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2 Nationalistische Forderungen und die Kalifatsbewegung

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Nach der Niederschlagung des Aufstandes von 1857 und der folgenden Einverleibung Südasiens in das britische Imperium konnte die Politik der Kolonialherren in legitimer Weise an Repression zunehmen. Jede Art von Emanzipationsprozess wurde daher durch neue Gesetzgebungen oder auch militärischer Interventionen im Keim erstickt. Die einheimischen Foren der politischen und religiösen Eliten boten den Muslimen kaum die Möglichkeit, die Interessen der breiten Bevölkerung und auch nicht die des Gelehrtentums adäquat zu vertreten. Sie blieben weiterhin exklusive Zirkel der Unternehmer, Großgrundbesitzer und Islamgelehrten, meist aus der Provinz im Nordwesten, den United Provinces, die erst allmählich zu Zentren des muslimischen Separatismus heranwuchsen. Dabei spielten die qasbahs eine wichtige mobilisierende Rolle, denn dort verfügte der muslimische Adel noch über sozio-kulturelles Kapital,1 auch wenn die 1906 gegründete Muslim Liga (s. u.) zwischen 1915 und 1924 – also während der Kalifatsagitation – ihre Popularität fast völlig einbüßte, während es den Gelehrten und einigen muslimischen Intellektuellen gelang, breite Bevölkerungsgruppen anzusprechen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich nämlich ein pan-islamisches Gemeinschaftsgefühl zu Gunsten des Sultans ʿAbd al-Majid I. (reg. 1839–61) entwickelt, hervorgerufen durch gemeinsame koloniale Erfahrung und forciert durch gleiche Ideographie und Druckerzeugnisse. Dies ermöglichte zeitweise, an eine muslimische, ja sogar eine trans-muslimische Gemeinschaft oder umma zu denken. Als identitätsstiftendes Souveränitätssymbol wirkte dabei das – wenn auch politisch ohnmächtige – osmanische Kalifat.

Die Bedrohung des osmanischen Kalifen durch die Briten und die Aufteilung des Osmanischen Reiches unter den Alliierten im Zuge des ersten Weltkrieges (Vertrag von Sèvres 1920) konnten indische Islamgelehrte, Sufis und auch Intellektuelle nicht hinnehmen. Sie verbanden das Symbol des Kalifats und nationalistische Ideologie gekonnt zu einer Hindu-Muslim Entente. Deobandis hatten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Verbindungen zum osmanischen Herrscher hergestellt und zu diesem Zweck 1909 die »Vereinigung der Helfer« (Jamiʿat al-Ansar) gegründet, und damit wirkungsmächtig an die frühislamische medinensische Zeit angeknüpft. Im Folgenden wurde das Kommunikationsnetz der Deobandi Madresen bis nach Sindh und Afghanistan ausgeweitet, wo sich sogar eine Schattenregierung unter Leitung sozialistischer Kräfte bildete.2 In Lucknow wurde 1913 zur Unterstützung des Kalifen die »Vereinigung der Diener der Kaʿba« (Anjuman-e Khuddam-e Kaʿba) begründet. Diese Bestrebungen fanden schließlich 1919 ihren institutionellen Ausdruck in der »Vereinigung der Islamgelehrten Indiens« (Jamiʿat-e ʿUlama-ye Hind; JUH) , die Gelehrte aus Deoband, Farangi Mahall und der Ahl-e Hadith ins Leben riefen, und die sich weiterhin für die nationalistische Politik des Indian National Congress einsetzten.3 Im selben Jahr kam es in Bombay zum Aufbau des All-India Caliphate Committee, anfänglich eine rein urbane Institution, getragen von Intellektuellen und Großunternehmern. Es gelang beeindruckend rasch den traditionellen Gesellschaftsbereich durch Nutzung der vorhandenen sufischen Infrastruktur und jener der Kongresspartei anzusprechen. Zur Schaffung einer gemeinsamen Identität von ländlichen und städtischen Bevölkerungsschichten waren Zeitschriften gleichermaßen wichtig wie Riten und patriotische Urdu-Poesie. Der Salafite ʿAbu al-Kalam Azad (1888–1958) hatte schon 1913 die Gründung einer »Partei Gottes« (Hizb Allah) angekündigt; er war seit 1912 durch seine weit rezipierte Urdu-Zeitschrift al-Hilal bekannt geworden. Azad postulierte während der Wirren sogar den bewaffneten Widerstand (Dschihad); da dieser nur von einem islamischen Territorium ausgeführt werden konnte, bot die Auswanderung (Hidschra) nach Afghanistan 1920 eine weitere Alternative des anti-kolonialen Kampfes, wozu Azad auch eine Fatwa verfasste:

