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4.3 Zu Zimmermanns Kritik (2014) an dem „Borrowing approach“
ОглавлениеZimmermann (2014) möchte in Kap. 3.1.4 „The ‚borrowing approach‘“ (ibid. 79–84) seines Buchs in fünf Kritikpunkten die Annahme widerlegen, die Existenz des Subjektpronomens im Französischen sei auf Interferenz des (Proto-) Altfranzösischen mit dem Altwestfränkischen zurückzuführen. Er kommt zu dem Schluss: „[A]n approach to the expression of expletive and referential subject pronouns in terms of (syntactic) borrowing in the context of language contact is highly improbable“ (Zimmermann 2014:84). Gehen wir die Punkte nacheinander durch. Vorauszuschicken ist, dass borrowing (‚Entlehnung‘) in diesem Zusammenhang kein geeigneter Terminus ist, denn es sind „Reliktmerkmale“ in der Sprache der Sprecher, die die Sprache gewechselt haben (und die dann von anderen Sprechern imitiert werden).1
1. Zur Tatsache, dass Subjektpronomina im Altfranzösischen häufiger in Nebensätzen als in Hauptsätzen auftreten: „This is unexpected under the present approach, given its crucial underlying assumption that in the Germanic variety of the Franks, expletives and referentials are consistently expressed“ (ibid. 81). Dazu ist erstens zu sagen, dass expletive und referentielle Pronomina nicht gemeinsam beschrieben werden dürfen (cf. § 3.1; im Folgenden verstehe ich unter „Subjektpronomen“ immer das referentielle Subjektpronomen), und zweitens, dass im Althochdeutschen (und folglich wohl auch im Altwestfränkischen) das Subjektpronomen in Inversion fehlen kann und meist auch fehlt, wie Eggenberger (1961) gezeigt hat; es ist also nicht „constantly expressed“.
2. Zur chronologischen Diskrepanz. Dass sich die obligatorische Setzung des Subjektpronomens erst im 17. Jh. vollständig durchsetzt, ist für Hunnius (1975) und Zimmermann ein gewichtiges Argument, Superstrat-Einfluss zurückzuweisen. Dazu hat jedoch schon Hilty (1975:425) auf klare Weise Stellung bezogen.2 Er weist darauf hin, dass nach der Epoche des Altfranzösischen die Inversionsregel abgeschafft wurde, die für die (fast) regelmäßige Nicht-Setzung des Subjektpronomens verantwortlich war. Damit setzt sich ab dem Mittelfranzösischen die Stellung X-Spr-V durch, die zuvor extrem selten war. In Hiltys Worten: „Es ging weitgehend um die Eliminierung jenes häufigen altfranzösischen Satztypus, in dem das Subjektpronomen nicht gesetzt wurde, weil die Inversionsregeln spielten [also X-V-Ø, B.W.], und um die Verallgemeinerung jenes anderen Satztypus, in dem das Pronomen seit ältester Zeit auftrat [also Spr-V, jetzt auch in X-Spr-V; B.W.].“3
Man muss sich natürlich fragen, wieso die Inversionsregel samt der Regel oder der Tendenz der Nicht-Setzung des Subjektpronomens ab dem Ende des 13. Jh.’s/Anfang des 14. Jh.’s entfiel. Dafür kann man den Prozess der „Degermanisierung“ im Mittelfranzösischen verantwortlich machen, cf. Wehr (2013:199–205; 2017:80). Was in den folgenden Jahrhunderten bezüglich der Setzung/Nicht-Setzung im Französischen geschieht, ist eine Entwicklung, die uns in diesem Zusammenhang nicht weiter zu interessieren braucht (cf. den Überblick bei Zimmermann 2014:19–25).
3. Unter diesem Punkt werden Ansichten zur zunehmenden Setzung des Subjektpronomens ohne die Funktion von Emphase oder Kontrast in den südamerikanischen Varietäten des Portugiesischen und Spanischen referiert, die ich für die vorliegende Diskussion für irrelevant halte.
4. Syntaktische Entlehnungen seien zweifelhaft („Syntactic borrowing is dubious“). Hierbei handelt es sich um ein verbreitetes Vorurteil. In Adstrat-Situationen oder Phasen der Bilingualität kann einfach alles durch Interferenz übernommen werden (cf. Thomason 2001:63). Bei Interferenzen durch Sprachkontakt sind als erstes Phonetik/Phonologie und die Syntax betroffen, cf. Thomason/Kaufman (1988:39): „[U]nlike borrowing, interference through imperfect learning does not begin with vocabulary: it begins with sounds and syntax“ (Hervorhebung von Thomason/Kaufman) und „Moderate to heavy substratum/superstratum/adstratum interference, especially in phonology and syntax“ (ibid. 50).4 Kuen (1970 [1957]:168–171) führt überzeugend eine Reihe von Beispielen aus romanischen Sprachen und Dialekten im Kontakt mit dem Germanischen und dem Griechischen an. Die nördliche Galloromania zur Zeit des Altfranzösischen ist ein besonders fruchtbares Forschungsgebiet für syntaktische Interferenzen, denn hier kann neben der Voranstellung des attributiven Adjektivs auch die Endstellung des Prädikats in Nebensätzen auf germanischen Einfluss zurückgeführt werden (cf. Wehr 2013:197–198).5 Es ist auch nicht so, dass in eine Sprache nur übernommen werde, was in ihr schon „angelegt“ sei (so Hilty 1968; cf. dazu Wehr 2013:210–211) – auch das gehört zu den verbreiteten Vorurteilen.
5. Hier geht es bei Zimmermann noch einmal um expletive Subjektpronomina, wobei auf widersprüchliche Weise6 festgestellt wird, sie seien im Althochdeutschen noch nicht obligatorisch gewesen. Aber das waren sie im Altfranzösischen ja auch noch nicht.