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3 Die Wahrnehmung des Islam in der nichtislamischen Welt und Öffentlichkeit
ОглавлениеSudhir Kakar hat die Entstehung und den Verlauf von Gewalt zwischen Hindus und Muslimen im Dezember 1990 in der südindischen Stadt Hyderabad untersucht. Nur 24 Stunden genügten, um die Spannungen eskalieren zu lassen. Nur wenn in dieser Zeitspanne die Ordnungskräfte eingreifen, lässt sich der Gewaltausbruch noch verhindern. Die Gruppen gehen dabei zuerst rhetorisch aufeinander los, indem sie sich gegenseitig als Stereotype und nicht mehr als individuelle Persönlichkeiten wahrnehmen sowie nur noch nach der Gruppenzugehörigkeit über einander sprechen: »Schaut nur, was die Hindus machen!« oder »Die Muslime haben wieder einmal alle Grenzen überschritten!«10 Hier ist ein Eingreifen notwendig, um Schlimmeres zu verhindern.
Die Wurzeln von Gewalt liegen in diesen Gruppenzuschreibungen, wie wir sie oft auch bei uns in Talkshows erleben mit dem Ergebnis, dass die eine interviewte Person vom Publikum als repräsentativ für alle, die zu dieser Gruppe gehören, angesehen wird und jegliches Verhalten auf diese eine Gruppenzugehörigkeit reduziert wird. In Wahrheit hat aber jeder Mensch verschiedene Identitäten: eine als Elternteil, eine andere im Berufsleben, wieder eine andere in der Freizeit usw. Wenn all diese auf eine einzige – sei sie religiös, ethnisch oder historisch – reduziert wird, dann wird es – wie Amin Maalouf zutreffend schreibt – fatal.11
In einem Klima emotionaler Angst kann die Identifikation mit einer Gruppenzugehörigkeit auch als Folge eines Medienprinzips zum Problem werden. So hatte ich Herrn Simon Benne, einen Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) darum gebeten, die Erklärung des Rates der Religionen in Hannover und insbesondere seiner muslimischen Mitglieder vom 6. November 2020 zur Verurteilung der »mutmaßlich islamistisch motivierten Terroranschläge in Nizza, Paris, Kabul, Dresden und Wien« an prominenter Stelle in der HAZ abdrucken zu lassen, um dadurch deutlich zu machen, dass nicht nur Herr Michael Fürst, der Vorsitzende des Jüdischen Landesverbandes Niedersachsen, und Herr Recep Bilgen, der Vorstandsvorsitzende der Schura Niedersachsen, des Landesverbandes der Muslime in Niedersachsen diese Terrorakte als nicht mit der Religion vereinbar ablehnen, sondern auch andere muslimische Vertreterinnen und Vertreter der Stadt dies tun. Lediglich eine kleine Notiz ist daraufhin am 7. November 2020 auf S. 23 in der HAZ erschienen, zu mehr konnte sich die Zeitung nicht durchringen. Herr Benne hat dies in einer Mail an die stellvertretende Vorsitzende des Rates der Religionen in Hannover, Frau Dr. Hamideh Mohagheghi, und an mich am 8. November 2020 folgendermaßen erklärt:
Ein wenig liegt es auch im Wesen jeder Form medialer Berichterstattung, dass schlechte Nachrichten oft mehr Aufmerksamkeit erfahren als gute Nachrichten. Es ist ja unsere Aufgabe, den Finger in Wunden zu legen und Missstände anzuprangern. Hundert Muslime, die sich für Frieden einsetzen, werden nie so viel Aufmerksamkeit bekommen wie der eine Gewalttäter.
Kein Wunder, dass dadurch eine falsche Wahrnehmung in der Öffentlichkeit entsteht, die dringend einer Korrektur bedarf, wenn das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft nicht Schaden erleiden soll.
Auch die wissenschaftliche Bearbeitung des Islam bedarf bisweilen noch größerer Sorgfalt hinsichtlich der Konsequenzen und Tragweite bestimmter Aussagen. So geht Florian Zimmin davon aus, dass »our language not only describes and evaluates a given reality, but also helps to produce it.«12 Am Beispiel der Rede vom »Islamic Extremism« oder »Extremist Islam« zeigt er, dass damit jeweils ganz andere Deutungsmuster verbunden sind.13 Im Falle von »Islamic Extremism« ist der Oberbegriff der Extremismus, der auch eine islamische Variante hat, während »Extremist Islam« darauf hinweist, dass Extremismus eine Spielart von Islam ist und somit kontextuell ganz anders verortet ist als im zuerst genannten Fall. Das Beispiel zeigt, dass je nach dem Oberbegriff unterschiedliche Kontexte für die Deutung von Wirklichkeit entstehen. Sie alle vermitteln somit gedeutete Wirklichkeit, nicht aber die Wirklichkeit selbst. Deshalb ist es wichtig, sich über die Tragweite solcher Begrifflichkeiten Gedanken zu machen und zu fragen, welche Konsequenzen ihre Verwendung für die Wahrnehmung der Phänomene durch die öffentliche Diskussion haben wird und ob man diese möchte oder nicht.