Nachdem ich alle Gründe untersucht habe, die in der Scharia enthalten sind, die gegenwärtigen Ereignissen, die Interessen der Muslime und die einschlägigen Ratgeber befragt habe, bin ich vollkommen überzeugt davon, dass es für die Muslime Indiens keine islam-rechtliche Alternative gibt außer auszuwandern. Für all jene Muslime, die heute ihre größte islamische Verpflichtung in Indien erfüllen möchten, ist die Auswanderung (Hidschra) unerlässlich, und diejenigen, die dazu nicht sofort in der Lage sind, sollten den würdigen Auswanderern (muhajirin) auf eine solche Art und Weise helfen, als ob sie selbst auswanderten. Das heißt, die tatsächliche Angelegenheit der Scharia, mit der [die Muslime] jetzt konfrontiert sind, ist die Hidschra. Es gibt nichts anderes. Vor dem Krieg war die Hidschra aus Indien verdienstvoll. Jetzt ist sie entsprechend dem Geiste der Scharia verpflichtend geworden.4

Nachdem viele muslimischen Bauern ihre Habseligkeiten zu Wegwerfpreisen verkauft hatten, machten sie sich im Sommer 1920 auf den Weg zur afghanischen Grenze. Da jedoch nicht alle muhajirin nach Afghanistan einreisen durften, kehrten mehrere Tausend desillusioniert und mittellos ins indische Hinterland zurück; viele starben während der Reise. Die meisten derjenigen, die nach Afghanistan einreisen durften, waren bald Entbehrungen und Hungersnöten ausgesetzt, da das Land nicht bereit war, ihnen Nahrung, Wasser und Unterkunft zukommen zu lassen. Die Hidschra mündete in einem Desaster.5

Auf der Seite der Hindus setzte sich M.K. Gandhi (1869–1948), der viele Jahre als Rechtsanwalt in Südafrika gewirkt hatte, durch programmatische Kampagnen des zivilen Ungehorsams für den indischen Unabhängigkeitskampf ein. Er verstand es, durch die Zusammenarbeit mit Ulama und Sufis einen Teil der islamischen Öffentlichkeit für seinen gewaltlosen Widerstand zu gewinnen und sich dementsprechend an die Spitze der Kalifatsbewegung zu setzen; er wurde gewissermaßen zum letzten Propheten der Muslime. Auf diese Weise schufen nationalistische Inder in dieser Bewegung kurzfristig eine Gegenkraft zur britischen Ethnifizierungspolitik. Mit dem Grad steigender Radikalität verließen jedoch viele Muslime die Agitation, besonders jene, die in hohem Maße im kolonialen System verankert waren, wie z. B. Vertreter der Muslim Liga. Die schiitische Minderheit hielt sich aus dogmatischen Gründen zunächst von der Agitation fern. Weil Briten aber angeblich ihre Kultzentren im Iraq bombardiert hatten, beteiligte sie sich schließlich ebenfalls; die Barelwis hingegen hielten sich fern, weil die Kalifatsbewegung deobandisch dominiert war.

Die Abschaffung des osmanischen Kalifats 1924 durch Mustafa Kemal (1881–1938) nahm der Kalifatsbewegung schließlich den Wind aus den Segeln. Muslim-Hindu-Gegensätze flammten wieder auf, zumal vielen Muslimen Gandhis hinduistisch durchsetzte Semantik und politische Propaganda unheimlich erschien und der Congress zunehmend unter den Einfluss der 1922 gegründeten Hindu Mahasaba geriet, deren Führer selbst die Teilung Indiens zwischen Hindus und Muslimen vorschlugen. Das so entstandene Solidaritätsvakuum wurde von neuen Gruppierungen gefüllt, von denen nur wenige ein unabhängiges muslimisches Territorium forderten.6 Sie verdeutlichten die Spaltung der islamischen Öffentlichkeit, von einer Einheit konnte keine Rede sein.

Islam III

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