Читать книгу Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte - Группа авторов - Страница 22
4 Die Entstehung von Modalpartikeln: ein Fall von Grammatikalisierung oder Pragmatikalisierung?
ОглавлениеIn der klassischen Forschungsliteratur angelsächsischer Prägung (cf. u.a. Wegener 1998; Waltereit 2004, 2006) wird ohne weitere Begründung für die Genese vom Ausgangslexem hin zur Modalpartikel von einem Grammatikalisierungsprozess gesprochen. In neueren Studien besonders in der Romanistik wird jedoch stärker der Begriff der Pragmatikalisierung geprägt, wenn es um die Entwicklungsprozesse von Diskursmarkern und Gesprächspartikeln beziehungsweise Modalpartikeln geht, sofern diese differenziert betrachtet werden. Pragmatikalisierung ist der Prozess, innerhalb dessen eine sprachliche Einheit in einem entsprechenden Kontext ihren semantischen Gehalt und ihre sprachliche Funktion zugunsten einer rein diskursorganisierenden Bedeutung und Funktion verliert (cf. Frank-Job 2009:300).
Gemäß der angeführten Definition von Pragmatikalisierung stellt sich die Frage, ob die Entstehung der Modalpartikeln durch routinisierte Verwendungen nicht eher einem Pragmatikalisierungsprozess zuzuschreiben sind als einem Grammatikalisierungsprozess im Lehmannʼschen Sinne (cf. Lehmann 2002). Wie bereits festgestellt, verlieren die Ursprungs- beziehungsweise Quelllexeme in ihrer Entwicklung zur Modalpartikel an lexikalischer Semantik zugunsten einer verstärkten illokutionären und pragmatischen Kraft (cf. Wegener 1998:43). Dies entspricht ebenfalls der oben zitierten Definition und tritt sowohl bei deutschen als auch bei französischen Modalpartikeln auf. Ein weiteres Kriterium, welches die Fragestellung berechtigt, ist die Zunahme des Skopus der Modalpartikeln über den gesamten Satz (cf. Waltereit 2006; Coniglio 2011:138). Dies widerspricht der Auffassung Lehmanns (2002:128), dass grammatikalisierte Lexeme eine Einschränkung des Skopus durch Kondensierung erfahren.
Auf den ersten Blick scheinen die Argumente für eine Pragmatikalisierung zu sprechen. Zu bedenken ist allerdings, dass Modalpartikeln sich zwar auf den illokutionären Akt auswirken und somit ihre Wirkung nicht primär auf der Ebene der konkreten sprachlich-kodierten Proposition haben (derenWahrheitsbedingung unverändert bleibt), die Wirkungsebene der Diskursmarker jedoch gerade über der Grenze des Satzes liegt, sodass eine terminologische Zusammenfassung der (sehr unterschiedlichen) Entstehungsprozesse beider Wortarten als Pragmatikalisierung - in Abgrenzung zur Grammatikalisierung keinerlei Vorteile bringt (vgl. Detges/Waltereit 2016; Diewald 2012). Dies ist ein Grund, weshalb wir auch für einen Erhalt des Terminus der Grammatikalisierung und gegen die Prägung des Begriffs Pragmatikalisierung plädieren. Außerdem ist Detges und Waltereit (2016) zuzustimmen, dass bei der Genese von Modalpartikeln nicht von Pragmatikalisierung gesprochen werden kann, da Faktoren wie z.B. die Restriktion der Modalpartikel auf einen bestimmten syntaktischen Kontext, Verlust an phonologischer Substanz und Abbau lexikalischer Semantik entscheidend sind und diese eher für einen Grammatikalisierungsprozess sprechen. Zwar wurde auch in diesem Aufsatz bei einer Häufung der Okkurrenzen von einer Routinisierung gesprochen, allerdings ist dies nicht per se ein Indiz für eine Pragmatikalisierung. Auch grammatische Elemente müssen eine Phase der Routinisierung durchlaufen, um von der Ebene der parole auf die Ebene des Systems angehoben zu werden und einen Ausbau im Sinn einer Erweiterung auf unterschiedliche Diskurstradition zu erfahren (cf. Detges/Waltereit 2016:253–254).
Ein starkes Argument gegen die Klassifikation als Pragmatikalisierung im Fall der Entstehung der Modalpartikeln bildet jedoch die Einsicht, dass diese keine diskursorganisierende oder strukturierende Funktion haben, sondern ihre Wirkung auf der Ebene der Illokution verankert ist. Um die Rolle der kommunikativen Interaktion zu betonen, könnte man den Prozess, der zur Grammatikalisierung führt, als Pragmatikalisierung beschreiben, da bereits grammatische Lexeme stärker funktional auf die Regelung der kommunikativen Interaktion ausgerichtet werden. Das Ergebnis wäre jedoch in jedem Fall eine Grammatikalisierung im Sinne von Lehmann (2002). Außerdem sind Sprachwandelprozesse immer das Ergebnis kommunikativer Strategien, die routinisiert werden.
Die Entscheidung für den Begriff Grammatikalisierung im Lehmannʼschen Sinne und gegen den der Pragmatikalisierung im Falle der Modalpartikeln ist folglich naheliegend und geht konform mit der Auffassung von Diewald (2012), welche die Herausbildung von Modalpartikeln aus ihren homonymen Lexemen als Grammatikalisierung klassifiziert. Gemäß der Auffassung von Lehmann (2002) sind Modalpartikeln das Ergebnis eines Wandelprozesses bei dem Lexeme auf einer Skala stärker grammatikalisiert werden können. Es gibt hierbei eine klare Entwicklungslinie. Die entsprechenden Lexeme verlieren sukzessive lexikalisch-semantische Merkmale und erhöhen dafür ihre funktionalen (grammatisch-pragmatischen) Merkmale gegenüber dem Quelllexem.