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Soziodemografie und Bedarfslage

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Ein einfaches und oft verwendetes Patientenklassifikationssystem ist das auf Krankheit und Beschwerden basierende System. Die offensichtliche Begrenztheit einer solchen Klassifikation besteht darin, dass sie Patienten trotz unterschiedlicher gesundheitlicher und sozialer Bedarfe und Bedürfnisse in die gleiche Gruppe einordnet. Gleichwohl ist die Ausrichtung von politischen Maßnahmen auf bestimmte Krankheiten ein vereinfachender und dennoch vernünftiger Ausgangspunkt, wenn im Anschluss daran die gesundheitliche und soziale Heterogenität mit einbezogen wird, um so den Bedarfen der Patienten besser gerecht zu werden. Angesichts der verschiedenen Megatrends im Hinblick auf die demografischen, technologischen und ökologischen Entwicklungen der Zukunft, kamen die Experten übereinstimmend zu dem Schluss, dass die absolute Zahl der Patienten mit chronischen, nicht übertragbaren Krankheiten sowie der Patienten mit langfristigem Pflegebedarf aller Voraussicht nach deutlich ansteigen wird. Eine erhebliche Belastung des Gesundheitssystems wird auch weiterhin von einer anderen Gruppe von Patienten ausgehen, die zwar nicht schwer chronisch erkrankt sind, aber durch funktionelle Einschränkungen und Behinderungen teilweise einen langfristigen Unterstützungs-, Behandlungs- und / oder Pflegebedarf aufweisen werden. Dies sind beispielsweise Patienten, welche infolge von ergonomischen Verletzungen und arbeitsbedingtem Stress, Muskel- und Skelettproblemen an Gelenken, Bändern, Wirbelsäule u.ä. aufweisen, die ein regelmäßiges funktionelles Rehabilitationstraining erfordern.

Darüber hinaus wiesen die Experten wiederholt darauf hin, dass nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige und emotionale Gesundheit stärker berücksichtigt werden muss, da psychische Gesundheit und psychosoziale Probleme bisher im Vergleich relativ wenig Aufmerksamkeit erlangt haben, in ihrem Umfang und Auswirkungen jedoch erheblich sind. Einigkeit bestand auch darüber, dass diese Patientengruppe in der Zukunft stark anwachsen wird.

In weiteren Diskussionsrunden vertraten die Experten einhellig die Ansicht, dass Patienten mit ähnlicher Diagnose und ähnlichem Sterberisiko, wie zum Beispiel solche mit kardiovaskulären oder neurodegenerativen Erkrankungen, individuell möglicherweise völlig unterschiedliche Fähigkeiten und eine ganz andere Lebensqualität haben und daher entsprechend verschiedene Behandlungsansätze benötigen. Ebenso können Personen mit ähnlichen funktionellen Einschränkungen, Symptomen, Beeinträchtigungen oder Diagnosen zur psychischen Gesundheit sehr unterschiedliche Versorgungsbedarfe haben. Daher waren sich die Experten einig, dass die Patientenkategorisierung in Zukunft nicht binär sein kann, dass also die Kategorien „gesund“ oder „krank“ nicht ausreichen. Auch eine Kategorisierung auf der Grundlage verschiedener Gesundheitsgrade wird nicht eindeutig und tragfähig sein. Stattdessen sollten Patienten auf einem Kontinuum von „gesund“ bis „krank“ eingeordnet werden können, wobei auch der physische, emotionale, soziale und psychologische Status und die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Daher ist es dringend erforderlich, geeignete bedarfsorientierte Kategorien statt krankheitsbasierter Klassifikationen zu entwickeln.

