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3 Die Dschihad-Bewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts
ОглавлениеDie im 18. und 19. Jahrhundert bestehenden religiösen, politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse im subsaharischen Afrika, insbesondere im subsaharischen Westafrika, wurden in dieser Zeit durch eine Reihe von Dschihad-Bewegungen grundlegend und nachhaltig verändert. Die Ursache für die Dschihad-Bewegungen in den bilād as-sūdān8 lag in der zunehmenden Unsicherheit der sozialen und politischen Verhältnisse in der Region begründet, die wiederum mit der Zunahme des Sklavenhandels und der Herausbildung einer »predatorial mode of production« (»Raubwirtschaft«)9 verbunden waren. Die Rebellionen gegen die »ungerechte Fürstenherrschaft«, wurden von islamischen religiösen Gelehrten geführt, die in den ihnen zur Verfügung stehenden Texten eine Legitimationsgrundlage für den Widerstand gegen ungerechte Herrschaft fanden. So erklärte der maurische religiöse Gelehrte Nāṣir ad-Dīn im Jahre 1673: »Gott hat es den Fürsten nicht gestattet, ihre Untertanen zu versklaven, zu berauben, oder zu töten. Er hat ihnen im Gegenteil aufgetragen, sie zu beschützen, denn die Völker sind nicht für die Fürsten da, sondern vielmehr die Fürsten für die Völker«.10 Mit dieser Erklärung legitimierte Nāṣir ad-Dīn im Jahre 1673 nicht nur den »Tuubenaan«-Aufstand gegen die Fürsten des Senegaltals, sondern nahm auch eine Kernforderung späterer islamischer Rebellionen voraus, in deren Gefolge im 18. und 19. Jahrhundert im gesamten Sudangürtel Westafrikas neue Staatswesen entstanden, die, zum ersten Mal in der Geschichte des subsaharischen Westafrika, unter der Führung islamischer Gelehrter standen. Diese neuen Staatswesen, häufig Imamate genannt, wurden islamisch-religiös legitimiert und beendeten in weiten Teilen der bilād as-sūdān die bis dahin bestehende Koexistenz von Islam und nicht-islamischen Kulten an den Fürstenhöfen. Nicht-muslimische Bevölkerungsgruppen, die im 18. Jahrhundert noch die Mehrheit der Bevölkerung in den bilād as-sūdān darstellten, wurden im 19. Jahrhundert eine Minderheit. Zur gleichen Zeit erfuhren die Muslime in den bilād as-sūdān eine neue Phase der Entwicklung des Islam, die als »zweite Konversion« oder als »zweite Islamisierung« bezeichnet wurde,11 und zwar deshalb, weil nun das islamische Recht der maßgebliche Rahmen für die Organisation des Alltagslebens wurde.
Die Entwicklung der Dschihad-Bewegungen in den bilād as-sūdān und der aus ihnen erwachsenden islamischen Imamate zeigt jedoch, dass es kein einheitliches »Modell« eines Dschihad gab, sondern unterschiedliche lokale Rahmenbedingungen und, daraus resultierend, eine breite Palette unterschiedlicher islamischer Herrschaftsformen: so wie jeder Dschihad seinen eigenen Charakter hatte, so entwickelte auch jedes Imamat seine eigenen Herrschaftsformen, vom Modell eines nahezu »idealen islamischen Staates« in Masina bis hin zum Reich Samori Turés, das erst nach zahlreichen Eroberungskriegen einen islamischen Charakter annahm. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich andere Modelle islamischer Herrschaft wie das Kalifat von Sokoto, das Sultanat Bornu oder das Tukulóór-Reich von al-Ḥāǧǧ ʿUmar Taal. Die Entwicklung dieser islamischen Staatswesen, die nicht notwendigerweise miteinander verbunden waren, kann in drei Phasen gegliedert werden:12 Eine Serie von frühen Dschihad-Bewegungen im senegambischen Raum, die sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in direkter Reaktion auf den transatlantischen Sklavenhandel entwickelten und die nach dem Scheitern der »Tuubenaan«-Bewegung Nāṣir ad-Dīns am mittleren und unteren Senegal im Jahre 1677 zur Gründung der Imamate von Bundu (ab c. 1690) am oberen Senegal, von Fuuta Jalon (ab 1725) im Hochland Guineas und von Fuuta Tooro (ab 1776) am mittleren Senegal führten.
