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5. Spezialsprachen: Fachsprachen, Wissenschaftssprachen etc.

Heinz Sieburg

Spezialsprachliche Kommunikationsformen sind zwar bereits aus früheren historischen Zusammenhängen bekannt, ihre Notwendigkeit hat mit der stetigen Ausdifferenzierung arbeitsteiliger Gesellschaften jedoch deutlich zugenommen. Sie sind in modernen Gesellschaften unerlässlich, um dem zunehmenden Bedarf spezialisierter professioneller und wissenschaftlicher Verständigung entsprechen zu können. Zu diesem Zweck haben sich unterschiedlichste Fachsprachen herausgebildet, die durch die je spezifischen Kommunikationsansprüche (Inhalte, Methoden etc.) der beruflichen Sparten und Wissenschaften bedingt sind. Fachsprachen können als funktional angepasste Varietäten (Funktiolekte) beschrieben werden. Hadumod BußmannBußmann, Hadumod (Lexikon der Sprachwissenschaft, 186) definiert Fachsprache als »[s]prachliche Varietät mit der Funktion einer präzisen, effektiven Kommunikation über meist berufsspezifische Sachbereiche und Tätigkeitsfelder«. Fachsprachen dienen der sachbezogenen, den Funktionskriterien der Deutlichkeit, Verständlichkeit, Ökonomie und Anonymität (im Sinne eines nichtindividuellen, affektfreien Stils) unterworfenen Verständigung von Experten in einem fachlich definierten Kommunikationsfeld. Wissenschaftssprachen können den Fachsprachen zugerechnet oder gegen diese abgegrenzt werden. Differenzkriterium ist dann die durch die jeweilige Wissenschaftstheorie und -methode bestimmte besondere Verbindlichkeit des terminologischen Systems der Wissenschaftssprachen gegenüber gewöhnlichen Fachsprachen.

Fachsprachen werden in der Regel den Sondersprachen (in einem engeren Sinne) gegenübergestellt. (In einem weiten Sinn decken sich die Begriffe Sondersprache und Soziolekt.) Zu Letzteren können Gaunersprachen wie Rotwelsch, bestimmte Handwerkersprachen wie das auf dialektaler Basis entwickelte ›Lebber Talp‹ (WegeraWegera, Klaus-Peter, »Lebber Talp«) oder Sprachspielereien von Schülern in Form von ›Bi-Sprachen‹, die allesamt die Funktion von Geheimsprachen haben, gezählt werden. Differenzkriterium ist die Sachgebundenheit in den Fachsprachen gegenüber der Sozialgebundenheit der Sondersprachen. Beide stellen Abweichungen gegenüber der funktional neutralen Alltagssprache (Gemeinsprache, Normalsprache, Umgangssprache in diesem Sinne) dar, wenngleich die Gründe hierfür differieren. In den Fachsprachen steht die präzise fachliche Kommunikation im Zentrum, Verständnisbarrieren gegenüber der Gemeinsprache treten als Effekt meist zwangsläufig auf, sind aber nicht intendiert. Sondersprachen dienen dagegen dem spezifischen Interesse bestimmter sozialer Gruppen und sind auf kommunikative Abschottung hin angelegt und damit funktional isolativ. (Unter diesem Gesichtspunkt ließe sich etwa auch die Jugendsprache den Sondersprachen zurechnen.) Eine Besonderheit stellen Varietäten wie etwa die Jägersprache oder die Sprache des Sports dar, da sich in diesen die Kriterien der Sach- und Sozialgebundenheit überlappen bzw. die zugrundeliegende Tätigkeit nicht notwendigerweise im Rahmen eines Berufes ausgeübt werden muss. Generell konfrontiert die Frage der Definition und Abgrenzbarkeit von Fächern (oder Berufen, Branchen, Wissenschaften) die Fachsprachenforschung mit erheblichen Herausforderungen.

Fachsprachen sind Teil des Varietätensystems einer Sprache. Ihre Basis ist die Standardsprache (vgl. II.1). Zu dieser besteht Durchlässigkeit insofern, als Elemente der Fachsprache in diese übergehen können und damit Bestandteil der Alltagssprache werden. Prozesse der Popularisierung von Fachwissen (zu Allgemeinwissen) sind weit verbreitet und lassen sich auf unterschiedlichste Berufsfelder und Wissenschaftsbereiche beziehen. Sie werden begünstigt durch ein allgemein ansteigendes Bildungsniveau der Bevölkerung, die Notwendigkeit, sich etwa neuer Technologien zu bedienen (Computerisierung, Digitalisierung), oder durch den Prestige-Mehrwert, der bestimmten Fachjargons zugemessen wird. So sind beispielsweise Fachwörter der Medizin wie Diagnose, Therapie, Infarkt inzwischen fester Bestandteil des allgemeinen Wortschatzes. Andererseits führt insbesondere die zunehmende Ausdifferenzierung in den Wissenschaften zu einer Vergrößerung des Abstandes zur Alltagssprache. Die Überbrückung der dadurch bedingten Kommunikationskluft kann aus unterschiedlichen Gründen notwendig werden und wird zum Teil durch Wissenschaftsjournalisten geleistet (z.B. regelmäßig bei der Erläuterung von mit Nobelpreisen ausgezeichneten naturwissenschaftlichen Forschungen).

