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1 Einleitung
ОглавлениеIn den europäischen und nordamerikanischen Forschungstraditionen hat sich bei der Darstellung muslimischer Gesellschaften seit der Kolonialzeit die Idee etabliert, die Gebiete südlich der Sahara gesondert zu betrachten und sogar von einem »afrikanischen Islam« zu sprechen,1 der sich gegenüber dem »arabischen Islam« (in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel) durch seine heterodoxen Praktiken auszeichne. Obwohl muslimische Gesellschaften südlich und nördlich der Sahara (wie auch in der Sahara), im Niltal, in Äthiopien und an der ostafrikanischen Küste historisch auf mannigfaltige Weise sowohl miteinander, wie auch mit den muslimischen Gesellschaften der arabischen Halbinsel verbunden waren, hat sich die Vorstellung eines »afrikanischen Islam« in der Literatur hartnäckig gehalten2 und wurde erst in jüngerer Zeit grundlegend in Frage gestellt.3
Die Vielzahl muslimischer Gesellschaften in Afrika, ihre vielfältige geographische, ethnische und kulturelle Einbettung, ihr unterschiedliches historisches Erbe und ihre verschiedenen Erfahrungen der Interaktion mit christlichen Kirchen, dem Judentum und afrikanischen Religionen machen es außerordentlich schwer, allgemeingültige Aussagen über »die Muslime« in Afrika zu machen. Dazu kommt, dass sich im 20. Jahrhundert im subsaharischen Afrika zahlreiche Salafi-orientierte Reformbewegungen (s. unten) entwickelt und – mit unterschiedlichem Erfolg – etabliert haben.4 Die Salafi-orientierten Reformbewegungen haben zudem die Entwicklung von »gegenreformistischen« Bewegungen aus dem Kreis der Sufi-Bruderschaften angestoßen. In der Folge kam es in vielen muslimischen Gesellschaften des subsaharischen Afrika in den letzten Jahrzehnten zu erbitterten Auseinandersetzungen um Fragen der »rechten Lebensführung« und religiös-politische Deutungshoheit.
Die Entwicklung des Islams im subsaharischen Afrika war zum einen von der Tatsache geprägt, dass Muslime in unterschiedlichen Teilen Afrikas ganz unterschiedliche lokale Kontexte vorfanden und sich mit diesen arrangierten, sodass es im Laufe einer langen Geschichte zur Ausprägung zahlreicher lokaler und regionaler muslimisch-afrikanischer »Kulturen« kam.5 Zum anderen haben Muslime im Laufe dieser Geschichte in diesen verschiedenen lokalen und regionalen Kontexten Modelle des Zusammenlebens mit nicht-muslimischen Mehrheiten und Minderheiten entwickelt, die bis heute für viele Teile des subsaharischen Afrika Gültigkeit bewahrt haben.
Ganz allgemein kann gesagt werden, dass sich Muslime zunächst immer als Minderheit in nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaften fanden, oder, wie John Hunwick in Bezug auf die Islamisierungsgeschichte des subsaharischen Sahel- und Sudangebiets formulierte: Die Muslime bildeten Inseln in einem Meer von nicht-Muslimen (»islands in a sea of pagans«).6 Im Laufe dieser Zeit entwickelten sich diese »Inseln« zu Archipelen und schließlich kehrten sich die Zahlenverhältnisse um, zum Teil erst nach vielen Jahrhunderten der Koexistenz mit nicht-Muslimen: Im subsaharischen Sahel- und Sudangebiet waren die Muslime so im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Mehrheit, die nicht-Muslime zu »islands in a sea of Muslims« geworden. In anderen Regionen des subsaharischen Afrika begannen Prozesse der Islamisierung – die im subsaharischen Sahel- und Sudangebiet im 8. und 9. Jahrhundert begonnen hatten – häufig (aber nicht immer) später und dauerten meist (aber nicht immer) länger, bzw. sind bis heute nicht abgeschlossen. In einigen Regionen Afrikas – wie im nordafrikanischen Maghreb – kam es zu einer vergleichsweise schnellen Ausbreitung des Islams, in anderen Regionen – wie an der ostafrikanischen Küste – blieb der Islam fast eintausend Jahre auf die Küstenorte beschränkt und dehnte sich nicht weiter aus.7