Seit dem frühen 19. Jahrhundert kam es zu einer zweiten Serie großer Dschihad-Bewegungen in den Weiten der sudanischen Savanne, die weniger mit den Auswirkungen des trans-atlantischen Sklavenhandels verbunden waren, als mit der Destabilisierung und Krise in den bilād as-sūdān selbst. Diese großen Dschihad-Bewegungen und die aus ihnen resultierenden Kalifate und Imamate wie Sokoto (ab 1804, bestand bis 1903), Bornu (ab 1808, bestand bis 1893), Masina (ab 1818, bestand bis 1864) oder das Reich von al-Ḥāǧǧ ʿUmar Taal (ab 1852, bestand bis 1893) entwickelten sich unabhängig von europäischer Einflussnahme und kamen in einigen Fällen, wie etwa Masina oder Bornu, noch vor dem Beginn der europäischen Kolonisation Westafrikas zu Ende: Im Falle Masinas im Rahmen eines Krieges gegen einen anderen Dschihad-Führer, al-Ḥāǧǧ ʿUmar Taal; im Rahmen Bornus im Rahmen des Eroberungszugs des arabisch-sudanischen »Conquistadors« Rābiḥ b. Faḍl Allāh.
Schließlich kann eine dritte Serie von späten Dschihad-Bewegungen identifiziert werden, die sich erneut vor allem im senegambischen Raum und am oberen Niger entwickelte, und die sich direkt mit der europäischen Kolonisation Westafrikas auseinandersetzten. Die von Ma Ba Jaxu (ab 1860-c.1890), Ahmadu Sexu Ba (1870–1875), al-Ḥāǧǧ Mamadu Lamin Dramé (1885–1887), Fodé Kaba (1890–1901) oder Samori Touré (ab 1875–1888) begründeten Imamate waren aber vergleichsweise kurzlebig und letztendlich nicht in der Lage, dem europäischen Vordringen wirksamen Widerstand entgegenzusetzen. Dennoch begründeten auch sie in ihren jeweiligen Gebieten eine neue Tradition einer islamisch-religiösen Herrschaftslegitimation, die in der Kolonialzeit fortbestand.
In der Literatur werden die Dschihad-Bewegungen in den bilād as-sūdān und die mit ihnen verbundenen Staatsgründungen häufig mit dem Sklavenhandel und dem Widerstand gegen diesen Handel in Verbindung gebracht.13 Dieses Argument trifft zwar für die frühen Dschihad-Bewegungen des küstennahen Raumes, insbesondere Senegambien, zu, darüber sollten aber die inneren Beweggründe für die Entwicklung dieser Bewegungen nicht vernachlässigt werden. Gerade die Dschihad-Bewegungen des frühen 19. Jahrhunderts waren in erster Linie sozialrevolutionäre Bewegungen, die sich gegen ungerechte Herrschaftsverhältnisse, ökonomische Ausbeutung und soziale Missstände in den Hausa-Ländern und den Ländern am Niger richteten. Die Entstehung und der Erfolg der Dschihad-Bewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts in den bilād as-sūdān müssen so im Kontext der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Wandlungsprozesse gesehen werden, welche die Entwicklung des subsaharischen Westafrika seit dem 16. Jahrhundert geprägt haben. Die meisten Führer der frühen Dschihad-Bewegungen des späten 17. und des 18. Jahrhunderts wie auch der großen Dschihad-Bewegungen des frühen 19. Jahrhunderts waren, mit der Ausnahme der Reichsgründung von al-Ḥāǧǧ ʿUmar Taal, mit der Sufi-Bruderschaft (arab. ṭarīqa) der Qādirīya verbunden, während die Staatsgründung von al-Ḥāǧǧ ʿUmar Taal und die meisten der spätereren senegambischen Dschihad-Bewegungen, mit der Ausnahme der Reichsgründung Samori Turés, mit der Sufi-Bruderschaft der Tiǧānīya verbunden waren. Aber obwohl die Verbindung mit einer Sufi-Bruderschaft ein wichtiges Merkmal aller Dschihad-Bewegungen und in einigen Fällen wie Sokoto die Affiliation mit einer ṭarīqa sogar als eine Art von »corporate identity«14 der religiösen Elite Sokotos gesehen wurde, blieb die Affiliation mit einer Sufi-Bruderschaft ein Merkmal der neuen Gelehrten-Eliten. Erst im 20. Jahrhundert sollten sich die Qādirīya und die Tiǧānīya in einigen Teilen des sub-saharischen Westafrika zu Massenbewegungen entwickeln.