Читать книгу Die Weltreligionen und wie sie sich gegenseitig sehen - Группа авторов - Страница 19
Angriff auf die Wahrheit oder Beispiel der Erleuchtung? Der Blick auf den Buddhismus
ОглавлениеFür die buddhistisch-orthodoxen Beziehungen gilt in etwa das Gleiche wie beim Hinduismus, denn diese sind wiederum durch historische und geografische Faktoren bestimmt. Hier spielten die Ausdehnung orientalisch-orthodoxer Kirchen und ihre Missionsarbeit in Zentral- und Ostasien eine Rolle. Die Assyrische Kirche des Ostens entwickelte sich, abgesehen von Indien, ab dem 7. Jahrhundert in Zentralasien, so dass es im 8. Jahrhundert auch für die Tibeter einen Metropoliten in Samarkand gab. Schon im Jahr 635 erreichten Missionare die chinesische Hauptstadt, wo sie ihre Lehre mit königlicher Genehmigung und Empfehlung verbreiten konnten. Im Mongolenreich des 13. und 14. Jahrhunderts bekam diese Kirche verschiedene Privilegien, die jedoch später wieder entzogen wurden – das führte zu Verfolgungen.12 Die historischen Beziehungen zwischen Christentum und Buddhismus sind am besten durch einen indischen Buddha-Roman zu veranschaulichen, der später christianisiert wurde und in Byzanz wie auch im Westen unter dem Titel Die Legende von Barlaam und Joasaph rasch Verbreitung fand. Der indische Königssohn Bodhisattva wurde nach dieser Geschichte durch den Mönch Barlaam bekehrt, bekam den Namen Joasaph und trat später verschiedene Missionsreisen an. All dies erinnert an das Leben Buddhas. Interessanterweise fand Joasaph Eingang in den orthodoxen Festkalender und wurde auch auf Bildern dargestellt.
Später intensivierte die russische Orthodoxie ihre Beziehungen zum Buddhismus, indem sie vom 18. Jahrhundert bis 1917 systematische Missionsarbeit (z. B. in Transbaikal) betrieb, wo u. a. buddhistische Gruppen existierten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es die „Kasaner Geistliche Akademie“, die besonders mit Missionsaufgaben betraut war. Außerdem missionierte die Russische Orthodoxe Kirche in benachbarten Ländern, speziell in China, Japan und Korea, wo sich später auch die griechisch-orthodoxe Mission unter der Jurisdiktion des Patriarchates von Konstantinopel engagierte.
In der Russischen Föderation lebt heute eine beträchtliche Zahl von Buddhisten. Diese haben sich seit dem 17. Jahrhundert von Tibet, der Mongolei und von China aus verbreitet und etablierten sich in Sibirien, der Wolga-Region und insbesondere unter den Kalmücken in der Westmongolei. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte der Buddhismus einen Belebungs- und Verbreitungsschub. Trotz eines Rückgangs unter dem Kommunismus blieb er wichtiger Bestandteil der religiösen Landschaft Russlands mit heute ca. 900 000 Anhängern. Im russischen Religionsgesetz von 1997 wird er als eine der vier „traditionellen Religionen“ in Russland namentlich erwähnt.
Auch anderenorts gab es Kontakte zwischen Orthodoxen und Buddhisten, z. B. in den USA. Dort wird auch von Übertritten vom Buddhismus zur Orthodoxie berichtet, wobei wohl auch der umgekehrte Fall vorkommt. Es fehlt heute nicht an verschiedenen orthodoxen Perspektiven zum Buddhismus, die sowohl auf Analogien wie auch auf Differenzen zwischen den beiden Religionen hinweisen, so auch in Studien orthodoxer Theologen, die sich z. B. mit Aspekten des japanischen Buddhismus befassen. Dabei wird die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen orthodoxem und lateinischem Christentum in ihrem jeweiligen Verhältnis zum Buddhismus hervorgehoben.
Parallelen zwischen den beiden Religionen lassen sich in anderen Bereichen beobachten (z. B. Ikonographie, Heiligen- und Reliquienverehrung, Spiritualität, Weltablehnung). Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei den Vergleichen zwischen den orthodoxen und buddhistischen Formen der Askese und des Mönchtums (z. B. Beten, Meditation, Fasten) sowie den entsprechenden Erfahrungen zu. So stellte George Sioris einen Vergleich an zwischen der mönchischen Disziplin im orthodoxen Mönchtum (von der alten Kirche bis zur Mönchsrepublik vom Berg Athos) und der Vinaya des Theravada-Buddhismus (insbesondere in Thailand). Dabei fand er sowohl Unterschiede als auch Parallelen. Im Buddhismus kennt man zum Beispiel nicht die Endgültigkeit des mönchischen Gelübdes. Das orthodoxe Mönchtum weist zudem insgesamt eine rigidere Struktur und Disziplin auf. Andererseits gibt es interessante Parallelen wie die Bedeutung der individuellen oder gemeinschaftlichen Beichte oder Vorschriften zum angemessenen Verhalten der Mönche. Nach Sioris weist zudem die mystische Theologie von Evagrios Pontikos (ca. 345–399) nennenswerte Ähnlichkeiten mit der buddhistischen Mystik auf. 13
Andere Studien untersuchen den Zen-Buddhismus im Vergleich zum Christentum und stoßen auch dort auf Unterschiede und Parallelen – Letztere insbesondere in der Mystik und bei bestimmten Praktiken, die auf den Erleuchtungsprozess ausgerichtet sind. Dabei wird der Illuminationsprozess im Zen-Buddhismus mit der Erfahrung des göttlichen Lichts bei den Mystikern im orthodoxen Mönchtum (Hesychasten) verglichen. Insgesamt betonen jedoch viele orthodoxe Theologen eher die unterschiedlichen Voraussetzungen der Religionen Ostasiens gegenüber der Orthodoxie. Das gilt auch für die Differenzen zwischen orthodoxer Gebetspraxis und buddhistischer Meditation – so der griechische Religionshistoriker, Japanologe und Theologe Stelios Papalexandropoulos. Die isolierte Betrachtung mancher Parallelen zwischen Orthodoxie und ostasiatischen Religionen könne irreführend sein, denn der gesamte Kontext, in dem die beiden Religionstraditionen existierten, weise erhebliche Differenzen auf. Dem müssten auch interreligiöse Vergleiche Rechnung tragen.
Buddhistische Gruppen oder davon beeinflusste religiöse Bewegungen im Rahmen des New Age fanden während der letzten Jahrzehnte auch in mehrheitlich orthodoxen Ländern zunehmend Eingang; in manchen Fällen führte das zu Spannungen oder Problemen mit den Orthodoxen Kirchen oder den staatlichen Behörden dieser Länder. Da diese Bewegungen im Zusammenhang mit der allgemeinen Aufwertung der ostasiatischen Spiritualität in Europa und der USA gesehen wurden, wo die Suche nach neuartigen und attraktiveren Religions- und Sinnangeboten sich verstärkt hatte, stieß die Gründung buddhistischer Zentren in vielen Fällen auf Skepsis und Ablehnung. Ähnliche orthodoxe Reaktionen gegen die „Annäherung“ von populären buddhistischen (Zen) und orthodoxen asketischen Praktiken, die als Gefahr für die orthodox-christliche Wahrheitsexklusivität und Glaubensreinheit empfunden werden, sind auch aus dem multikulturellen Kontext der USA bekannt, so etwa bei dem bereits erwähnten Mönch Seraphim Rose.