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7 Muslimische Inder oder indische Muslime?

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Im säkularen Indien hat sich die Situation der Islamgelehrten wie auch des Großteils der vorwiegend urbanen Muslime (etwa 14% der Bevölkerung oder ca. 175 Millionen) ähnlich desolat entwickelt. Die Teilung Indiens 1947 (Partition) beseitigte weder die kommunalistischen noch die wirtschaftlichen Probleme der verbliebenen Muslime. Da es ihnen nach dem Exodus von 1947 an wirtschaftlichen Ressourcen fehlte (viele der kapitalstarken Unternehmer waren nach Pakistan ausgewandert), sie wegen der Restrukturierung des indischen Verwaltungsdienstes weiterhin ins Hintertreffen gerieten und weil es ihnen an einer politischen Führung mangelte, verfolgten Muslime gezwungenermaßen politisch eher zurückhaltende Positionen. Die Muslim Liga wurde verboten, das Vakuum füllte anfänglich die »Vereinigung der Islamgelehrten Indiens« (JUH). Als alleinige Vertreterin muslimischer Interessen setzte sie sich zunächst für soziale und religiöse Reformen ein. Ebenso waren die Anhänger Maududis »Islamische Gemeinschaft« zur Kompromissbereitschaft genötigt. Während Maududi etwa 3/4 seiner Mitglieder nach Pakistan führte, gründeten die zurückgebliebenen knapp 200 Mitglieder die »Islamische Gemeinschaft Indiens« (Jamaʿat-e Islami Hind). Zwar wünscht sich die hierarchisch aufgebaute Gemeinschaft auch in Indien die Herstellung der Souveränität Gottes, allerdings auf politisch quietistische Weise: Annehmlichkeiten und Erfolg werden im Jenseits entgolten. Die Landreformen Ende der 1950er Jahre, sowie die Isolierung von Muslimen von politisch und militärisch sensiblen Positionen infolge des indisch-pakistanischen Krieges um Kaschmir, verschärften deren wirtschaftliche Probleme. Auf diesem Hintergrund fanden die »Islamische Gemeinschaft Indiens« (JIH) und die »Vereinigung der Islamgelehrten Indiens« (JUH) verstärkten Zulauf. Beide sind im Gegensatz zu anderen regionalen Organisationen gegenwärtig auf breiter indischer Ebene vertreten. Insbesondere im Kleinhandel und in höheren Bildungsinstitutionen ist die »Islamische Gemeinschaft Indiens« (JIH) – wie in Pakistan und Bangladesch – äußerst populär und agiert wie die »Vereinigung der Islamgelehrten Indiens« (JUH) durch Mission, sozialen Dienst, Publikationen, Predigten in Moscheen. Mystische Orden, die jahrhundertelang Träger islamischer Kultur waren, treten dort wie auch in Pakistan kaum mehr öffentlich in Erscheinung. Dies tut aber der Popularität der Heiligenverehrung und Alltagsfrömmigkeit keinen Abbruch; allerdings versucht die auf internationaler Ebene wirkende »Missionsgemeinschaft« (Tablighi Jama'at) diese Erscheinungen durch Forderung nach konservativer Neugestaltung der Sitten zu bekämpfen.

Lange Zeit fehlte den vielfältigen Identitäten indischer Muslime eine Integrationsfigur. Lediglich dem ehemaligen Rektor des »Gelehrtenrates« (Nadwat al-ʿUlama), Abu al-Hasan ʿAli Nadwi (gest. 1999), kam diese charismatische Rolle zu. Wegen der spezifischen Minderheitensituation in Indien hatte Nadwi, der enge Verbindungen sowohl zur Mystik und zur »Missionsgemeinschaft«, als auch zu muslimischen Organisationen arabischer Staaten unterhielt, öffentlich die islamistischen Vorstellungen Maududis kritisiert: Einer gesellschaftlichen Änderung im Sinne des Islam müsse ein Wandel auf individueller Ebene vorausgehen – Islam sei also eher eine verinnerlichte Botschaft Gottes an den Menschen.

Auch wenn Nadwi immer wieder (gezwungenermaßen) zu harmonisierenden Postulaten bereit war und auf die Wichtigkeit nationaler Integration hinwies, so waren seine Ausführungen doch geprägt von der Idee einer islamischen Vormachtstellung: Muslime hätten jedes Land, also auch Indien, aus einem tiefen Schlaf geweckt und es zu den Höhen der Zivilisation geführt. Es erinnert an den im ersten Teil des Beitrags zitierten Ausschnitt aus Baburs Memoiren:

Indien hatte seine Kultur und Sozialstruktur ohne einen erkennbaren Wandel für mehr als tausend Jahre halten können, mit dem Ergebnis, dass in fast jedem Lebensbereich Stagnation und Verfall eingesetzt hatten. […] es gab keine sichtbaren Anzeichen für einen Wandel in der Entwicklung der Ressourcen, weder in der Landwirtschaft noch in anderen Bereichen kreativer Bemühungen. Schließlich betraten die Muslime dieses traditionsbehaftete Land und beschenkten es mit dem teuersten Geschenk, das sie hatten – dem Glauben an den reinen und unverdorbenen Monotheismus, menschlicher Würde und Gleichheit, einem Sozialsystem frei von Klasse und Kaste, einer außergewöhnlichen Kultur, die durch den vollendeten Intellekt und die Kreativität verschiedener Völker verfeinert und bereichert worden war, sowie einem klaren und effektiven Verwaltungssystem, welches sich aus langen und mannigfaltigen Erfahrungen entwickelt hatte und gereift war. Kurzum, es war ein neuer frischer Wind, der verschiedene Gedankenströme und Wissenschaften, Künste und Kultur belebte und zusammenführte und so zu einem sagenhaften humanistischen Pulsieren in den verschiedenen Gesellschaftssphären sowie im intellektuellen und politischen Leben des Landes führte.41

