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2 Kriterien zur Definition von Modalpartikeln

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Um Grammatikalisierungsprozesse von Modalpartikeln betrachten zu können, muss vorab definiert werden, durch welche Eigenschaften sich Modalpartikeln von anderen Wortarten unterscheiden. Auch muss geklärt werden, ob und welche Modalpartikeln im Französischen überhaupt existieren, da hinsichtlich dieser Thematik in der Fachliteratur keine Einigkeit herrscht. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich noch vor einer diachronen Betrachtung den neueren Erkenntnissen der (gallo-)romanistischen Modalpartikelforschung zuzuwenden. Schoonjans (u.a. 2014; 2015) nennt eine verhältnismäßig große Zahl an französischen Lexemen, welche er als Modalpartikeln klassifiziert. Es handelt sich dabei um bonnement, donc, encore, quand même, seulement, simplement, tout de même und un peu. Schoonjans (2014; 2015) begründet sein Postulat hauptsächlich mit der Existenz eines Mittelfelds im Französischen sowie der Übersetzbarkeit der deutschen Modalpartikeln mit den jeweiligen Lexemen. Insbesondere für quand même konstatierte auch bereits Waltereit (2004; 2006) eine Eigenschaft, die sich von der des Ursprungslexems, dem konzessiven Adverb, unterscheidet: Das Adverb quand même dient dazu, eine konzessive Kookkurrenz zu markieren (cf. Waltereit 2006:76). Im Gegensatz dazu existieren Fälle, bei denen ein Widerspruch, wie dies eine solche Kookkurrenz darstellen würde, nicht möglich ist. Waltereit (2006) distanziert sich jedoch von der Aussage, dass es sich um Modalpartikeln handele. Seine Ansicht begründet er damit, dass es im Französischen kein Mittelfeld gebe, welches aber die notwendige syntaktische Position für diese Wortart sei.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern untersucht Meisnitzer (2012) einige Lexeme, die als Modalpartikeln bezeichnet werden könnten, unter Berücksichtigung der funktional-kognitiven Komponente der deutschen Modalpartikeln. In Anlehnung an Leiss (2009) übernimmt er dabei das Konzept des Fremdbewusstseinsabgleichs, im Sinne einer Assertion über die Annahme des Adressaten bezüglich des Inhalts der Proposition. Dies ähnelt in gewissem Maße der Annahme Coniglios (2006:57–58), der die kognitive Funktion der Modalpartikeln in einer Kodierung der Meinung des Sprechers gegenüber dem Gesagten ausmacht. Jedoch trifft dies auch für Modaladverbien und epistemische Modalverben zu.

 (1) Hans: Max ist wahrscheinlich / vermutlich Mod. Adv. krank gewesen.[+ Sprechereinschätzung von p]

 (2) Hans: Max soll / dürfte EMV krank gewesen sein.[+ Sprechereinschätzung von p; + Quelle der Information]

Wie die Beispiele (1) und (2) verdeutlichen, können nicht nur Modalpartikeln die Sprechereinschätzung/-meinung beziehungsweise Haltung des Sprechers gegenüber dem Gesagten kodieren. Deshalb ermöglicht eine Unterscheidung anhand dieser von Coniglio (2006) beschriebenen pragmatischen Funktion nur bedingt eine Abgrenzung von Modalpartikeln.1 Vergleicht man (1) und (2), fällt als Unterscheidungskriterium zwischen Modaladverbien und Modalverben die Berücksichtigung der Quelle der Information der Proposition auf, die bei Modaladverbien im Gegensatz zu Modalverben nicht berücksichtigt wird. In (2) gibt es Indizien, Evidenzen oder Aussagen, die dafür sprechen, dass Max krank war. In (1) hingegen liegt lediglich eine Einschätzung beziehungsweise Vermutung des Sprechers vor. Eine Abgrenzung der Modalpartikeln gegenüber Modaladverbien und Modalverben ist ebenfalls unter Berücksichtigung der sprachlichen Handlung, die dem Sprechakt zugrunde liegt, und dessen, was im Sprecher beim Formulieren seiner Proposition auf kognitiver Ebene geschieht, möglich.

 (3) Hans: Max ist doch / ja Modalpartikel krank gewesen.[+ Sprechereinschätzung von p; + Quelle der Information; + Fremdbewusstseinsabgleich]

Zwar wird durch die Modalpartikel weiterhin sowohl die Meinung des Sprechers als auch die Quelle der Information kodiert, jedoch tätigt der Sprecher zusätzlich eine Einschätzung über den Kenntnisstand des Adressaten. Gleichzeitig wird es dem Gesprächspartner implizit ermöglicht, ja er wird geradezu dazu aufgefordert, auf die vom Sprecher getätigte Einschätzung Bezug zu nehmen (cf. Abraham 2011:14). Dies bezeichnet Abraham (2009) als Fremdbewusstseinsabgleich: Der Hörer kann die Einschätzung des Sprechers über den Kenntnisstand des Adressaten ohne einen Gesichtsverlust (face keeping strategy) bestätigen oder korrigieren. In (3) gibt Hans dem Hörer zu verstehen, dass diesem der Inhalt der Proposition bekannt sein müsste, sei es, weil er ihm die Information bereits mitgeteilt hat oder sei es durch eine andere Quelle. Eine Auslassung der Modalpartikel würde zwar keine Veränderung der Proposition und deren Wahrheitswerts bewirken, jedoch hätte dies Auswirkungen auf illokutionärer Ebene. Eine Verneinung der Kenntnis des Inhalts der Proposition durch den Adressaten wäre nicht ohne einen Gesichtsverlust möglich.