Aus soziolinguistischer Sicht ist darauf hinzuweisen, dass Fachsprachen gruppendefinierend und -stabilisierend wirken können. Gegenüber Nicht-Fachleuten (Laien), wozu im Wissenschaftsbereich unter Umständen auch Vertreter fachfremder Disziplinen zu zählen sind, bilden Fachsprachen eine Sprachbarriere. Zumal bei Angehörigen von Berufsfeldern und Wissenschaftsdisziplinen, denen ein hohes Sozialprestige zugemessen wird, können Fachsprachen (bzw. fachsprachliche Elemente) den soziolinguistischen Effekt haben, Privilegierung und Exklusivität zu markieren, und autoritätssteigernd wirken. Andererseits kann terminologische Unverständlichkeit aber auch als Imponiergehabe angesehen oder als ›Fachsimpelei‹ abgetan werden.

Fachsprachen lassen sich nach unterschiedlichen theoretischen und methodischen Gesichtspunkten beschreiben. Deutlich wird dies durch die veränderte Orientierung innerhalb der (deutschen) Fachsprachenforschung, die eine Abfolge unterschiedlicher Forschungsansätze erkennen lässt (vgl. RoelckeRoelcke, Thorsten, Fachsprachen, 18ff.). Grundlage war zunächst die Orientierung an einem ›systemlinguistischen Inventarmodell‹ mit der Betonung der Fachsprache als eines sprachlichen Zeichensystems, das Produzenten und Rezipienten im Rahmen fachlicher Kommunikationen nutzen. Demgegenüber verlagern jüngere Ansätze den Forschungsschwerpunkt stärker auf den Fachtext und dessen ko- und kontextuelle (situative, soziologische, psychologische) Rahmen- und Entstehungsbedingungen (›pragmalinguistisches Kontextmodell‹), wodurch Fachsprachen nicht als Voraussetzung fachbezogener Kommunikation zu beschreiben sind, sondern als Resultat spezifischer Kommunikationskonstellationen. Eine weitere (und jüngere) Schwerpunktsetzung betont die Rolle des Produzenten und Rezipienten im Rahmen fachsprachlicher Kommunikation (›kognitionslinguistisches Funktionsmodell‹), wobei insbesondere auf die kognitiven Anlagen und intellektuellen Anforderungen der am Kommunikationsprozess Beteiligten abgehoben wird.

Zur Erfassung des komplexen und hochdifferenzierten Gegenstandsbereichs der Fachsprachen wurden auf fachwissenschaftlicher Ebene verschiedene Systematisierungskonzepte entwickelt, worunter auch die fundamentale Unterscheidung nach Gliederungsebenen fällt: Auf horizontaler Gliederungsebene steht die Frage der Aufteilung der jeweiligen Fächer und Fachbereiche und die daraus ableitbare Korrelation zu den fachsprachlichen Varietäten und Textsorten (z.B. wissenschaftliche Abhandlung, Lehrbuch, Lexikonartikel) im Mittelpunkt. Dabei wird die Wissenschaftssprache (bisweilen auch Theoriesprache genannt) der Praxissprache gegenübergestellt oder es werden differenziertere Modelle wie das der Dreiteilung in Wissenschaftssprache, Techniksprache, Institutionensprache vorgeschlagen (StegerSteger, Hugo, »Erscheinungsformen der deutschen Sprache«). Die vertikale Ebene der Gliederung orientiert sich an den Kommunikationsbedingungen, die mit den unterschiedlichen Fächern verbunden oder innerhalb der Fächer gegeben sind. Orientierungsgröße ist hier der Abstraktionsgrad der jeweiligen fachsprachlichen Kommunikationsstufen. Auch hier sind seitens der Fachsprachenlinguistik unterschiedlich ausdifferenzierte Modelle vorgeschlagen worden. So etwa das Fünfstufenmodell von Lothar HoffmannHoffmann, Lothar (Kommunikationsmittel Fachsprache, 64–70) mit der Unterscheidung in (1) die Sprache der theoretischen Grundlagenwissenschaften, (2) die Sprache der experimentellen Wissenschaften, (3) die Sprache der angewandten Wissenschaften und der Technik, (4) die Sprache der materiellen Produktion und (5) die Sprache der Konsumtion.

