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«Hauptmann Gombos»

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Es war im Grunde ein grosses Glück für die ganze Bewegung, dass Lutz nur wenig bekannt war. Ich stand nicht in direktem Kontakt mit ihm, weil ich nur der Verbindungsmann zwischen seinen Leuten und dem militärischen Widerstand war, wo man mich als «Hauptmann Gombos» kannte. Ich stand in Verbindung mit Miklós Krausz, dem Vertreter der Jewish Agency, einem Freund von Carl Lutz. Miklós Krausz kannte mich, weil ich der zionistischen Jugendbewegung mit der Druckerei und anderem geholfen hatte. Ich arbeitete auch mit zwei oder drei jungen Diplomaten zusammen. Krausz wusste, dass wir fingierte Militäreinheiten hatten, dass wir für manche Menschen oder Plätze Wachen stellten, so wie für einige von Wallenbergs Schutzhäusern. Er fragte: «Können Sie ein Kommando an die Vadász-Gasse 29 schicken, damit die Räuber und Terroristen der Pfeilkreuzler dort nicht das Essen stehlen?»

Ich nahm den Namen meiner Mutter an und änderte auch meinen Rang. Ich war nur Leutnant und ernannte mich selbst zum Hauptmann. Ich hatte eine Uniform mit gefälschten Orden und gefälschte Papiere. So konnte ich überleben und anderen helfen. An Uniformen für unser Kommando zu kommen, war einfach; es lagen überall Leichen auf der Strasse. Die Papiere waren schwieriger zu beschaffen und wichtiger; sie mussten zur Person passen. Wir dachten uns Dokumente aus, die so unwirklich und so falsch waren, dass niemand es überhaupt für möglich hielt, damit durchzukommen. Wir waren eine nichtexistierende militärische Einheit, mit falschen Nummern, wunderschönen Stempeln, gedruckten Dokumenten des militärischen Oberkommandos, die bestätigten, dass unsere Einheit zur Bewachung eines Hauses da war. Wir hatten die Verantwortung. Wir gaben vor, wir seien dort, um die Juden an der Flucht aus ihrem «Gefängnis» zu hindern. Wir sorgten dafür, dass die Vadász-Gasse wie ein Gefängnis wirkte, in dem wir Juden gefangen hielten. Wir gaben vor, wir seien aus einem einzigen Grund dort – um sicherzustellen, dass die Juden in Auschwitz enden würden, dass sie ihrem Schicksal nicht entkämen. Wenn wir einem Pfeilkreuzler unsere Papiere zeigten, sagte er: «Das ist ein höherer Befehl, sie werden diese Leute in die Donau schmeissen oder nach Auschwitz schicken. Das erledigen die, das ist nicht unsere Arbeit.»

Es war äusserst wichtig, unsere Einheit sorgfältig zusammenzustellen. Ich hatte zum Beispiel einen Fahrer, der Jude war, und der fragte mich dreissig Jahre später: «Warum hast du eigentlich gerade mich aus dem Arbeitslager geholt?» Ich sagte: «Weil du nicht jüdisch ausgesehen hast.» Man konnte keine Leute in Uniformen stecken, die jüdisch aussahen und sie zur Rettung anderer Juden schicken, die Einheit wäre aufgeflogen. Das ganze Widerstandssystem wäre zusammengebrochen. Das traf auch auf die Schutzhäuser von Carl Lutz zu. Einige der Wächter waren Juden, aber man musste aufpassen, dass ihre Identität nicht aufgedeckt wurde. Die Wächter vor dem Glashaus bestanden meist aus geflüchteten Offizieren, ein paar jungen Männern und mehreren jüdischen Jugendlichen aus Arbeitslagern, alle in falschen Uniformen. Wir stahlen die Lebensmittel von den Deutschen, die Uniformen von der ungarischen Armee, und die Dokumente wurden in der Athenaeum-Druckerei angefertigt. Das System war hervorragend aufgebaut.

Die zionistische Jugendbewegung half Hunderten von Menschen, sich in der Stadt zu bewegen, von einem Schutzhaus zu einem anderen zu gelangen. Wie viele Menschen in jener schrecklichen Zeit in die Rettung der Juden involviert waren, lässt sich nicht sagen. Auch nicht, wie viele Menschen das faschistische Regime unterstützten, wie viele in der Pfeilkreuzlerpartei waren. Auch kann das Volk nicht verurteilt werden. Wer half, wer war ein Held, wer war keiner? Einige aber stachen heraus.

Carl Lutz stach heraus wie ein Denkmal, denn er war nicht nur ein Mensch mit grossem Gewissen und grossen Fähigkeiten, er war auch ein Schweizer Patriot, der beweisen wollte, dass die Schweiz für Freiheit stand, für Meinungs- und Religionsfreiheit, dass es ihrer freiheitlichen Gesinnung entsprach, Menschen zu helfen. Er war ein Beispiel dafür, was möglich ist. Aber jene, die ihm halfen, wussten auch, dass einer allein keinen einzigen Menschen retten konnte. Es gab keinen einzigen geretteten Juden, ohne dass nicht Dutzende andere daran beteiligt waren. Da war derjenige, der ihn ins Haus hereinliess, derjenige, der ihn zum Taxi brachte, derjenige, der ihm ein bisschen Kleingeld oder etwas zu essen gab, derjenige, der mit gefälschten Bescheinigungen von einem Ort zum andern rannte, derjenige, der den Telefonanruf machte, um ihm zu sagen, er soll fliehen. Es war eine Kette von Ereignissen, und eine einzige Sekunde konnte von Bedeutung sein. Wo konnte in dieser Sekunde jemand helfen? War jemand da, der einem zu Hilfe kam? War jemand da, der einem dieses Papier gab? Niemand konnte allein tausende Verfolgte retten. Und das trifft auch für Lutz zu. Lutz war ein Held, aber er brauchte Hunderte andere, die ihm halfen.

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