Holy Cross Greek Orthodox School of Theology in Brookline/ Massachusetts unter Beteiligung des Patriarchats von Konstantinopel (1985). Heute wird der Dialog vom Orthodoxen Zentrum des Patriarchats von Konstantinopel in Zusammenarbeit mit der Al-Albait-Stiftung (Amman, Jordanien) geführt. Aus dieser Initiative sind bisher viele bilaterale Treffen entstanden (Chambésy 1986, Amman 1987, Chambésy 1988, Istanbul 1989, Amman 1993, Athen 1994, Amman 1996, Istanbul 1997, Amman 1998, Manama/Bahrein 2002) und zwar zu sehr unterschiedlichen Themen, von den Modellen der historischen Koexistenz zwischen Orthodoxen und Muslimen bis zum Beitrag der Religionen zur friedlichen Koexistenz der Völker. Die Diskussionsthematik der letzten Jahre wurde selbstverständlich vom Aufstieg des islamischen Extremismus und der daraus entstandenen Gefahr für den Westen geprägt, insbesondere nach dem 11. September 2001. Die Griechische Orthodoxe Kirche Griechenlands hat ebenfalls eine Reihe von Symposien zu den Beziehungen zwischen Orthodoxie und Islam (Athen 1990 und 1992, Teheran 1994 und Athen 1997) in besonderer Zusammenarbeit mit dem Iran organisiert. Orthodoxe beteiligen sich auch an weiteren interreligiösen Treffen in Konfliktregionen wie im ehemaligen Jugoslawien.11

Die Bewertung des Islams in der gegenwärtigen orthodoxen Theologie unterscheidet sich wesentlich von den in der Vergangenheit dominierenden polemischen Richtungen und versucht dabei einerseits die Eigenart dieser weltweit sehr starken Religion angemessen und pragmatisch zu begreifen und theologisch zu würdigen; andererseits möchte sie die neuen Bedingungen der Koexistenz ergründen und über die Gemeinsamkeiten beider Religionen nachdenken. Als wichtig wird dabei der mögliche Beitrag des Islams für eine Neubesinnung der Orthodoxie selbst erachtet. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Parallelen im Bereich der Mystik, der asketischen Praktiken und der Erfahrungen (Herzensgebet) im islamischen Sufismus und im orthodoxen Hesychasmus, einer mystischen Bewegung im orthodoxen Mönchtum, zu. Christen, so heißt es, sollten im Islam nach verschiedenen Ausdrucksformen der Liebe zu Gott sowie der Wege zur Vereinigung mit Gott suchen. Dies könnten sie am besten im Rahmen einer orthodox-christlichen Theologie des religiösen Pluralismus. Diese Bestrebungen vertragen sich allerdings nicht mit einer Leugnung der Differenzen zwischen den beiden Religionen.

Die Weltreligionen und wie sie sich gegenseitig sehen

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