Fachsprachen lassen sich aus systemlinguistischer Sicht anhand bestimmter Merkmale beschreiben. Durch diese soll die fehlerfreie Vermittlung von Informationen garantiert und die referentielle Funktion von Sprache (Darstellungsfunktion) – im Sinne Karl BühlersBühler, Karl oder Roman JakobsonJakobson, Romans – optimiert werden (wobei etwa unter pragmalinguistischer Perspektive zusätzlich auf die die Informationsvermittlung begünstigenden bzw. hindernden Rahmenbedingungen zu verweisen wäre). Dabei können (intrafachliche) Bereiche, die ausschließlich einer Fachsprache angehören (generative Transformationsgrammatik, IC-Analyse, Morphosyntax als Beispiele der Linguistik), solchen gegenübergestellt werden, die fachübergreifend (interfachlich) gelten (z.B. Empirie, Methodologie, Theorie). Erkennbar wird an diesen Beispielen (der Wissenschaftssprache) zum einen die für Fachwortschätze allgemein typische Neigung zu komplexen Wortbildungen (für die das Deutsche prädestiniert ist), zur Verknappung durch Abkürzungen und, speziell in den Wissenschaften, zur Basierung auf Begriffe oder Wortbildungselemente gräkolateinischen Ursprungs, denen häufig der Status von Internationalismen zukommt. Innerhalb der IT-Branche und der hiervon geprägten, in Teilen sicherlich bereits gemeinsprachlichen, Medienkommunikation wird dagegen stärker auf angloamerikanische Lehnwörter zurückgegriffen (Browser, Provider, LAN, WWW). Generell erfolgt die Abgrenzung zur Alltagssprache häufig aber über eine semantische Differenzierung bestehender Wörter. So sind (homonyme) Begriffe wie Befehlsfolge, Treiber oder Netz gleichzeitig Elemente eines Fachwortschatzes (Computertechnik) und der Gemeinsprache.

Die voranstehenden Beispiele verdeutlichen die herausgehobene Stellung der lexikalischen Ebene der Fachsprachen, allerdings wäre eine Gleichsetzung von Fachsprache und Fachwortschatz verfehlt. Zu berücksichtigen sind vielmehr weitere linguistische Beschreibungsebenen. So zeigt sich auf grammatischer Ebene eine Dominanz der Präsensformen, eine hohe Frequenz des attributiven Genitivs (die Beurteilung der Theoriemodelle), eine verstärkte Neigung zu morphosyntaktischen Konstruktionen in Form von Nominalisierungen (die Angabe der Wortbedeutung) und Funktionsverbgefügen (kommt zur Ausführung), eine Vermeidung von Personalsubjekten (der Sachverhalt erscheint dem Betrachter), eine Tendenz zur Passivierung (daraus lässt sich ableiten) sowie zur Parallelität des Satzbaus (zum einen, zum anderen).

Die Aneignung von Fachsprachen erfolgt überwiegend im Rahmen der schulischen oder in den sich anschließenden berufs- bzw. fachbezogenen Ausbildungen (etwa Lehre oder Studium), wobei der Spezialisierungsgrad und damit der Grad der fachsprachlichen Ausdifferenzierung natürlich differiert. Insbesondere im akademischen Bereich werden dabei auch spezifische, durch die Methoden und Erkenntnisinteressen des Faches bedingte Denk- und Mitteilungsstrukturen vermittelt (vgl. BuhlmannBuhlmann, Rosemarie/FearnsFearns, Anneliese, Handbuch des Fachsprachenunterrichts). Zur Vermittlung (und semantischen Stabilisierung) von Fachwortschätzen dienen nicht zuletzt spezifische Fachlexika, wie etwa das oben genannte Lexikon der Sprachwissenschaft (BußmannBußmann, Hadumod). Unter fachlexikografischer Perspektive erweisen sich Fachlexika meist als deskriptive, semasiologisch orientierte (also ausdrucksseitig geordnete) strikt initialalphabetische Sammlungen von Fachbegriffen (Stichwörtern bzw. Lemmata), die präzise definiert und etwa durch Beispielangaben, bildhafte Darstellungen, Querverweise und Angaben zu weiterführender Literatur ergänzt werden.

Literatur

Buhlmann, RosemarieBuhlmann, Rosemarie/Anneliese FearnsFearns, Anneliese, Handbuch des Fachsprachenunterrichts. Unter besonderer Berücksichtigung naturwissenschaftlich-technischer Fachsprachen, Tübingen 62000.

Bußmann, HadumodBußmann, Hadumod, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 42008.

Hoffmann, LotharHoffmann, Lothar, Kommunikationsmittel Fachsprache, Tübingen 21985.

Roelcke, ThorstenRoelcke, Thorsten, Fachsprachen, Berlin 32010.

Steger, HugoSteger, Hugo, »Erscheinungsformen der deutschen Sprache. Alltagssprache – Fachsprache – Standardsprache – Dialekt und andere Gliederungstermini«, in: Deutsche Sprache 16/1988, S. 289–319.

WegeraWegera, Klaus-Peter, Klaus-Peter, »Lebber Talp. Die Geheimsprache der Backofenbauer aus Bell in der Nordosteifel«, in: Ulrich KnoopKnoop, Ulrich (Hrsg.), Studien zur Dialektologie I, Hildesheim 1987, S. 183–206.

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