Aufgrund der zunehmenden Vielfalt und der sich verändernden Dynamik der Sozialstruktur ist eine statische Typologie, die allein auf herkömmlichen Patientenmerkmalen wie Alter, Geschlecht, Beruf, Ausbildung und Einkommen basiert, immer weniger sinnvoll. Daher empfahlen die Experten, über solche konventionellen Dimensionen hinauszugehen und flexible, transparente und verknüpfte Typologien zu entwickeln, die sich an den gesellschaftlichen Wandel anpassen. Konkret wurden u.a. folgende Ansätze vorgeschlagen:

ein auf dem „Lebenslauf“ statt auf dem Alter basierender Ansatz, wobei eine Verbindung zwischen Alter und Übergangsereignissen im Leben hergestellt werden sollte. So werden zum Beispiel Menschen, die das Rentenalter erreicht haben und sich nun in einem neuen Lebensabschnitt befinden, die „jungen Alten“, wahrscheinlich mit anderen gesundheitlichen Problemen und der Notwendigkeit von Verhaltensanpassungen konfrontiert sein als Personen anderen Alters (Mueller u. Shaikh 2018).

Entwicklung einer auf sozialer Schichtung basierenden Typologie, in die Merkmale wie Bildung, Einkommen, Beruf, andere Dimensionen zur Beschreibung des sozio-ökonomischen Status sowie andere relevante Patientenmerkmale einfließen, um darauf aufbauend einen Teilaspekt von künftigen Bedarfen und Bedürfnissen abzubilden. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für eine solche Verknüpfung von sozialer Schicht und Krankheit.

Abb. 1 Patiententypen basierend auf sozialer Schicht und Gesundheit

Personen mit hohem sozialem Status und schlechtem Gesundheitszustand werden als sozial stabil, aber gesundheitlich labil bezeichnet (SSGL). Diese Gruppe bedarf einer umfangreichen medizinischen Versorgung und kann sich aufgrund des hohen sozialen und wirtschaftlichen Status eine solche Versorgung im Bedarfsfall leisten. Im Gegensatz hierzu ist für die Personengruppe mit niedrigem sozialem Status und labilem Gesundheitszustand (SGL) ein differenzierter Ansatz notwendig, der sowohl den medizinischen als auch den sozialen Bedarfen dieser Patienten gerecht wird. Der Ansatz „Gesundheit in allen Politikbereichen“ (Health in All Policies), der unter anderem Schutz sozial benachteiligter Gruppen dient, kommt vor allem Menschen dieser Gruppe zugute. Die zu der sozial benachteiligten, aber gesundheitlich stabilen Gruppe gehörenden Personen (SSGS) befinden sich momentan zwar in einer stabilen Gesundheitslage, generell wird jedoch eine niedrige soziale Schicht mit einem schlechteren Gesundheitszustand in Verbindung gebracht. Aufgrund fehlender Ressourcen und Kenntnisse hat sie deshalb trotz ihrer relativen Gesundheit häufig das größte Risiko zu erkranken. Eine Verbesserung oder Unterstützung der sozialen Situation dieser Gruppe ist für die Gesundheitsversorgung von entscheidender Bedeutung. Auch erfolgt eine Behandlung sozial benachteiligter Gruppen häufig vergleichsweise spät und aus verschiedenen Gründen mit relativ schlechterem Outcome. So ergibt sich für diese Gruppen ein recht hoher Versorgungsaufwand. Ungeachtet der unnötigen funktionalen und sozialen Beeinträchtigungen sowie der Minderung an Lebensqualität, die dies nach sich zieht, ist allein aus ökonomischen Gründen die Verfolgung des Ansatzes „Gesundheit in allen Politikbereichen“ angeraten. Die Gruppe mit sozial und gesundheitlich stabilen Personen (SGS) ist die am wenigsten anfällige Gruppe im Hinblick auf gesundheitliche Probleme. Hierbei kann es sich zum Beispiel um Büroangestellte jungen sowie mittleren Alters handeln.

Die Kombination von digitaler Kompetenz und Gesundheitskompetenz wird eine Schlüsselrolle in der künftigen Gesundheitsversorgung spielen.

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