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3.2.4 XII. Jh.
ОглавлениеRolandslied (um 1100) 1
(Untersuchtes Corpus: Laisse I-XXXVII, V. 1–500)
Die Hauptsätze beginnen hier meist mit einem Element „X“, mit der Folge, dass die Setzung des Subjektpronomens in der Struktur X-V-Ø regulär unterbleibt. Dieses Phänomen ist uns zwar nicht neu, es tritt aber im Rolandslied außerordentlich häufig auf:
(47) Ben en purrat Ø [= Charlemagne] lüer ses soldeiers.En ceste tere ad Ø asez osteiét:En France, ad Ais, s’en deit Ø ben repairer. (V. 34–36)
Auch bei Topic-Kontinuität innerhalb desselben Satzgefüges wird es in asyndetischer Parataxe nicht gesetzt. Hier eine Folge derartiger Teilsätze ohne Setzung des Subjektpronomens:
(48) Marsilies fut esculurez de l’ire,Ø Freint le seel, getét en ad la cire.2Ø Guardet al bref, Ø vit la raisun escrite (V. 485–487)
Auch in Verbindung mit der Negation wird das Subjektpronomen oft nicht gesetzt. Während alle genannten Merkmale durchaus den Regularitäten der altfranzösischen Syntax entsprechen, fallen Initialstellungen des Verbs ohne einleitendes Subjektpronomen heraus:
(49) Ø Vindrent a Charles, ki France ad en baillie (V. 94)
(50) „Ø Voelt par hostages“, ço dist li Sarrazins (V. 147)3
(51) Ø Entret en sa veie, si s’est achiminez. (V. 365)4
Bei Stempel (1964:289–292) wird dieses Merkmal ausführlicher diskutiert; er spricht von „Verbalasyndese“, und dies in einem Kapitel, das „Epische Asyndese“ überschrieben ist. Auch Franzén (1939:50) sieht die Initialstellung des Verbs ohne das zu erwartende vorausgehende Subjektpronomen als ein Charakteristikum der Chansons de geste an (cf. den Kommentar zu Beisp. (32)-(33)).
Es fällt auch auf, dass im Nebensatz das Subjektpronomen oft nach der unterordnenden Konjunktion oder dem Relativpronomen fehlt; eine weitere Unregelmäßigkeit:
(52) „S’Ø en volt ostages, e vos l’en enveiez“ (V. 40)
(53) Quant Ø se redrecet, mult par out fier lu vis. (V. 142)
(54) Quant Ø le dut prendre, si li caït a tere. (V. 333)
In diesem Text gibt es damit eine Reihe von Auffälligkeiten gegenüber dem in § 2 Gesagten. Die verb-initialen Strukturen in Beisp. (49)-(51) entsprechen einem „epischen Stil“, und die fehlenden Subjektpronomina in Beisp. (52)-(54) sind höchstwahrscheinlich dem Metrum (einem Zehnsilbler) geschuldet. Auch aufgrund der häufigen regulären Nichtsetzungen wie in Beisp. (47)-(48) kann leicht der Eindruck der „Beliebigkeit“ der Setzung des Subjektpronomens in diesem Text entstehen.
Adamsspiel (2. Hälfte 12. Jh.) 5
(1. Teil. Textumfang: 588 Verse)
Dieser Text, der metrisch gebunden ist (Acht- und Zehnsilbler), konstituiert das älteste religiöse Drama (cf. Hasenohr/Zinc 1992:863); er wurde also gesprochen.6 Hier finden wir sehr häufig das Subjektpronomen am Satzanfang vor dem Verb; vor allem auch in der 1. Ps. Sg. und 2. Ps. Sg.:
(55) F. [= Figura (Gott)]: Je te aj fourme a mun semblant (V. 3)7
(56) F.: Je tai dune bon cumpainun (V. 8)
Diese Tatsache ist natürlich der genannten Textsorte geschuldet, in der die Dialogpartner häufig Subjektfunktion haben. Aber auch in den anderen Personen steht das Subjektpronomen häufig satzeröffnend:
(57) D. [der Teufel/die Schlange]: Il [= Adam] est plus durs que nest emfersE. [Eva]: Il est mult francs (V. 222–223)
Es gibt nur selten ein „X“ in Initialstellung, das die Inversion und damit die Nicht-Setzung des Subjektpronomens auslösen würde. Das ist meines Erachtens generell der Grund für die höhere Frequenz des Subjektpronomens in den Passagen direkter Rede als in den narrativen Textpassagen.8
Vereinzelte „Ausreißer“ sind im Hauptsatz die Nicht-Setzung des Subjektpronomens am absoluten Satzanfang:
(58) F.: Adam – A.: Sire – F.: Ø Dirrai toi mon auis (V. 80)
(59) F.: Ø Manias le fruit sanz mon otroi (V. 423)
und in Nebensätzen fehlt manchmal das Subjektpronomen nach der unterordnenden Konjunktion oder dem Relativpronomen:
(60) F.: Si Ø uos faire ma uolente (V. 26)
Beide Phänomene sind wahrscheinlich dem Metrum geschuldet.
