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I. Fragen

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„Willst du wissen, was du von deiner Arbeit hältst?“ Die Frage, der sich der Schreibende in einem von Brechts wohl bekanntesten Exilgedichten stellen muss, ist eine, mit der sich nicht nur die meisten derjenigen Schriftsteller konfrontiert sahen, die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 ihr Land verlassen hatten, sondern die in der Folge auch für die Literaturwissenschaft immer wieder relevant geworden ist. Ob und mithilfe welcher Kriterien literarische Werke zu werten seien, die unter dem Druck der politischen Entwicklungen und nicht selten zudem unter dem der finanziellen Not wie Notwendigkeit entstanden, ist lange umstritten geblieben. Wenngleich die „selten ausgesprochene, aber weit verbreitete Annahme von der notwendigen ästhetischen Inferiorität von Exilliteratur, die nicht richtiger wird, wenn sie von Verständnis begleitet ist, etwa in dem Sinn, daß von Exilanten eine literarisch hochstehende Produktion nicht erwartet werden könne“,2 längst revidiert ist, bleibt der von Manfred Durzak schon in den 1970er Jahren eingeforderte Perspektivwechsel vom „moralischen Zeugnis zum literarischen Dokument“3 nicht selten doch noch von einem, vielleicht Pietät zu nennenden, Moment grundiert, mit dem sich die Forschung ihrem Gegenstand annähert. Noch 1983 eröffnet so das neubegründete Jahrbuch für Exilforschung, das längst zu den wichtigsten Periodika des Forschungsfeldes zählt, seine Vorrede zu der ersten Ausgabe mit der Ermahnung: „Die Geschichte der Leiden und Konflikte, denen die ausgebürgerten Gegner des Dritten Reichs ausgesetzt gewesen sind, verlangt, daß man Kritik mit Verständnis vereine.“4

Doch nicht nur die Problematik etwaiger ästhetischer oder moralischer Parameter hat die Exilforschung nachhaltig beschäftigt. Mindestens ebenso kontrovers diskutiert war und ist die Frage, was denn nun eigentlich zu einer Literatur des Exils zu zählen sei. Umfasste sie neben der „schöne[n] Literatur“ auch die „politische und wissenschaftliche“?5 Und war aus dieser Perspektive dann nicht vielleicht jeder der „im Exil geschriebenen, gedruckten und ungedruckten deutschsprachigen Text[e] zur Exilliteratur zu rechnen“?6 Wie waren literarische Zeugnisse der Autoren der sogenannten „Inneren Emigration“, von manchen Forschern gar als „inneres Exil“7 bezeichnet, einzuordnen? Zählten nicht auch solche Werke zu dem zu erforschenden Textkorpus, die nach der historischen Zäsur von 1945 verfasst wurden, aber aus einer sich fortschreibenden Exilerfahrung heraus, also einem Exil nach dem Exil, entstanden?8 Und war es von diesen Zeugnissen nicht nur ein kleiner Schritt zu derjenigen Literatur, die „das Exil thematisier[t], ohne dass die Autorinnen und Autoren selbst“9 je in ebendiesem sich befunden haben – wie die Herausgeber des 2013 erschienenen „Handbuchs der deutschsprachigen Exilliteratur“ meinen? Zudem, so haben manche Wissenschaftler eingewandt,10 sei ohnehin jeder Akt der literarischen Produktion auch Ausdruck einer Fremdheitserfahrung, die „exilische Kondition“11 aus anthropologischer Sicht seit dem grundlegenden Mythos von der Vertreibung aus dem Paradies nichts anderes als ein Teil der conditio humana.12 Ist der Begriff Exil-Literatur, aus dieser Perspektive, schlussendlich also nur ein Pleonasmus?

Nicht zuletzt hat auch die Annahme eines – inzwischen freilich als Mythos dekuvrierten – gemeinsamen ästhetischen Nenners, der aller im Exil entstandenen Literatur zu Eigen sei, die Forschung (und besonders in Zeiten der Teilung in Ost- und Westdeutschland) zu ganz unterschiedlichen Positionen geführt. Dabei ist die Suche nach einem einheitsstiftenden Moment bis heute ergebnislos geblieben. Selbst wenn der Untersuchungsgegenstand ganz konservativ‘, wie man es inzwischen wohl nennen müsste, auf die zwischen 1933 und 1945 von deutschsprachigen Exilanten verfassten literarischen Werke bezogen bleibt, so lassen sich zwar durchaus wiederkehrende Motive wie die Klage über die Verarmung oder gar den Verlust der sprachlichen wie ästhetischen Mittel, die politische Bezugnahme oder der gegenteilig verfahrende Rückzug in die Erinnerung wie Innerlichkeit etc. ausmachen. Diese lassen sich aber weder auf den Gesamtkorpus anwenden, noch können sie Exklusivität beanspruchen, da sich letztlich jedes der ausgemachten Merkmale auch auf andere Zeiten, Werke oder Autoren beziehen ließe. „Generalisierbare Aussagen über die literarischen Konstituenten von Exilliteratur sind“, wie so auch Bernhard Spies kritisch angemerkt hat, „nur durch entschlossene Reduktion zu gewinnen. […] Die eine Größe, in der alle Exilliteratur sich zusammenfaßt, ist kein verborgener Tatbestand derselben. Es war von Anfang an nur ein Ideal der danach Suchenden, eine Projektion der Literaturwissenschaft auf die Literatur des Exils.“13

Als eine ebensolche „Projektion“ hat sich längst auch die vermeintliche Einigkeit der Exilschriftsteller untereinander entpuppt. Weder die sich bildenden „literarischen Gruppierungen und Zweckbündnisse, die Zeitschriftengründungen und Verlagsunternehmungen“,14 noch die in den Exiljahren intensivierten Briefwechsel und „Flüchtlingsgespräche“15 vermögen darüber hinwegzutäuschen, dass es „eine Einheitsfront der Emigranten“16 nie gegeben hat und dass das „gemeinsame Los des erzwungenen Exils“17 weniger Einfluss auf die individuellen ästhetischen Modi der ja auch schon vor der Exilzeit ganz unterschiedlichen Künstlernaturen genommen hat, als anfänglich angenommen oder zumindest erhofft. So bleibt der wohl einzige Konsens ein negativer, indem festzustellen ist, dass es weder eine Einheit der Exilliteratur und ihrer Autoren, noch eine der Exilforschung, welche nicht nur Durzak schon in den 1980er Jahren „in heillosen Kontroversen verstrickt“18 sah, je gegeben hat. Vor diesem Hintergrund bleibt seine Forderung nach einer steten und selbstkritischen Revision der wissenschaftlichen Ergebnisse und Parameter innerhalb der Forschung nach wie vor eine aktuelle:

Angesichts eines literarischen Phänomens, das in sich so widersprüchlich und zersplittert ist wie die deutsche […] Exilliteratur insgesamt, ist es unumgänglich, sich die methodischen Optionen bewußt zu machen, mit denen der Versuch einer Bestandsaufnahme konfrontiert ist.19

In diesem Sinne hat also nicht zuletzt auch die Forschung zu einer Literatur des Exils, die zu diesem Zeitpunkt auf eine nun fast 50-jährige Geschichte zurückblickt und sich selbst, wie Krohn, Rotermund und Winckler postulieren, bereits „auf dem Weg ihrer Historisierung“20 befindet, ihre eigenen Ergebnisse im Sinne der Brechtschen Selbsterkundung immer wieder auf den Prüfstand stellen und sich fragen müssen, was sie denn nun von ihrer Arbeit zu halten habe.

Die deutsche Exilliteratur 1933 bis 1945

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