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4 Literaturgeschichte und Konstruktivismus

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Die Wahrheiten der Postmoderne

Christoph Reinfandt

Wer ist schuld am weltweiten Aufstieg der Rechtspopulisten und dem mit ihm offenkundig werdenden ›postfaktischen Zeitalter‹? Etwas differenzierter sollte man wahrscheinlich fragen, was denn die vermutlich durchaus vielfältigen Ursachen für diese Entwicklung sind, doch im massenmedialen Betrieb des Feuilletons und des Kulturjournalismus gibt es bereits pointierte Antworten: Die Schuldigen sind allesamt auf der linken Seite des politischen Spektrums zu verorten. »Die Hippies sind schuld«, konstatiert etwa die Überschrift von Thomas Assheuers (2017) letztlich doch abgewogeneren Überlegungen im Anschluss an den amerikanischen Kulturwissenschaftler Fred Turner (2006 und 2016). Assheuer bezieht immerhin noch Rahmenbedingungen wie etwa die fortschreitende Digitalisierung mit ein und verweist auf verkomplizierende Faktoren wie die Spaltung der Linken. Wesentlich einfacher macht es sich hier der Züricher Philosoph Michael Hampe (2016). Hampe erklärt, »pubertäre Theoretiker« der »kulturwissenschaftlichen Linken« (»KWL«) hätten mit ihrem dekonstruktiven Insistieren auf der medialen, diskursiven und damit letztlich sozialen und politischen Konstruiertheit aller Dinge den Aufstieg der »lügenden grobianischen Rechten« (»LGR«) herbeigeführt. In der Beliebigkeit der Postmoderne sei nunmehr die Gültigkeit objektiver Fakten derart unterminiert, dass die Populisten freie Bahn hätten.

Obwohl der Befund eines gegenwärtig geschwächten Evidenz- und Referenzprinzips für Aussagen über die Wirklichkeit natürlich nicht von der Hand zu weisen ist, greift diese Schuldzuweisung doch zu kurz und ist damit ebenso populistisch wie der kritisierte postfaktische Diskurs. Zum einen sollte man die Wirkmächtigkeit geistes- und kulturwissenschaftlicher Seminare und Publikationen nicht überschätzen, wie etwa Bernhard Pörksen in seiner Replik (2017) hervorhebt. Zum anderen haben sich die pauschal als ›pubertär‹ verunglimpften Theoretiker ihre durchaus komplexen Theorien nicht aus einer Laune heraus ausgedacht, sondern, das sollte man ihnen zugestehen, in Fortsetzung einer langen und durchaus ehrwürdigen Tradition skeptischen und kritischen Nachdenkens und in Reaktion auf eine sich ausdifferenzierende, immer komplexer werdende moderne Wirklichkeit. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diese Tradition und ihre jüngeren Erscheinungsformen in eine Perspektive ihrer medialen und technologischen Bedingtheit einzurücken, so dass klar wird, dass schlichte Schuldzuweisungen à la Hampe nicht zielführend sein können. Dabei wird es auch darum gehen, deutlich zu machen, was denn die Literaturwissenschaften zur Klärung dieses Sachverhalts beitragen können.

Literaturwissenschaften in der Krise

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