Li Quatre Livre des Reis (QLR; 2. Hälfte 12. Jh.) 9
(Untersuchtes Corpus: Buch II (= 2. Buch Samuel), Kap. I, 1 – VII, 7 (S. 61–71))
(Anglofranzösisch)
Zusammen mit den Interlinearübersetzungen der Psalmen, die zeitlich früher entstanden sind (v. infra), konstituieren die QLR die älteste überlieferte französische Prosa. Curtius (1911: XCIII-XCV) macht gute Gründe dafür geltend, warum diese Sprachdenkmäler gerade in England entstehen konnten. Vorlage des Übersetzers der vier Bücher der Könige war der Text der Vulgata, aber in einer anderen Rezension als der heute gültigen. Neben gewissen Veränderungen am Text wurden auch zahlreiche Glossen in die QLR eingefügt (cf. Curtius 1911:LX-LXXI).
Franzén (1939:33–34) hat Buch II (S. 61–109) in Bezug auf die Setzung des Subjektpronomens untersucht und kommentiert. Er konnte nur diejenigen Passagen mit der lateinischen Vorlage vergleichen, in denen der Wortlaut der QLR dem heute gültigen Text der Vulgata entspricht. In diesen stellt er fest, dass der Übersetzer das Subjektpronomen regelmäßig am Satzanfang hinzufügt:
(61) Doleo super te: Jo duil sur tei (I, 26; S. 62)
und in Nebensätzen:
(62) loca, quae transivi: les liéus ú jó passái (VII, 7; S. 71)10
Dabei stellt Franzén verblüffende Parallelen mit der altfranzösischen Interlinearversion des Psalters in der Hs. Arundel 230 fest, die er ebenfalls analysiert hat (cf. dazu infra).
Auch Herman (1990 [1954]:260–284) hat sich detailliert mit einem Auszug der QLR (Buch III, Kap. VII-XX, S. 126–165) befasst.11 Neben nominalen Subjekten in der Position vor und nach dem Verb listet er in einer Tabelle (S. 262) die Ergebnisse für seine Zählung der Subjektpronomina auf. In Hauptsätzen zählt er in seinem Corpus 75 Fälle in Voranstellung und 10 Fälle in Postposition. In Nebensätzen findet er sogar 148 Fälle, alle in Voranstellung vor dem Verb. Für die Setzung des Subjektpronomens versucht er, funktionale Gründe zu finden.12
Weder Franzén (1939) noch Herman (1990 [1954]) erwähnen die Tatsache, dass in den QLR der Hauptsatz oft mit dem Verb beginnt, ohne dass das Subjektpronomen davor gesetzt würde, da sie sich nur für dessen Setzung interessieren. In meinem Teilcorpus habe ich auf 10 Seiten 16 Fälle gezählt. Zwei Beispiele:
(63) Reparlad en ceste maniere á ces de Benjamin. (III, 19; S. 66)
(64) Vint en Ebron […] (III, 20)
Die lateinischen Entsprechungen in der Vulgata lauten:13
(63') Locutus est autem Abner etiam ad Benjamin.