Ungeachtet der jeweils betrachteten Sprache reichen pragmatisch-kognitive Kriterien allein jedoch nicht aus, um Modalpartikeln zu identifizieren. Aufbauend auf Meisnitzer (2012) kombinieren Gerards/Meisnitzer (2017) aus diesem Grund den oben dargelegten pragmatisch-kognitiven Ansatz mit phonologischen und morphosyntaktischen Kriterien, welche aus zahlreichen anderen Studien vor allem in der deutschen Modalpartikelforschung exzerpiert wurden. Dies sind die folgenden Kriterien:

 MP besitzen homophone Lexeme mit lexikalischer Semantik (Abraham 2011:129).

 MP haben metakommunikative, illokutionäre Kraft = Sprechaktmodifizierung; Skopus über gesamten Satz (cf. Coniglio 2011:138; Waltereit 2006:1; Wegener 1998:43).

 MP sind fakultativ, meist unbetont und nicht flektierbar (cf. Waltereit 2006:1).

 MP haben gegenüber ihrem Quelllexem an syntaktischer Mobilität verloren (= stärkere Grammatikalisierung); Dt.: im Satzmittelfeld (cf. Abraham 1988:457).

 MP sind im Wesentlichen ein root-Phänomen (cf. Thurmair 1989:44–45).

 MP können nicht alleine auftreten, nicht alleine als Antwort auf eine Frage fungieren und sind nicht erfragbar (cf. Waltereit 2006:1).

 MP sind miteinander kombinierbar, unterliegen hierbei jedoch Restriktionen. Sie sind nicht koordinierbar (cf. Waltereit 2006:1).

 MP sind nicht modifizier- oder erweiterbar (cf. Waltereit 2006:1).

 MP sind nicht negierbar (cf. Waltereit 2006:1).

 MP haben keinen Konstituentenstatus und sind nicht satzwertig (cf. Schoonjans 2013:135).

 MP sind syntaktisch und prosodisch (und deshalb auch grafisch) in den Satz integriert (cf. Schoonjans 2013:135).

Eine derartige kontrastive Herangehensweise bezüglich der definitorischen Kriterien von Modalpartikeln bietet sich angesichts der offenen Frage nach deren Existenz in den romanischen Sprachen an. Von Übersetzungsvergleichen wurde in der vorliegenden Studie, ebenso wie in Vorgängerarbeiten (cf. Meisnitzer/Gerards 2016 und Gerards/Meisnitzer 2017), abgesehen. Wir sind der Überzeugung, dass Übersetzungen sowohl zu einer forcierten Verwendung von Lexemen zwecks (vermeintlich) detailgetreuer inhaltlicher Wiedergabe als auch zur Auslassung potenziell verfügbarer Modalpartikeln führen können. Mit anderen Worten: Übersetzungsvergleiche können sowohl zu einer fälschlichen Konstatierung der Nichtexistenz von Modalpartikeln als auch zu einer irrigen Klassifizierung von Lexemen als Modalpartikeln führen. Übersetzungen alleine geben zudem per se keinerlei Auskunft über die Idiomatizität der verwendeten sprachlichen Mittel.

Unter Berücksichtigung des genannten Kriterienkatalogs plädiert Meisnitzer (2012:345–347) dafür, die französischen Lexeme bien, quand même und donc als Modalpartikeln zu klassifizieren. Aus sprachhistorischer Sicht stellt sich nun allerdings die Frage, wie es zur Genese dieser Modalpartikeln kam. Sprachkontakt als flächendeckender Erklärungsansatz scheidet angesichts der punktuellen Existenz von Modalpartikeln in nahezu allen romanischen Sprachen, die zudem auf verschiedenste Quelllexeme zurückgehen, aus. Dies invalidiert nicht die Annahme, dass Sprachkontakt den Wandel einzelner Lexeme beziehungsweise spezifische Modalpartikel-Verwendungsweisen begünstigt haben kann, wie im Fall von ya und pues im Spanischen im Kontakt mit dem Baskischen (cf. Meisnitzer/Gerards 2016:140, 144).

Eine Schwierigkeit bei der Erforschung der Diachronie von Modalpartikeln stellt die Tatsache dar, dass diese charakteristisch für nähesprachliche Kontexte sind und selbige in diachronen Korpora unterrepräsentiert sind. Zudem verfügen wir erst in neuerer Zeit über die Möglichkeit der Speicherung von und somit des Zugriffs auf gesprochene Sprache, die prozentual gesehen häufiger nähesprachlich konzipiert ist als schriftliche Textproduktionen.

Bei der Grammatikalisierung von Modalpartikeln handelt es sich um Sprachwandelphänomene der neueren französischen Sprachgeschichte. Erste mögliche Belege finden sich im 19. Jahrhundert und erst im 20. Jahrhundert sind in den Korpora Okkurrenzen auffindbar, die gemäß der phonologischen, morphosyntaktischen, semantischen und pragmatisch-funktionalen Kriterien eindeutig als Modalpartikeln einzuordnen sind. Zudem handelt es sich dabei um eine gewissermaßen „marginale“ (oder besser „marginalisierte“) Erscheinung, denn die französische Sprache verfügt nicht über ein eigenes Modalpartikelparadigma. Dies erklärt auch, weshalb die Kategorie in der präskriptiv-normativen Grammatikschreibung keine Erwähnung findet. Im Rahmen einer deskriptiven Grammatikforschung darf die Existenz von Modalpartikeln im Französischen jedoch keinesfalls a priori ausgeschlossen werden, da eine Kategorisierung als Adverb (bien, donc) oder Konjunktion (quand même) aus funktionaler Sicht falsch wäre.

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