Interessanterweise sah Nadwi auch in der Islamisierungspolitik Zia ul-Haqs, welche die »Islamische Gemeinschaft« tatkräftig unterstützte, hoffnungsvoll eine »islamische Revolution«. Quietistische Positionen konnten dementsprechend nicht von allen indischen Muslimen konsequent durchgehalten werden. Erneut wurde dies 1986 deutlich, als der Oberste Gerichtshof das muslimische Personenrecht ändern wollte, um einer geschiedenen Muslima Unterhaltszahlungen zu garantieren. Die »Vereinigung der Islamgelehrten Indiens«(JUH) und andere muslimische Kräfte, wie der dem All-India Muslim Personal Law Board vorsitzende Nadwi, traten erfolgreich als islamisch-patriarchalische Interessenvertreter auf, mit der Begründung, der Islam würde andernfalls staatlicher Willkür zum Opfer fallen.

Andere Positionen sind z. B. die eines Wahiduddin (1925–2021), der einen absoluten Idschtihad – also die kreative Anwendung des islamischen Rechts, um der Herausforderung zu begegnen, die sozialen Bedingungen über die Grenzen der eigenen Rechtsschule hinaus neu zu lesen und anzuwenden – befürwortet. Infolgedessen spricht er sich gegen eine erzwungene Scharia und für eine Trennung von Religion und Politik aus.42 Auf diese Weise entwickelt Wahiduddin interessante Ideen und Strategien, wie Muslime als Minderheit in einer mehrheitlich hinduistischen Demokratie mit einer modernen Verfassung gedeihen können. So befürwortet der Gelehrte auch friedliche Missionstätigkeit, verhärtet aber gleichzeitig die Idee einer religiösen Einheit indischer Muslime.

Grundsätzlich repräsentieren die Muslime Indiens aber eine Vielzahl gesellschaftlicher Identitäten, die religiöse Affinitäten neutralisieren. Dennoch, die gegenseitige Assimilation von Hindus und Muslimen43 hat ihre Grenzen. Der militante Hinduismus ist, und dabei ist die Rolle des legendären Marathenführers Shivaji (gest. 1680), der Aurangzeb eine Zeitlang die Stirn geboten hatte, genauso prägend wie das Beschwören des hinduistischen Pantheons. Die Postulate der Religionspolitiker, die auf Wählerfang aus sind, drängen die in jeder Hinsicht heterogene muslimisch-indische Gemeinschaft politisch zusammen, so dass man geneigt sein könnte, von einem einheitlichen indischen Islam zu sprechen. Muslim-sein wird aber nur relevant in Gegenwart eines propagierten Hindu-seins; Identität entsteht stets im Kontext. Gleichzeitig rufen muslimische Identitätspolitiker nach Minderheitsrechten und Verbesserung der Lage von Minderheiten, wie sie auch von zahlreichen Ausschüssen gefordert werden: so z. B. das Sachar Committee 2006, dessen Empfehlungen vom Kabinett angenommen, jedoch von der Oppositionspartei Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei; BJP) abgelehnt wurden; das 15-Punkte-Programm des Premierministers (2006), das das Wohl von Minderheiten zum Ziel hat, ist kaum umgesetzt worden; der Bericht der Rangnath Misra-Commission (Nationale Kommission für religiöse und sprachliche Minderheiten) 2008 sah eine 10% Quote für Muslime und 5% für andere Minderheiten in Regierungsämtern und Bildungseinrichtungen sowie wichtige Rechte für Dalit-Gemeinschaften, sogenannte Scheduled Tribes, vor. Auch dies wurde von der BJP abgelehnt und somit Muslimen der Dalit-Status verweigert. Die seit 2014 fest im Sattel sitzende hinduistische BJP hat durch gezielte religiöse Identitätspolitik das Bild eines verfemten Muslims verhärtet. Tatsache ist, dass Nebenwirkungen einer solchen Politik nicht nur in der zunehmenden Anzahl von grausamen Unruhen beispielsweise in Muzaffarnagar im Westen von United Provinces im Jahr 2013 sichtbar werden. Auch Fälle des Mob-Lynchens im Jahr 2015, oder in einer von pro-BJP-Gruppen ins Leben gerufenen aggressiven Kuhschutzbewegung (cow vigilantism) verschärft die Lage. Seit 2016 wird dies durch Angst vor demographischem Wandel verstärkt. Deshalb will man zum einen zum Islam konvertierte Hindus zurückführen (ghar wapsi, zurück nachhause), zum anderen inter-religiöse Heiraten untersagen (love-jihad), was auch in den neuesten Historienfilmen aus Bollywood Niederschlag findet. Zudem werden auf die Verabschiedung eines Gesetzes zum Schutze der Rechte verheirateter muslimischer Frauen und zum Verbot der Scheidung durch das Aussprechen von dem dreifachen Scheidungsspruch (triple talaq) ihrer Ehemänner heftige Reaktionen konservativer Muslime erwartet. Hier wie dort geht es erneut um profane Interessen, die religiös semantisiert werden. Dass zusätzlich die den indischen Muslimen nachgesagte exterritoriale Loyalität gegenüber muslimischen Staaten, allen voran Pakistan, Wirkung zeigt, kann nicht erstaunen.44

Islam III

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