(64') Venitque ad David in Hebron […]
Diese auffälligen Nicht-Setzungen des Subjektpronomens am Satzanfang widersprechen der Beleglage in den bisher untersuchten Corpora, wo es nur vereinzelte „Ausreißer“ dieser Art gab, cf. Beisp. (32)-(33) im Leodegarlied, Beisp. (41)-(44) im Alexiusleben und Beisp. (49)-(51) im Rolandslied. Da in den QLR weder das Metrum eine Rolle spielt noch „epischer Stil“ vorliegen kann, haben wir es aller Wahrscheinlichkeit nach hier mit einen Latinismus zu tun.14
Psalmen
Die anglofranzösischen Interlinearübersetzungen der Psalmen sollen an den Schluss unseres Überblicks gestellt werden, obwohl sie zeitlich vor den QLR anzusetzen sind;15 sie sind aber nicht Teil unseres Corpus.
Franzén (1939) hat die Hs. von Arundel (Arundel 230) untersucht und gezeigt, dass es sich um eine „Wort für Wort“-Übersetzung – z.T. ohne Rücksicht auf die altfranzösische Syntax, cf. Franzén (1939:30) – aus dem Lateinischen handelt. Dennoch hat der Übersetzer in 322 Fällen das Subjektpronomen hinzugesetzt, ohne dass die Vorlage einen Anlass dazu bot. Franzén bemerkt dazu: „En exprimant les pronoms sujets […], il [le traducteur] n’a fait que suivre les habitudes syntaxiques de sa propre langue“ (Franzén 1939:30). Das Subjektpronomen wird im Hauptsatz am absoluten Satzanfang hinzugesetzt:
(65) Odisti oms16 qui opantur17 iniquitatem: Tu hais tuz cels ki ouerunt felunie(Franzén 1939:31)
Das Subjektpronomen steht jedoch nicht, wenn dem Verb ein betontes Element vorausgeht (ibid. 31). Im Nebensatz steht das Subjektpronomen zwischen dem subordinierenden Element und dem Verb:
(66) cum clamauero ad eum: quant io crierai a lui(Franzén 1939:31)
Auch Herman (1990 [1954]:240–259) hat die Psalmen untersucht. Im Psalter von Cambridge (C) zählt er 355 Fälle von hinzugesetzten Subjektpronomina, von denen 332 Fälle dem Verb vorausgehen (ibid. 252–253). Er schließt aus, dass die Setzung mit einem „besoin de clarté“ zu tun habe, da die Verbendungen vollständig erhalten sind, und schlägt stattdessen vor, dass das Subjektpronomen, das er als betontes Element ansieht, als „,introducteur‘ accentué“ (ibid. 254) diene, damit das Verb nicht in die Erstposition gerate, und si ablöse, das im Jonasfragment mehrfach in Initialposition auftrete (ibid. 255). Nach Franzén (der bei Herman 1990 [1954]:254 ausführlich zitiert wird) ist das Subjektpronomen allerdings unbetont. Dafür hat Franzén überzeugende Argumente, vor allem die gehäuften Vorkommen in Nebensätzen:
On ne saurait expliquer l’usage fréquent qu’ont fait des pronoms sujets le traducteur des Quatre livres des rois et celui du manuscrit Arundel, à moins qu’on n’admette l’emploi atone de ces mots dès le XIIe siècle. Encore n’est-il pas question d’un développement naissant, mais d’un usage solidement établi, ce que prouve avant tout la fréquence des pronoms sujets dans les subordonnées. (Franzén 1939:34)
Franzén geht auch auf die Frage ein, ob sich das Französische in England im 12. Jh. von dem des Kontinents unterschieden habe. Das verneint er:
Les traductions que nous venons d’examiner [= die Psalmen und die QLR] sont – on le sait – d’origine anglo-normande. Le français continental ne se distinguait pas de l’anglo-normand en ce qui concerne l’emploi des pronoms sujets. La statistique qui précède montre une grande conformité entre tous les textes examinés, quelle que soit leur origine. Si, au XIIe siècle, les pronoms sujets étaient devenus atones dans le dialecte anglo-normand, il en était assurément de même dans la langue du continent. (Franzén 1939:34)
Auch Moignet (1965:91), der Franzéns Analyse aufgreift, ist dieser Meinung, wenn er resümiert: „C’est donc que, pour les traducteurs des Psautiers, le verbe français accompagné du pronom est l’équivalent exact du verbe latin sans pronom“.
Diese Beobachtungen passen gut zur folgende Annahme von Price (1979:§ 11.5.4): „It seems probable that the construction SpV was already well-established in the pre-literary period.“